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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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Cicero1) die krotoniatischen Knaben in der Palästra magna
praeditos dignitate nennt und sagt, dass sich dieselben cor-
poris viribus et dignitatibus auszeichneten, so leuchtet ein,
dass durch dignitas auch das bezeichnet werden kann, was
durch die äussere Erscheinung Achtung einflösst, das männ-
lich Kräftige des ganzen persönlichen Auftretens, welches
natürlich bei dem Geschlechte der Heroen eine Steigerung
über das Maass des Menschlichen hinaus erfahren muss, bei
den Göttern sich zur Majestät erhebt. Jetzt werden wir uns
auch an die Erzählung von dem Mislingen des Zeus in dem
Gemälde der zwölf Götter erinnern dürfen. Nachdem das
Ideal des Zeus schon längst und in einer Weise festgestellt
war, dass es an geistiger Bedeutung das des Poseidon
so weit überragte, wie in dem Glauben der Griechen der
eine Gott den andern, müssten wir eine innere Unwahrschein-
lichkeit darin erkennen, dass es dem Euphranor nicht ge-
lungen sein sollte, in seinem Werke dieses bereits festste-
hende Verhältniss zu bewahren, sofern es sich eben nicht
um die Lösung eines durchaus neuen Problems handelte.
Dies ist aber der Fall, sofern wir annehmen, dass es dem
Künstler nicht vorzugsweise um eine Steigerung des gei-
stigen Ausdrucks, sondern des Ausdrucks körperlicher Kraft
und Gewalt zu thun war. Hier lag es allerdings nahe, den
Poseidon, welcher von seiner elementaren Natur in Mythus
und Kunst weit mehr bewahrt hatte, als sein mehr vergei-
stigter Bruder, mit einer solchen Fülle körperlicher Majestät
(excellentissimis maiestatis coloribus) zu bekleiden, dass es
dem Künstler, wenn er eben nicht im Gebiete des Geistigen
das Gegengewicht suchen wollte, schwer werden mochte,
sich in der eingeschlagenen Richtung noch zu überbieten.

Wir betrachten also Euphranor als den Begründer einer
wesentlich neuen Kunstrichtung, auf welche die Prädicate
der Grossartigkeit und Würde ([fremdsprachliches Material - fehlt])
in bestimmter Beschränkung auf die Auffassung der körper-
lichen Erscheinung eben so angewendet werden dürfen, wie
sie der Kunst des Phidias im höheren idealeren Sinne beige-
legt werden. Und so konnte Varro2) dem Kleinkünstler

1) de invent. II, 1.
2) fragm. p. 236 ed. Bipont.; bei Charisius p. 72
ed. Lindemann.

Cicero1) die krotoniatischen Knaben in der Palästra magna
praeditos dignitate nennt und sagt, dass sich dieselben cor-
poris viribus et dignitatibus auszeichneten, so leuchtet ein,
dass durch dignitas auch das bezeichnet werden kann, was
durch die äussere Erscheinung Achtung einflösst, das männ-
lich Kräftige des ganzen persönlichen Auftretens, welches
natürlich bei dem Geschlechte der Heroen eine Steigerung
über das Maass des Menschlichen hinaus erfahren muss, bei
den Göttern sich zur Majestät erhebt. Jetzt werden wir uns
auch an die Erzählung von dem Mislingen des Zeus in dem
Gemälde der zwölf Götter erinnern dürfen. Nachdem das
Ideal des Zeus schon längst und in einer Weise festgestellt
war, dass es an geistiger Bedeutung das des Poseidon
so weit überragte, wie in dem Glauben der Griechen der
eine Gott den andern, müssten wir eine innere Unwahrschein-
lichkeit darin erkennen, dass es dem Euphranor nicht ge-
lungen sein sollte, in seinem Werke dieses bereits festste-
hende Verhältniss zu bewahren, sofern es sich eben nicht
um die Lösung eines durchaus neuen Problems handelte.
Dies ist aber der Fall, sofern wir annehmen, dass es dem
Künstler nicht vorzugsweise um eine Steigerung des gei-
stigen Ausdrucks, sondern des Ausdrucks körperlicher Kraft
und Gewalt zu thun war. Hier lag es allerdings nahe, den
Poseidon, welcher von seiner elementaren Natur in Mythus
und Kunst weit mehr bewahrt hatte, als sein mehr vergei-
stigter Bruder, mit einer solchen Fülle körperlicher Majestät
(excellentissimis maiestatis coloribus) zu bekleiden, dass es
dem Künstler, wenn er eben nicht im Gebiete des Geistigen
das Gegengewicht suchen wollte, schwer werden mochte,
sich in der eingeschlagenen Richtung noch zu überbieten.

