der Gesichtsbildung, das Zurück-, Auf- und Herunterblicken; er schied in den Hauptgliedern die feineren Theile, hob die Adern hervor, und erfand in der Bekleidung die Bezeichnung der Falten und Busen." Die meiste Schwierigkeit in der Er- klärung dieser Worte hat der Ausdruck catagrapha gemacht; und man hat wohl darüber gestritten, ob nicht etwa Plinius selbst das Wort falsch aufgefasst habe, oder ob nicht die Uebersetzung obliquas imagines eine Interpolation sei. Beide Einwürfe scheinen mir unbegründet: catagrapha bedeutet Pro- fil, und obliquae imagines ist die richtige Uebersetzung dieses Wortes, wofür den Beweis die Erzählung des Plinius 1) über ein Portrait des Antigonos liefert, welches Apelles, um den Mangel des einen Auges zu verbergen, im Profil malte. Um aber die Angabe des Plinius richtig zu würdigen, müssen wir wiederum zu den Vasen unsere Zuflucht nehmen. Auf ihnen, wird man sagen, ist die Profilbildung seit den ältesten Zeiten durchaus Regel. Allerdings; streng genommen aber doch nur im uneigentlichen Sinne; genauer müssten wir nicht von Profilbildern, sondern von Silhouetten sprechen, in denen ausser dem Contour noch andere Formen durch Linien bezeichnet sind: liniis intus sparsis, wie Plinius von der Malerei des Aridikes und Telephanes bemerkt. Das eigentliche Profil unterscheidet sich davon hauptsächlich in der Bildung des Auges. Dieses aber erscheint auf den Vasen alten Stils stets so gezeichnet, als sei es von vorn gesehen. Erkennen wir es nun als das Verdienst des Kimon an, dass er in der Zeich- nung des Auges zu naturgemässer Richtigkeit sich erhob, so war damit ein höchst wesentlicher Fortschritt gewonnen. Denn erst dadurch ward möglich, was als das weitere Ver- dienst des Kimon geschildert wird, das Antlitz mannigfaltig zu bilden, im Zurück-, Auf- oder Herunterblicken: alles Aus- drucksweisen, die lediglich auf der Zeichnung des Auges be- ruhen. Denn an blosse Wendungen des ganzen Kopfes zu denken, erlaubt der Ausdruck varie formare voltus nicht, welcher bestimmt auf den durch den Blick bedingten Aus- druck des Gesichtes hindeutet. Halten wir nun diese Bezie- hung auf eine feinere Durchbildung der Zeichnung fest, so werden uns auch die weiteren Angaben des Plinius leicht
1) 35, 90.
der Gesichtsbildung, das Zurück-, Auf- und Herunterblicken; er schied in den Hauptgliedern die feineren Theile, hob die Adern hervor, und erfand in der Bekleidung die Bezeichnung der Falten und Busen.“ Die meiste Schwierigkeit in der Er- klärung dieser Worte hat der Ausdruck catagrapha gemacht; und man hat wohl darüber gestritten, ob nicht etwa Plinius selbst das Wort falsch aufgefasst habe, oder ob nicht die Uebersetzung obliquas imagines eine Interpolation sei. Beide Einwürfe scheinen mir unbegründet: catagrapha bedeutet Pro- fil, und obliquae imagines ist die richtige Uebersetzung dieses Wortes, wofür den Beweis die Erzählung des Plinius 1) über ein Portrait des Antigonos liefert, welches Apelles, um den Mangel des einen Auges zu verbergen, im Profil malte. Um aber die Angabe des Plinius richtig zu würdigen, müssen wir wiederum zu den Vasen unsere Zuflucht nehmen. Auf ihnen, wird man sagen, ist die Profilbildung seit den ältesten Zeiten durchaus Regel. Allerdings; streng genommen aber doch nur im uneigentlichen Sinne; genauer müssten wir nicht von Profilbildern, sondern von Silhouetten sprechen, in denen ausser dem Contour noch andere Formen durch Linien bezeichnet sind: liniis intus