Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Theoros,

in den früheren Ausgaben als Theodoros angeführt. Seine
Werke sind: ein sich Salbender, die Ermordung der Kly-
taemnestra
und des Aegisthos durch Orestes; der tro-
janische Krieg
auf mehreren Tafeln zu Rom in den Por-
tiken des Philippus, ferner Kassandra im Heiligthum der
Concordia, Leontion, des Epikur Geliebte, im Nachdenken
versunken, der König Demetrios.1) Theoros gehört also
als Zeitgenosse des Demetrios und Epikur in die Epoche der
hier behandelten, bis in die Zeit der ersten Nachfolger Alex-
anders thätigen Maler. Hinsichtlich des künstlerischen Ver-
dienstes steht er bei Plinius mit Theon in einer Klasse. Er
malt aber auch, wie dieser, den Muttermord des Orestes.
Sollte uns das Zusammentreffen dieser Umstände nicht auf
den Verdacht führen, dass wir es hier nicht mit zwei, son-
dern mit einem und demselben Künstler zu thun haben?
Die Form der Zusammenstellung bei Plinius namentlich in
den alphabetischen Verzeichnissen ist äusserst locker; und
gerade in diesen Abschnitten wird er, aus verschiedenen
Quellen sammelnd, häufig Nachträge einzufügen nöthig ge-
habt haben. Die Corruption des Namens Theon in Theorus,
namentlich wenn dabei etwa der griechische Genitiv [fremdsprachliches Material - fehlt]
in Betracht kam, ist äusserst leicht, so dass dieser Irrthum
des Plinius weit verzeihlicher als viele andere sein würde.
Endlich widersprechen auch die Werke der Annahme der
Identität nicht: selbst die Darstellung der Leontion ist nicht
ein gewöhnliches Portrait, sondern auf eine gewisse geistige
Wirkung berechnet. Der troische Krieg bot dramatische Sce-
nen in Ueberfluss; in der Geschichte der Kassandra aber
findet sich nicht ein, sondern eine ganze Reihe von Momen-
ten, die für die Kunstrichtung des Theon nicht besser er-
funden werden könnten. Einer derselben, der Mord des Aga-
memnon und der Kassandra durch die Hand der Klytaemnestra
giebt uns das vollkommene Seitenstück zu dem Muttermorde
des Orestes. Und gerade eine Darstellung dieser Scene wird
uns durch die Beschreibung des ältern Philostrat2) genauer
bekannt. Die Hauptgruppe bildet Kassandra, die unglück-
liche Seherin, wie sie, den schon gefallenen Agamemnon

1) Plin. 35, 144.
2) II, 10.

Theoros,

in den früheren Ausgaben als Theodoros angeführt. Seine
Werke sind: ein sich Salbender, die Ermordung der Kly-
taemnestra
und des Aegisthos durch Orestes; der tro-
janische Krieg
auf mehreren Tafeln zu Rom in den Por-
tiken des Philippus, ferner Kassandra im Heiligthum der
Concordia, Leontion, des Epikur Geliebte, im Nachdenken
versunken, der König Demetrios.1) Theoros gehört also
als Zeitgenosse des Demetrios und Epikur in die Epoche der
hier behandelten, bis in die Zeit der ersten Nachfolger Alex-
anders thätigen Maler. Hinsichtlich des künstlerischen Ver-
dienstes steht er bei Plinius mit Theon in einer Klasse. Er
malt aber auch, wie dieser, den Muttermord des Orestes.
Sollte uns das Zusammentreffen dieser Umstände nicht auf
den Verdacht führen, dass wir es hier nicht mit zwei, son-
dern mit einem und demselben Künstler zu thun haben?
Die Form der Zusammenstellung bei Plinius namentlich in
den alphabetischen Verzeichnissen ist äusserst locker; und
gerade in diesen Abschnitten wird er, aus verschiedenen
Quellen sammelnd, häufig Nachträge einzufügen nöthig ge-
habt haben. Die Corruption des Namens Theon in Theorus,
namentlich wenn dabei etwa der griechische Genitiv [fremdsprachliches Material – fehlt]
in Betracht kam, ist äusserst leicht, so dass dieser Irrthum
des Plinius weit verzeihlicher als viele andere sein würde.
Endlich widersprechen auch die Werke der Annahme der
Identität nicht: selbst die Darstellung der Leontion ist nicht
ein gewöhnliches Portrait, sondern auf eine gewisse geistige
Wirkung berechnet. Der troische Krieg bot dramatische Sce-
nen in Ueberfluss; in der Geschichte der Kassandra aber
findet sich nicht ein, sondern eine ganze Reihe von Momen-
ten, die für die Kunstrichtung des Theon nicht besser er-
funden werden könnten. Einer derselben, der Mord des Aga-
memnon und der Kassandra durch die Hand der Klytaemnestra
giebt uns das vollkommene Seitenstück zu dem Muttermorde
des Orestes. Und gerade eine Darstellung dieser Scene wird
uns durch die Beschreibung des ältern Philostrat2) genauer
bekannt. Die Hauptgruppe bildet Kassandra, die unglück-
liche Seherin, wie sie, den schon gefallenen Agamemnon