Wir betrachten also Euphranor als den Begründer einer
wesentlich neuen Kunstrichtung, auf welche die Prädicate
der Grossartigkeit und Würde ([fremdsprachliches Material – fehlt])
in bestimmter Beschränkung auf die Auffassung der körper-
lichen Erscheinung eben so angewendet werden dürfen, wie
sie der Kunst des Phidias im höheren idealeren Sinne beige-
legt werden. Und so konnte Varro2) dem Kleinkünstler

1) de invent. II, 1.
2) fragm. p. 236 ed. Bipont.; bei Charisius p. 72
ed. Lindemann.
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[190/0207] Cicero 1) die krotoniatischen Knaben in der Palästra magna praeditos dignitate nennt und sagt, dass sich dieselben cor- poris viribus et dignitatibus auszeichneten, so leuchtet ein, dass durch dignitas auch das bezeichnet werden kann, was durch die äussere Erscheinung Achtung einflösst, das männ- lich Kräftige des ganzen persönlichen Auftretens, welches natürlich bei dem Geschlechte der Heroen eine Steigerung über das Maass des Menschlichen hinaus erfahren muss, bei den Göttern sich zur Majestät erhebt. Jetzt werden wir uns auch an die Erzählung von dem Mislingen des Zeus in dem Gemälde der zwölf Götter erinnern dürfen. Nachdem das Ideal des Zeus schon längst und in einer Weise festgestellt war, dass es an geistiger Bedeutung das des Poseidon so weit überragte, wie in dem Glauben der Griechen der eine Gott den andern, müssten wir eine innere Unwahrschein- lichkeit darin erkennen, dass es dem Euphranor nicht ge- lungen sein sollte, in seinem Werke dieses bereits festste- hende Verhältniss zu bewahren, sofern es sich eben nicht um die Lösung eines durchaus neuen Problems handelte. Dies ist aber der Fall, sofern wir annehmen, dass es dem Künstler nicht vorzugsweise um eine Steigerung des gei- stigen Ausdrucks, sondern des Ausdrucks körperlicher Kraft und Gewalt zu thun war. Hier lag es allerdings nahe, den Poseidon, welcher von seiner elementaren Natur in Mythus und Kunst weit mehr bewahrt hatte, als sein mehr vergei- stigter Bruder, mit einer solchen Fülle körperlicher Majestät (excellentissimis maiestatis coloribus) zu bekleiden, dass es dem Künstler, wenn er eben nicht im Gebiete des Geistigen das Gegengewicht suchen wollte, schwer werden mochte, sich in der eingeschlagenen Richtung noch zu überbieten. Wir betrachten also Euphranor als den Begründer einer wesentlich neuen Kunstrichtung, auf welche die Prädicate der Grossartigkeit und Würde (_ ) in bestimmter Beschränkung auf die Auffassung der körper- lichen Erscheinung eben so angewendet werden dürfen, wie sie der Kunst des Phidias im höheren idealeren Sinne beige- legt werden. Und so konnte Varro 2) dem Kleinkünstler 1) de invent. II, 1. 2) fragm. p. 236 ed. Bipont.; bei Charisius p. 72 ed. Lindemann.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/207>, abgerufen am 28.11.2024.