glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei- lich glauben musste.
Indessen werden auch die bisher angeführten Belege hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen. Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge- fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor- liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner- kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös- seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar- stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be- trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si- tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst- lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der- selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus- drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft, als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim- mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem- pfinden versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die
12*
glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei- lich glauben musste.
Indessen werden auch die bisher angeführten Belege hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen. Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge- fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor- liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner- kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös- seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar- stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be- trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si- tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst- lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der- selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus- drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft, als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim- mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem- pfinden versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die
12*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0196"n="179"/>
glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus<lb/>
sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl<lb/>
angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die<lb/>
Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als<lb/>
ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des<lb/>
Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie<lb/>
man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei-<lb/>
lich glauben musste.</p><lb/><p>Indessen werden auch die bisher angeführten Belege<lb/>
hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns<lb/>
aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern<lb/>
auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen.<lb/>
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge-<lb/>
fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor-<lb/>
liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner-<lb/>
kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös-<lb/>
seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu<lb/>
legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes<lb/>
Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar-<lb/>
stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be-<lb/>
trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite<lb/>
ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen<lb/>
Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den<lb/>
Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der<lb/>
Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si-<lb/>
tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn<lb/>
wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme<lb/>
der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle<lb/>
andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine<lb/>
Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass<lb/>
die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst-<lb/>
lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der-<lb/>
selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein<lb/>
musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus-<lb/>
drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft,<lb/>
als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim-<lb/>
mung, welche den darzustellenden Ausdruck <hirendition="#g">nachzuem-<lb/>
pfinden</hi> versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich<lb/>
wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler<lb/>
der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">12*</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[179/0196]
glaubt, der ohne Rast vorwärts strebende Blick des Theseus
sind Züge, welche der Eigenthümlichkeit des Künstlers wohl
angemessen wären. Aber dieser Vermuthung fehlt jetzt die
Sicherheit der Grundlage um so mehr, als es nicht mehr als
ausgemacht gelten kann, dass in dem berühmten Bilde des
Dionysos von Aristides auch Ariadne dargestellt war, wie
man nach der früher bei Plinius aufgenommenen Lesart frei-
lich glauben musste.
Indessen werden auch die bisher angeführten Belege
hinreichen, nicht nur die Bestätigung des von Plinius uns
aufbewahrten Urtheils im Allgemeinen zu gewähren, sondern
auch das Verständniss desselben noch schärfer zu begrenzen.
Denn fassen wir die Aeusserungen des Gemüths- und Ge-
fühlslebens, wie sie in den Werken des Aristides mit Vor-
liebe ausgeprägt sind, näher ins Auge, so werden wir aner-
kennen müssen, dass bei ihrer Darstellung ein weit grös-
seres Gewicht auf den Ausdruck, als auf die Handlung zu
legen ist. Zwar wird von Aristides auch ein berühmtes
Schlachtbild angeführt; aber wenn auch in diesem die Dar-
stellung der Handlung nicht als etwas Untergeordnetes be-
trachtet werden kann, so leuchtet doch auf der andern Seite
ein, welches weite Feld gerade hierbei für den pathetischen
Ausdruck sich öffnete. Am meisten charakteristisch für den
Künstler sind doch aber immer Werke, wie der Betende, der
Kranke, die sterbende Mutter, also Stoffe, in denen die Si-
tuation nach ihren Hauptmotiven durchaus einfach ist. Wenn
wir nun ferner in Betracht ziehen, dass mit einziger Ausnahme
der wenigen Worte über Härte in den Farben Plinius über alle
andern Seiten der technisch-künstlerischen Behandlung keine
Bemerkung macht, so können wir auch daraus folgern, dass
die Bedeutung des Ausdrucks Alles, was wir unter künst-
lerischem Machwerk verstehen, weit überwog, ja dass der-
selbe von letzterem in gewissem Sinne unabhängig sein
musste. Und in der That beruht die Darstellung solchen Aus-
drucks nicht so nothwendig auf technischer Meisterschaft,
als auf einem sympathetischen Gefühl, auf einer Seelenstim-
mung, welche den darzustellenden Ausdruck nachzuem-
pfinden versteht. Die Wahrheit dieser Behauptung hat sich
wohl nirgends so augenfällig bewährt, als an einem Künstler
der christlichen Zeit, an Beato Angelico da Fiesole: die
12*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/196>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.