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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus
sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl
angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die
Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als
ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des
Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie
man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei-
lich glauben musste.

Indessen werden auch die bisher angeführten Belege
hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns
aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern
auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen.
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge-
fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor-
liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner-
kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös-
seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu
legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes
Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar-
stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be-
trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite
ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen
Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den
Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der
Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si-
tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn
wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme
der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle
andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine
Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass
die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst-
lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der-
selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein
musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus-
drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft,
als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim-
mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem-
pfinden
versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich
wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler
der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die

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glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus
sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl
angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die
Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als
ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des
Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie
man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei-
lich glauben musste.

Indessen werden auch die bisher angeführten Belege
hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns
aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern
auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen.
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge-
fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor-
liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner-
kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös-
seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu
legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes
Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar-
stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be-
trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite
ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen
Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den
Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der
Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si-
tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn
wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme
der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle
andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine
Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass
die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst-
lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der-
selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein
musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus-
drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft,
als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim-
mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem-
pfinden
versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich
wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler
der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die

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[179/0196] glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei- lich glauben musste. Indessen werden auch die bisher angeführten Belege hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen. Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge- fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor- liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner- kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös- seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar- stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be- trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si- tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst- lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der- selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus- drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft, als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim- mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem- pfinden versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die 12*

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/196>, abgerufen am 29.11.2024.