sung eine in allen Einzelnheiten individualisirte Durchfüh- rung keineswegs Bedürfniss war, vielmehr zuweilen absicht- lich andern Gesichtspunkten geopfert werden musste. Und dass Apelles so dachte, dürfen wir um so eher glauben, als an keinem der vielen Bildnisse von der Hand des Apelles die Feinheit der Individualisirung irgend wie hervorgehoben wird. Dagegen müssen wir darauf einigen Nachdruck legen, dass bei mehreren Portraits Plinius nicht einfach die Namen der dargestellten Personen, sondern noch Nebenumstände der Darstellung anführt: "Kleitos, der mit dem Rosse zum Kriege eilt, und sein Knappe, der ihm auf sein Verlangen den Helm reicht," "Neoptolemos vom Rosse aus gegen die Perser (kämpfend?), Antigonos mit dem Rosse vorschreitend." Mich erinnern diese Reitergestalten unwillkürlich an das David'sche Bild Napoleons beim Uebergange über die Alpen. Denn auch in diesem ist eine durchgehende Individualisirung nicht Hauptzweck; eben so wenig lässt sich von einer eigentlichen Handlung sprechen; sondern historische Umstände sind nur zur Umgebung, zur symbolischen Andeutung benutzt, um die dargestellte Person in ihrer historischen Bedeutung, als Träger oder als die Verkörperung eines welthistorischen Gedankens hinzustellen. Wenn wir also hier alle Eigen- thümlichkeiten der Geistesrichtung des Apelles wiederfinden, so dürfen wir wohl auch umgekehrt nach diesem Muster uns jene Winke des Plinius deuten und jene Portraits nach unserer heutigen Kunstsprache wenigstens als historische im höheren Sinne bezeichnen. Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, wenn sich uns zur Vergleichung mit Apelles gerade Werke moderner Kunstschulen darbieten, und möchte darum unter diesem Gesichtspunkte die Aufmerksamkeit noch auf eine andere, von Plinius nur kurz angedeutete Gattung von Schöpfungen richten, welche unter den Werken des Apelles scheinbar ganz vereinzelt stehen und uns daher um so mehr überraschen müssen: ich meine die Bilder von Sterbenden. Denn wenn die Bezeichnung des Gegenstandes auf eine Ver- wandtschaft mit der Kunstrichtung des Aristides hinzudeuten scheinen könnte, so widerspricht dieser Annahme durchaus alles, was wir über die Werke des Apelles wissen. Nirgends finden wir, dass jenes psychologische Element, jene zarteren Abstufungen im Ausdrucke des Gefühls- und Seelenlebens
sung eine in allen Einzelnheiten individualisirte Durchfüh- rung keineswegs Bedürfniss war, vielmehr zuweilen absicht- lich andern Gesichtspunkten geopfert werden musste. Und dass Apelles so dachte, dürfen wir um so eher glauben, als an keinem der vielen Bildnisse von der Hand des Apelles die Feinheit der Individualisirung irgend wie hervorgehoben wird. Dagegen müssen wir darauf einigen Nachdruck legen, dass bei mehreren Portraits Plinius nicht einfach die Namen der dargestellten Personen, sondern noch Nebenumstände der Darstellung anführt: „Kleitos, der mit dem Rosse zum Kriege eilt, und sein Knappe, der ihm auf sein Verlangen den Helm reicht,“ „Neoptolemos vom Rosse aus gegen die Perser (kämpfend?), Antigonos mit dem Rosse vorschreitend.“ Mich erinnern diese Reitergestalten unwillkürlich an das David’sche Bild Napoleons beim Uebergange über die Alpen. Denn auch in diesem ist eine durchgehende Individualisirung nicht Hauptzweck; eben so wenig lässt sich von einer eigentlichen Handlung sprechen; sondern historische Umstände sind nur zur Umgebung, zur symbolischen Andeutung benutzt, um die dargestellte Person in ihrer historischen Bedeutung, als Träger oder als die Verkörperung eines welthistorischen Gedankens hinzustellen. Wenn wir also hier alle Eigen- thümlichkeiten der Geistesrichtung des Apelles wiederfinden, so dürfen wir wohl auch umgekehrt nach diesem Muster uns jene Winke des Plinius deuten und jene Portraits nach unserer heutigen Kunstsprache wenigstens als historische im höheren Sinne bezeichnen. Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, wenn sich uns zur Vergleichung mit Apelles gerade Werke moderner Kunstschulen darbieten, und möchte darum unter diesem Gesichtspunkte die Aufmerksamkeit noch auf eine andere, von Plinius nur kurz angedeutete Gattung von Schöpfungen richten, welche unter den Werken des Apelles scheinbar ganz vereinzelt stehen und uns daher um so mehr überraschen müssen: ich meine die Bilder von Sterbenden. Denn wenn die Bezeichnung des Gegenstandes auf eine Ver- wandtschaft mit der Kunstrichtung des Aristides hinzudeuten scheinen könnte, so widerspricht dieser Annahme durchaus alles, was wir über die Werke des Apelles wissen. Nirgends finden wir, dass jenes psychologische Element, jene zarteren Abstufungen im Ausdrucke des Gefühls- und Seelenlebens
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sung eine in allen Einzelnheiten individualisirte Durchfüh-
rung keineswegs Bedürfniss war, vielmehr zuweilen absicht-
lich andern Gesichtspunkten geopfert werden musste. Und
dass Apelles so dachte, dürfen wir um so eher glauben, als
an keinem der vielen Bildnisse von der Hand des Apelles
die Feinheit der Individualisirung irgend wie hervorgehoben
wird. Dagegen müssen wir darauf einigen Nachdruck legen,
dass bei mehreren Portraits Plinius nicht einfach die Namen
der dargestellten Personen, sondern noch Nebenumstände der
Darstellung anführt: „Kleitos, der mit dem Rosse zum Kriege
eilt, und sein Knappe, der ihm auf sein Verlangen den Helm
reicht,“ „Neoptolemos vom Rosse aus gegen die Perser
(kämpfend?), Antigonos mit dem Rosse vorschreitend.“ Mich
erinnern diese Reitergestalten unwillkürlich an das David’sche
Bild Napoleons beim Uebergange über die Alpen. Denn
auch in diesem ist eine durchgehende Individualisirung nicht
Hauptzweck; eben so wenig lässt sich von einer eigentlichen
Handlung sprechen; sondern historische Umstände sind nur
zur Umgebung, zur symbolischen Andeutung benutzt, um
die dargestellte Person in ihrer historischen Bedeutung, als
Träger oder als die Verkörperung eines welthistorischen
Gedankens hinzustellen. Wenn wir also hier alle Eigen-
thümlichkeiten der Geistesrichtung des Apelles wiederfinden,
so dürfen wir wohl auch umgekehrt nach diesem Muster
uns jene Winke des Plinius deuten und jene Portraits nach
unserer heutigen Kunstsprache wenigstens als historische im
höheren Sinne bezeichnen. Ich glaube nicht, dass es Zufall
ist, wenn sich uns zur Vergleichung mit Apelles gerade
Werke moderner Kunstschulen darbieten, und möchte darum
unter diesem Gesichtspunkte die Aufmerksamkeit noch auf
eine andere, von Plinius nur kurz angedeutete Gattung von
Schöpfungen richten, welche unter den Werken des Apelles
scheinbar ganz vereinzelt stehen und uns daher um so mehr
überraschen müssen: ich meine die Bilder von Sterbenden.
Denn wenn die Bezeichnung des Gegenstandes auf eine Ver-
wandtschaft mit der Kunstrichtung des Aristides hinzudeuten
scheinen könnte, so widerspricht dieser Annahme durchaus
alles, was wir über die Werke des Apelles wissen. Nirgends
finden wir, dass jenes psychologische Element, jene zarteren
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/227>, abgerufen am 24.11.2024.
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