sparsis, wie Plinius von der Malerei des Aridikes und Telephanes bemerkt. Das eigentliche Profil unterscheidet sich davon hauptsächlich in der Bildung des Auges. Dieses aber erscheint auf den Vasen alten Stils stets so gezeichnet, als sei es von vorn gesehen. Erkennen wir es nun als das Verdienst des Kimon an, dass er in der Zeich- nung des Auges zu naturgemässer Richtigkeit sich erhob, so war damit ein höchst wesentlicher Fortschritt gewonnen. Denn erst dadurch ward möglich, was als das weitere Ver- dienst des Kimon geschildert wird, das Antlitz mannigfaltig zu bilden, im Zurück-, Auf- oder Herunterblicken: alles Aus- drucksweisen, die lediglich auf der Zeichnung des Auges be- ruhen. Denn an blosse Wendungen des ganzen Kopfes zu denken, erlaubt der Ausdruck varie formare voltus nicht, welcher bestimmt auf den durch den Blick bedingten Aus- druck des Gesichtes hindeutet. Halten wir nun diese Bezie- hung auf eine feinere Durchbildung der Zeichnung fest, so werden uns auch die weiteren Angaben des Plinius leicht
1) 35, 90.
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[10/0018]
der Gesichtsbildung, das Zurück-, Auf- und Herunterblicken;
er schied in den Hauptgliedern die feineren Theile, hob die
Adern hervor, und erfand in der Bekleidung die Bezeichnung
der Falten und Busen.“ Die meiste Schwierigkeit in der Er-
klärung dieser Worte hat der Ausdruck catagrapha gemacht;
und man hat wohl darüber gestritten, ob nicht etwa Plinius
selbst das Wort falsch aufgefasst habe, oder ob nicht die
Uebersetzung obliquas imagines eine Interpolation sei. Beide
Einwürfe scheinen mir unbegründet: catagrapha bedeutet Pro-
fil, und obliquae imagines ist die richtige Uebersetzung dieses
Wortes, wofür den Beweis die Erzählung des Plinius 1) über
ein Portrait des Antigonos liefert, welches Apelles, um den
Mangel des einen Auges zu verbergen, im Profil malte. Um
aber die Angabe des Plinius richtig zu würdigen, müssen wir
wiederum zu den Vasen unsere Zuflucht nehmen. Auf ihnen,
wird man sagen, ist die Profilbildung seit den ältesten Zeiten
durchaus Regel. Allerdings; streng genommen aber doch
nur im uneigentlichen Sinne; genauer müssten wir nicht von
Profilbildern, sondern von Silhouetten sprechen, in denen ausser
dem Contour noch andere Formen durch Linien bezeichnet
sind: liniis intus sparsis, wie Plinius von der Malerei des
Aridikes und Telephanes bemerkt. Das eigentliche Profil
unterscheidet sich davon hauptsächlich in der Bildung des
Auges. Dieses aber erscheint auf den Vasen alten Stils stets
so gezeichnet, als sei es von vorn gesehen. Erkennen wir
es nun als das Verdienst des Kimon an, dass er in der Zeich-
nung des Auges zu naturgemässer Richtigkeit sich erhob, so
war damit ein höchst wesentlicher Fortschritt gewonnen.
Denn erst dadurch ward möglich, was als das weitere Ver-
dienst des Kimon geschildert wird, das Antlitz mannigfaltig
zu bilden, im Zurück-, Auf- oder Herunterblicken: alles Aus-
drucksweisen, die lediglich auf der Zeichnung des Auges be-
ruhen. Denn an blosse Wendungen des ganzen Kopfes zu
denken, erlaubt der Ausdruck varie formare voltus nicht,
welcher bestimmt auf den durch den Blick bedingten Aus-
druck des Gesichtes hindeutet. Halten wir nun diese Bezie-
hung auf eine feinere Durchbildung der Zeichnung fest, so
werden uns auch die weiteren Angaben des Plinius leicht
1) 35, 90.
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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