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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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wickelung noch immer bedeutsam genug erscheinen. Erin-
nern wir uns nur des Zustandes der Kunst, wie sie sich
durch Zeuxis und Parrhasios ausgebildet hatte, so konnten
wir trotz der glänzenden Erfolge derselben uns nicht ver-
hehlen, dass in ihren Bestrebungen bereits zahlreiche Keime
der Ausartung enthalten waren. Wie überhaupt, und nament-
lich in Kleinasien, die alte Strenge in Leben und Sitte da-
mals schon gelockert war, so vermissen wir auch in der
Malerei den sittlichen Ernst und die geistige Tiefe der Auf-
fassung, welche der älteren Kunst eigen waren. Namentlich
spricht sich in den alles geistigen Gehaltes baaren Kunst-
stücken, durch welche einer den andern zu überbieten
trachtet, deutlich aus, wie die höheren geistigen Forderungen
immer mehr dem Scheine, dem Reiz der Sinne geopfert
wurden. Dass unter solchen Verhältnissen der Verfall nicht
sofort klar und sichtbar an das Licht trat, hatte gewiss nur
in der sonstigen persönlichen Bedeutung und Befähigung
jener Künstler seinen Grund. Aber die Eigenschaften, wor-
auf ihre Vorzüge beruhten, die Feinheit des Blickes, die
Schärfe der Beobachtung, die Leichtigkeit der Auffassung, so
sehr sie auch einer Ausbildung fähig, ja bedürftig scheinen
mögen, sind doch mehr ein freies Geschenk der Natur, als
eine auf strengem Studium beruhende Tüchtigkeit; und der
Versuch, ohne diese Begabung die Erfolge der Meister zu
erzielen, wird daher auf Seite der Nachahmer nothwendig
zur Oberflächlichkeit, die in Aeusserlichkeiten schon das
Wesen erkannt zu haben glaubt, oder zu Uebertreibungen
führen, welche gerade das eigenthümliche, auf feiner Be-
grenzung beruhende Verdienst des Vorbildes durchaus auf-
heben. Wir dürfen hieraus den Schluss ziehen, dass es
nicht eine zufällige Lücke in unserer Ueberlieferung ist, wenn
wir nirgends erfahren, dass Schüler des Zeuxis oder Par-
rhasios zu Ruhm und Ansehen gelangt seien: denn eben das,
was die Meister auszeichnete, war nicht lehrbar, und ihr
Einfluss konnte daher nur ein mittelbarer oder beding-
ter sein.

Indem wir hier diese Verhältnisse bestimmter ins Auge
fassen, wird die Bedeutung des Pamphilos nur in ein um so
helleres Licht treten. Seine Stellung erscheint jetzt wie durch
den Gegensatz hervorgerufen, als die Wirkung einer heil-

wickelung noch immer bedeutsam genug erscheinen. Erin-
nern wir uns nur des Zustandes der Kunst, wie sie sich
durch Zeuxis und Parrhasios ausgebildet hatte, so konnten
wir trotz der glänzenden Erfolge derselben uns nicht ver-
hehlen, dass in ihren Bestrebungen bereits zahlreiche Keime
der Ausartung enthalten waren. Wie überhaupt, und nament-
lich in Kleinasien, die alte Strenge in Leben und Sitte da-
mals schon gelockert war, so vermissen wir auch in der
Malerei den sittlichen Ernst und die geistige Tiefe der Auf-
fassung, welche der älteren Kunst eigen waren. Namentlich
spricht sich in den alles geistigen Gehaltes baaren Kunst-
stücken, durch welche einer den andern zu überbieten
trachtet, deutlich aus, wie die höheren geistigen Forderungen
immer mehr dem Scheine, dem Reiz der Sinne geopfert
wurden. Dass unter solchen Verhältnissen der Verfall nicht
sofort klar und sichtbar an das Licht trat, hatte gewiss nur
in der sonstigen persönlichen Bedeutung und Befähigung
jener Künstler seinen Grund. Aber die Eigenschaften, wor-
auf ihre Vorzüge beruhten, die Feinheit des Blickes, die
Schärfe der Beobachtung, die Leichtigkeit der Auffassung, so
sehr sie auch einer Ausbildung fähig, ja bedürftig scheinen
mögen, sind doch mehr ein freies Geschenk der Natur, als
eine auf strengem Studium beruhende Tüchtigkeit; und der
Versuch, ohne diese Begabung die Erfolge der Meister zu
erzielen, wird daher auf Seite der Nachahmer nothwendig
zur Oberflächlichkeit, die in Aeusserlichkeiten schon das
Wesen erkannt zu haben glaubt, oder zu Uebertreibungen
führen, welche gerade das eigenthümliche, auf feiner Be-
grenzung beruhende Verdienst des Vorbildes durchaus auf-
heben. Wir dürfen hieraus den Schluss ziehen, dass es
nicht eine zufällige Lücke in unserer Ueberlieferung ist, wenn
wir nirgends erfahren, dass Schüler des Zeuxis oder Par-
rhasios zu Ruhm und Ansehen gelangt seien: denn eben das,
was die Meister auszeichnete, war nicht lehrbar, und ihr
Einfluss konnte daher nur ein mittelbarer oder beding-
ter sein.