1) Plin. 35, 144.
2) II, 10.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0272" n="255"/>
              <p> <hi rendition="#g">Theoros,</hi> </p><lb/>
              <p>in den früheren Ausgaben als Theodoros angeführt. Seine<lb/>
Werke sind: ein sich <hi rendition="#g">Salbender,</hi> die Ermordung der <hi rendition="#g">Kly-<lb/>
taemnestra</hi> und des <hi rendition="#g">Aegisthos</hi> durch <hi rendition="#g">Orestes;</hi> der <hi rendition="#g">tro-<lb/>
janische Krieg</hi> auf mehreren Tafeln zu Rom in den Por-<lb/>
tiken des Philippus, ferner <hi rendition="#g">Kassandra</hi> im Heiligthum der<lb/>
Concordia, <hi rendition="#g">Leontion,</hi> des Epikur Geliebte, im Nachdenken<lb/>
versunken, der König <hi rendition="#g">Demetrios</hi>.<note place="foot" n="1)">Plin. 35, 144.</note> Theoros gehört also<lb/>
als Zeitgenosse des Demetrios und Epikur in die Epoche der<lb/>
hier behandelten, bis in die Zeit der ersten Nachfolger Alex-<lb/>
anders thätigen Maler. Hinsichtlich des künstlerischen Ver-<lb/>
dienstes steht er bei Plinius mit Theon in einer Klasse. Er<lb/>
malt aber auch, wie dieser, den Muttermord des Orestes.<lb/>
Sollte uns das Zusammentreffen dieser Umstände nicht auf<lb/>
den Verdacht führen, dass wir es hier nicht mit zwei, son-<lb/>
dern mit einem und demselben Künstler zu thun haben?<lb/>
Die Form der Zusammenstellung bei Plinius namentlich in<lb/>
den alphabetischen Verzeichnissen ist äusserst locker; und<lb/>
gerade in diesen Abschnitten wird er, aus verschiedenen<lb/>
Quellen sammelnd, häufig Nachträge einzufügen nöthig ge-<lb/>
habt haben. Die Corruption des Namens Theon in Theorus,<lb/>
namentlich wenn dabei etwa der griechische Genitiv <foreign xml:lang="gre"><gap reason="fm" unit="words"/></foreign><lb/>
in Betracht kam, ist äusserst leicht, so dass dieser Irrthum<lb/>
des Plinius weit verzeihlicher als viele andere sein würde.<lb/>
Endlich widersprechen auch die Werke der Annahme der<lb/>
Identität nicht: selbst die Darstellung der Leontion ist nicht<lb/>
ein gewöhnliches Portrait, sondern auf eine gewisse geistige<lb/>
Wirkung berechnet. Der troische Krieg bot dramatische Sce-<lb/>
nen in Ueberfluss; in der Geschichte der Kassandra aber<lb/>
findet sich nicht ein, sondern eine ganze Reihe von Momen-<lb/>
ten, die für die Kunstrichtung des Theon nicht besser er-<lb/>
funden werden könnten. Einer derselben, der Mord des Aga-<lb/>
memnon und der Kassandra durch die Hand der Klytaemnestra<lb/>
giebt uns das vollkommene Seitenstück zu dem Muttermorde<lb/>
des Orestes. Und gerade eine Darstellung dieser Scene wird<lb/>
uns durch die Beschreibung des ältern Philostrat<note place="foot" n="2)">II, 10.</note> genauer<lb/>
bekannt. Die Hauptgruppe bildet Kassandra, die unglück-<lb/>
liche Seherin, wie sie, den schon gefallenen Agamemnon<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0272] Theoros, in den früheren Ausgaben als Theodoros angeführt. Seine Werke sind: ein sich Salbender, die Ermordung der Kly- taemnestra und des Aegisthos durch Orestes; der tro- janische Krieg auf mehreren Tafeln zu Rom in den Por- tiken des Philippus, ferner Kassandra im Heiligthum der Concordia, Leontion, des Epikur Geliebte, im Nachdenken versunken, der König Demetrios. 1) Theoros gehört also als Zeitgenosse des Demetrios und Epikur in die Epoche der hier behandelten, bis in die Zeit der ersten Nachfolger Alex- anders thätigen Maler. Hinsichtlich des künstlerischen Ver- dienstes steht er bei Plinius mit Theon in einer Klasse. Er malt aber auch, wie dieser, den Muttermord des Orestes. Sollte uns das Zusammentreffen dieser Umstände nicht auf den Verdacht führen, dass wir es hier nicht mit zwei, son- dern mit einem und demselben Künstler zu thun haben? Die Form der Zusammenstellung bei Plinius namentlich in den alphabetischen Verzeichnissen ist äusserst locker; und gerade in diesen Abschnitten wird er, aus verschiedenen Quellen sammelnd, häufig Nachträge einzufügen nöthig ge- habt haben. Die Corruption des Namens Theon in Theorus, namentlich wenn dabei etwa der griechische Genitiv _ in Betracht kam, ist äusserst leicht, so dass dieser Irrthum des Plinius weit verzeihlicher als viele andere sein würde. Endlich widersprechen auch die Werke der Annahme der Identität nicht: selbst die Darstellung der Leontion ist nicht ein gewöhnliches Portrait, sondern auf eine gewisse geistige Wirkung berechnet. Der troische Krieg bot dramatische Sce- nen in Ueberfluss; in der Geschichte der Kassandra aber findet sich nicht ein, sondern eine ganze Reihe von Momen- ten, die für die Kunstrichtung des Theon nicht besser er- funden werden könnten. Einer derselben, der Mord des Aga- memnon und der Kassandra durch die Hand der Klytaemnestra giebt uns das vollkommene Seitenstück zu dem Muttermorde des Orestes. Und gerade eine Darstellung dieser Scene wird uns durch die Beschreibung des ältern Philostrat 2) genauer bekannt. Die Hauptgruppe bildet Kassandra, die unglück- liche Seherin, wie sie, den schon gefallenen Agamemnon 1) Plin. 35, 144. 2) II, 10.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/272
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/272>, abgerufen am 28.11.2024.