dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu- thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand- schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be- deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er- warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat zwar Letronne1) jede Beziehung der [fremdsprachliches Material - fehlt] auf die Dar- stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein- fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn wohl hier, wie auch Welcker meint,2) der Eifer des Wider- spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette's zu weit getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto3) ver- gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias [p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden. Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich- tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich- tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur- theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh- rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen
1) Appendice aux lettres d'un antiq. p. 9 sqq.
2) Ztschr. f. Altw. 1837. N. 83.
3) epist. p. 170 ed. Rom.
dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu- thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand- schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be- deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er- warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat zwar Letronne1) jede Beziehung der [fremdsprachliches Material – fehlt] auf die Dar- stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein- fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn wohl hier, wie auch Welcker meint,2) der Eifer des Wider- spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto3) ver- gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias [p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden. Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich- tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich- tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur- theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh- rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen
1) Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq.
2) Ztschr. f. Altw. 1837. N. 83.
3) epist. p. 170 ed. Rom.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0170"n="153"/>
dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu-<lb/>
thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand-<lb/>
schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be-<lb/>
deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen<lb/>
wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er-<lb/>
warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu<lb/>
dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger<lb/>
auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat<lb/>
zwar Letronne<noteplace="foot"n="1)">Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq.</note> jede Beziehung der <foreignxml:lang="gre"><gapreason="fm"unit="words"/></foreign> auf die Dar-<lb/>
stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein-<lb/>
fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn<lb/>
wohl hier, wie auch Welcker meint,<noteplace="foot"n="2)">Ztschr. f. Altw. 1837.<lb/>
N. 83.</note> der Eifer des Wider-<lb/>
spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit<lb/>
getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto<noteplace="foot"n="3)">epist. p. 170 ed. Rom.</note> ver-<lb/>
gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein<lb/>
würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias<lb/>
[p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange<lb/>
voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene<lb/>
Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann<lb/>
also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden.<lb/>
Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich-<lb/>
tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr<lb/>
zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so<lb/>
könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte<lb/>
jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer<lb/>
Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs<lb/>
ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich-<lb/>
tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht<lb/>
rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher<lb/>
Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen<lb/>
die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur-<lb/>
theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden<lb/>
Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine<lb/>
sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten<lb/>
dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er<lb/>
von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh-<lb/>
rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[153/0170]
dessen Stelle schon Sillig den Namen des Pausias vermu-
thete, wie ich glaube, mit Recht, wenn auch die Hand-
schriften dagegen sprechen. Denn in der Gesellchaft so be-
deutender Künstler, wie Aristides und Nikophanes dürfen
wir wohl als dritten ebenfalls einen bekannten Namen er-
warten; und da Nikophanes, der Schüler des Pausias, zu
dieser Klasse von Malern gehört, so kann es um so weniger
auffallen, auch den Lehrer darunter zu finden. Nun hat
zwar Letronne 1) jede Beziehung der _ auf die Dar-
stellung obscöner Gegenstände ableugnen und in ihnen ein-
fach Maler berühmter Hetären sehen wollen. Doch hat ihn
wohl hier, wie auch Welcker meint, 2) der Eifer des Wider-
spruchs gegen die Uebertreibungen Raoul-Rochette’s zu weit
getrieben. Denn wenn in einer Stelle des Fronto 3) ver-
gleichsweise darauf hingedeutet wird, wie unpassend es sein
würde zu verlangen, dass Euphranor lasciva, Pausias
[p]roel[i]a male, so müssen wir nach dem Zusammenhange
voraussetzen, dass dem einen die dem andern abgesprochene
Eigenschaft wirklich zukomme. Ganz freigesprochen kann
also Pausias von jenem Vorwurfe auf keinen Fall werden.
Wie nun über Parrhasios, der Einzelnes in dieser Rich-
tung gearbeitet hatte, bemerkt ward, er habe es mehr
zur Erholung und als muthwilligen Scherz betrieben, so
könnte man vielleicht von Pausias dasselbe annehmen. Sollte
jedoch auch Pausias ernsthafter und mit mehr künstlerischer
Prätension hierbei verfahren sein, obwohl er ja keineswegs
ausschliesslich oder auch nur vorzugsweise in dieser Rich-
tung sich bewegte, so können wir ihn darüber freilich nicht
rechtfertigen, aber eben so wenig dürfen wir wegen solcher
Auswüchse in einer Zeit gelockerter Sitten sofort gegen
die griechische Kunst im Allgemeinen ein Verdammungsur-
theil auszusprechen uns für berechtigt halten. Auf jeden
Fall tritt auch bei Pausias dieser gelinde Makel gegen seine
sonstigen Verdienste in den Hintergrund. Wir bestimmten
dieselben zu Anfang unserer Erörterungen dahin, dass er
von den theoretischen Studien und Forschungen seines Leh-
rers die umfassendsten praktischen Anwendungen zu machen
1) Appendice aux lettres d’un antiq. p. 9 sqq.
2) Ztschr. f. Altw. 1837.
N. 83.
3) epist. p. 170 ed. Rom.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/170>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.