der höchste Reiz der sinnlichen Erscheinung, wie bei der Aphrodite des Apelles, oder der Ausdruck heroischer Kraft, wie in dem Theseus des Euphranor; dort ist es die Schilde- rung der mannigfaltigsten Stimmungen der Seele und des Gemüthes; anderwärts wieder liegt das Verdienst in den schlagenden Gegensätzen widersprechender Charaktere, in den durch sie herbeigeführten Conflicten und deren über- raschender Lösung: also in Momenten, welche auch unab- hängig von der bestimmten mythologischen Handlung oder Situation wiederkehren könnten. Wir wollen diese Leistun- gen keineswegs gering anschlagen; aber hier, wo es sich um ihre historische Würdigung handelt, dürfen wir doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass von jener tief religiösen Auffassung, von jenem Ethos der polygnotischen Kunst, wenigstens so weit die uns erhaltenen Nachrichten reichen, in der vorliegenden Periode keine Spur mehr zu finden ist, ja fast möchten wir sagen, sich nicht finden kann: denn sie sind überhaupt aus dem griechischen Leben dieser Zeit verschwunden und haben häufig sogar gerade entgegengesetzten Geistesrichtungen Platz gemacht. Was über die pornographoi mehr angedeutet, als bestimmt ausge- sprochen wird, kann immerhin zum Belege dienen, dass die Kunst auch von diesem Wechsel der sittlichen Anschauungen nicht unberührt geblieben ist. -- Minder ungünstig wird derselbe begreiflicher Weise auf die eigentliche Historien- malerei eingewirkt haben. Ja wenn wir an die maratho- nische Schlacht in der Poikile zurückdenken, in welcher Götter und Dämonen mit den Sterblichen gemischt erschie- nen, so dürfte man fast dieses Gemälde, wenn auch nicht dem Stoffe, so doch der Auffassung nach, der Klasse der religiös-mythologischen Werke beizählen, und die eigentliche Historienmalerei überhaupt erst in die spätere Periode setzen. Leider sind nur unsere Nachrichten zu lückenhaft, um ein umfassendes Urtheil zu begründen. Ja wenn auch von Pam- philos, Philoxenos, Euphranor, Helena u. a. Schlachtbilder und zuweilen in besonders rühmender Weise angeführt wer- den, so würden wir doch ohne das uns erhaltene Mosaik der Alexanderschlacht durchaus nicht im Stande sein, von den Leistungen der Griechen auf diesem Gebiete uns einen auch nur annähernd richtigen Begriff zu machen. Hier sei
der höchste Reiz der sinnlichen Erscheinung, wie bei der Aphrodite des Apelles, oder der Ausdruck heroischer Kraft, wie in dem Theseus des Euphranor; dort ist es die Schilde- rung der mannigfaltigsten Stimmungen der Seele und des Gemüthes; anderwärts wieder liegt das Verdienst in den schlagenden Gegensätzen widersprechender Charaktere, in den durch sie herbeigeführten Conflicten und deren über- raschender Lösung: also in Momenten, welche auch unab- hängig von der bestimmten mythologischen Handlung oder Situation wiederkehren könnten. Wir wollen diese Leistun- gen keineswegs gering anschlagen; aber hier, wo es sich um ihre historische Würdigung handelt, dürfen wir doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass von jener tief religiösen Auffassung, von jenem Ethos der polygnotischen Kunst, wenigstens so weit die uns erhaltenen Nachrichten reichen, in der vorliegenden Periode keine Spur mehr zu finden ist, ja fast möchten wir sagen, sich nicht finden kann: denn sie sind überhaupt aus dem griechischen Leben dieser Zeit verschwunden und haben häufig sogar gerade entgegengesetzten Geistesrichtungen Platz gemacht. Was über die ποϱνογϱάφοι mehr angedeutet, als bestimmt ausge- sprochen wird, kann immerhin zum Belege dienen, dass die Kunst auch von diesem Wechsel der sittlichen Anschauungen nicht unberührt geblieben ist. — Minder ungünstig wird derselbe begreiflicher Weise auf die eigentliche Historien- malerei eingewirkt haben. Ja wenn wir an die maratho- nische Schlacht in der Poikile zurückdenken, in welcher Götter und Dämonen mit den Sterblichen gemischt erschie- nen, so dürfte man fast dieses Gemälde, wenn auch nicht dem Stoffe, so doch der Auffassung nach, der Klasse der religiös-mythologischen Werke beizählen, und die eigentliche Historienmalerei überhaupt erst in die spätere Periode setzen. Leider sind nur unsere Nachrichten zu lückenhaft, um ein umfassendes Urtheil zu begründen. Ja wenn auch von Pam- philos, Philoxenos, Euphranor, Helena u. a. Schlachtbilder und zuweilen in besonders rühmender Weise angeführt wer- den, so würden wir doch ohne das uns erhaltene Mosaik der Alexanderschlacht durchaus nicht im Stande sein, von den Leistungen der Griechen auf diesem Gebiete uns einen auch nur annähernd richtigen Begriff zu machen. Hier sei
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der höchste Reiz der sinnlichen Erscheinung, wie bei der
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rung der mannigfaltigsten Stimmungen der Seele und des
Gemüthes; anderwärts wieder liegt das Verdienst in den
schlagenden Gegensätzen widersprechender Charaktere, in
den durch sie herbeigeführten Conflicten und deren über-
raschender Lösung: also in Momenten, welche auch unab-
hängig von der bestimmten mythologischen Handlung oder
Situation wiederkehren könnten. Wir wollen diese Leistun-
gen keineswegs gering anschlagen; aber hier, wo es sich
um ihre historische Würdigung handelt, dürfen wir doch
nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass von jener tief
religiösen Auffassung, von jenem Ethos der polygnotischen
Kunst, wenigstens so weit die uns erhaltenen Nachrichten
reichen, in der vorliegenden Periode keine Spur mehr zu
finden ist, ja fast möchten wir sagen, sich nicht finden
kann: denn sie sind überhaupt aus dem griechischen Leben
dieser Zeit verschwunden und haben häufig sogar gerade
entgegengesetzten Geistesrichtungen Platz gemacht. Was
über die ποϱνογϱάφοι mehr angedeutet, als bestimmt ausge-
sprochen wird, kann immerhin zum Belege dienen, dass die
Kunst auch von diesem Wechsel der sittlichen Anschauungen
nicht unberührt geblieben ist. — Minder ungünstig wird
derselbe begreiflicher Weise auf die eigentliche Historien-
malerei eingewirkt haben. Ja wenn wir an die maratho-
nische Schlacht in der Poikile zurückdenken, in welcher
Götter und Dämonen mit den Sterblichen gemischt erschie-
nen, so dürfte man fast dieses Gemälde, wenn auch nicht
dem Stoffe, so doch der Auffassung nach, der Klasse der
religiös-mythologischen Werke beizählen, und die eigentliche
Historienmalerei überhaupt erst in die spätere Periode setzen.
Leider sind nur unsere Nachrichten zu lückenhaft, um ein
umfassendes Urtheil zu begründen. Ja wenn auch von Pam-
philos, Philoxenos, Euphranor, Helena u. a. Schlachtbilder
und zuweilen in besonders rühmender Weise angeführt wer-
den, so würden wir doch ohne das uns erhaltene Mosaik
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/277>, abgerufen am 24.11.2024.
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