Indem wir hier diese Verhältnisse bestimmter ins Auge
fassen, wird die Bedeutung des Pamphilos nur in ein um so
helleres Licht treten. Seine Stellung erscheint jetzt wie durch
den Gegensatz hervorgerufen, als die Wirkung einer heil-

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[138/0155] wickelung noch immer bedeutsam genug erscheinen. Erin- nern wir uns nur des Zustandes der Kunst, wie sie sich durch Zeuxis und Parrhasios ausgebildet hatte, so konnten wir trotz der glänzenden Erfolge derselben uns nicht ver- hehlen, dass in ihren Bestrebungen bereits zahlreiche Keime der Ausartung enthalten waren. Wie überhaupt, und nament- lich in Kleinasien, die alte Strenge in Leben und Sitte da- mals schon gelockert war, so vermissen wir auch in der Malerei den sittlichen Ernst und die geistige Tiefe der Auf- fassung, welche der älteren Kunst eigen waren. Namentlich spricht sich in den alles geistigen Gehaltes baaren Kunst- stücken, durch welche einer den andern zu überbieten trachtet, deutlich aus, wie die höheren geistigen Forderungen immer mehr dem Scheine, dem Reiz der Sinne geopfert wurden. Dass unter solchen Verhältnissen der Verfall nicht sofort klar und sichtbar an das Licht trat, hatte gewiss nur in der sonstigen persönlichen Bedeutung und Befähigung jener Künstler seinen Grund. Aber die Eigenschaften, wor- auf ihre Vorzüge beruhten, die Feinheit des Blickes, die Schärfe der Beobachtung, die Leichtigkeit der Auffassung, so sehr sie auch einer Ausbildung fähig, ja bedürftig scheinen mögen, sind doch mehr ein freies Geschenk der Natur, als eine auf strengem Studium beruhende Tüchtigkeit; und der Versuch, ohne diese Begabung die Erfolge der Meister zu erzielen, wird daher auf Seite der Nachahmer nothwendig zur Oberflächlichkeit, die in Aeusserlichkeiten schon das Wesen erkannt zu haben glaubt, oder zu Uebertreibungen führen, welche gerade das eigenthümliche, auf feiner Be- grenzung beruhende Verdienst des Vorbildes durchaus auf- heben. Wir dürfen hieraus den Schluss ziehen, dass es nicht eine zufällige Lücke in unserer Ueberlieferung ist, wenn wir nirgends erfahren, dass Schüler des Zeuxis oder Par- rhasios zu Ruhm und Ansehen gelangt seien: denn eben das, was die Meister auszeichnete, war nicht lehrbar, und ihr Einfluss konnte daher nur ein mittelbarer oder beding- ter sein. Indem wir hier diese Verhältnisse bestimmter ins Auge fassen, wird die Bedeutung des Pamphilos nur in ein um so helleres Licht treten. Seine Stellung erscheint jetzt wie durch den Gegensatz hervorgerufen, als die Wirkung einer heil-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/155>, abgerufen am 30.11.2024.