Partien des Körpers, wo es sich mehr um die Darstellung von Flächen handelte, minder tüchtig erschien.
Hiermit hängt aber auch das Lob zusammen, welches Plinius dem Parrhasios wegen der Behandlung des Haars ertheilt. Denn bei diesem machen sich dieselben Forde- rungen geltend, wie bei den Extremitäten: ja man könnte sagen, sie seien eine unendliche Zahl von Extremitäten. Aber freilich macht gerade diese Unendlichkeit die Nachahmung der Wirklichkeit in allen ihren Einzelnheiten noch mehr als sonst zur Unmöglichkeit. Die Kunst muss sich hier mit dem Scheine begnügen, indem sie sich darauf beschränkt, eines Theils den Wuchs des Haars in bestimmter Weise zu charakterisiren, andern Theils die Masse desselben in grös- sere und kleinere Partien zu sondern. Ersteres beruht we- sentlich auf der Zeichnung im engeren Sinne; das Zweite erheischt eine feine Beobachtung der Lichtwirkungen und Reflexe, wodurch allein es möglich wird, den Eindruck des Lockern, Leichten und Durchsichtigen aus der Wirklichkeit in das Kunstwerk zu übertragen. Indessen möchte der von Plinius gewählte Ausdruck elegantia das eigenthümliche Ver- dienst des Parrhasios nur zum Theil bezeichnen: denn aus der Weise, wie in dem oben angeführten Epigramme das wilde, verbrannte Haar des Philoktet geschildert wird, müs- sen wir schliessen, dass Parrhasios das Haar nicht als einen gleichgültigen Schmuck des Hauptes betrachtet, son- dern sich desselben zur schärferen Charakteristik, zur Ver- stärkung des geistigen Ausdrucks bedient habe.
Näheren Bezug auf den Letzteren nehmen schon die Worte, mit denen Plinius von den besonderen Verdiensten in der Bildung der Augen und des Mundes spricht: argutias voltus, venustatem oris. Aber auch sie hängen auf das Engste mit den bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten zu- sammen. Hinsichtlich des Mundes hatte schon Polygnot die aus einer leisen Oeffnung desselben entspringenden Vortheile erkannt; aber bei den ungenügenden technischen Mitteln seiner Zeit vermochte er dieselben nur in sehr bedingter Weise für sich zu benutzen. Ganz derselben Beschränkung müssen wir auch das Lob unterwerfen, dass er an die Stelle der alten Strenge eine grössere Mannigfaltigkeit im Aus- drucke der Gesichtszüge (voltum) setzte. Wenn nun Par-
Partien des Körpers, wo es sich mehr um die Darstellung von Flächen handelte, minder tüchtig erschien.
Hiermit hängt aber auch das Lob zusammen, welches Plinius dem Parrhasios wegen der Behandlung des Haars ertheilt. Denn bei diesem machen sich dieselben Forde- rungen geltend, wie bei den Extremitäten: ja man könnte sagen, sie seien eine unendliche Zahl von Extremitäten. Aber freilich macht gerade diese Unendlichkeit die Nachahmung der Wirklichkeit in allen ihren Einzelnheiten noch mehr als sonst zur Unmöglichkeit. Die Kunst muss sich hier mit dem Scheine begnügen, indem sie sich darauf beschränkt, eines Theils den Wuchs des Haars in bestimmter Weise zu charakterisiren, andern Theils die Masse desselben in grös- sere und kleinere Partien zu sondern. Ersteres beruht we- sentlich auf der Zeichnung im engeren Sinne; das Zweite erheischt eine feine Beobachtung der Lichtwirkungen und Reflexe, wodurch allein es möglich wird, den Eindruck des Lockern, Leichten und Durchsichtigen aus der Wirklichkeit in das Kunstwerk zu übertragen. Indessen möchte der von Plinius gewählte Ausdruck elegantia das eigenthümliche Ver- dienst des Parrhasios nur zum Theil bezeichnen: denn aus der Weise, wie in dem oben angeführten Epigramme das wilde, verbrannte Haar des Philoktet geschildert wird, müs- sen wir schliessen, dass Parrhasios das Haar nicht als einen gleichgültigen Schmuck des Hauptes betrachtet, son- dern sich desselben zur schärferen Charakteristik, zur Ver- stärkung des geistigen Ausdrucks bedient habe.
Näheren Bezug auf den Letzteren nehmen schon die Worte, mit denen Plinius von den besonderen Verdiensten in der Bildung der Augen und des Mundes spricht: argutias voltus, venustatem oris. Aber auch sie hängen auf das Engste mit den bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten zu- sammen. Hinsichtlich des Mundes hatte schon Polygnot die aus einer leisen Oeffnung desselben entspringenden Vortheile erkannt; aber bei den ungenügenden technischen Mitteln seiner Zeit vermochte er dieselben nur in sehr bedingter Weise für sich zu benutzen. Ganz derselben Beschränkung müssen wir auch das Lob unterwerfen, dass er an die Stelle der alten Strenge eine grössere Mannigfaltigkeit im Aus- drucke der Gesichtszüge (voltum) setzte. Wenn nun Par-
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Partien des Körpers, wo es sich mehr um die Darstellung
von Flächen handelte, minder tüchtig erschien.
Hiermit hängt aber auch das Lob zusammen, welches
Plinius dem Parrhasios wegen der Behandlung des Haars
ertheilt. Denn bei diesem machen sich dieselben Forde-
rungen geltend, wie bei den Extremitäten: ja man könnte
sagen, sie seien eine unendliche Zahl von Extremitäten. Aber
freilich macht gerade diese Unendlichkeit die Nachahmung
der Wirklichkeit in allen ihren Einzelnheiten noch mehr als
sonst zur Unmöglichkeit. Die Kunst muss sich hier mit
dem Scheine begnügen, indem sie sich darauf beschränkt,
eines Theils den Wuchs des Haars in bestimmter Weise zu
charakterisiren, andern Theils die Masse desselben in grös-
sere und kleinere Partien zu sondern. Ersteres beruht we-
sentlich auf der Zeichnung im engeren Sinne; das Zweite
erheischt eine feine Beobachtung der Lichtwirkungen und
Reflexe, wodurch allein es möglich wird, den Eindruck des
Lockern, Leichten und Durchsichtigen aus der Wirklichkeit
in das Kunstwerk zu übertragen. Indessen möchte der von
Plinius gewählte Ausdruck elegantia das eigenthümliche Ver-
dienst des Parrhasios nur zum Theil bezeichnen: denn aus
der Weise, wie in dem oben angeführten Epigramme das
wilde, verbrannte Haar des Philoktet geschildert wird, müs-
sen wir schliessen, dass Parrhasios das Haar nicht als
einen gleichgültigen Schmuck des Hauptes betrachtet, son-
dern sich desselben zur schärferen Charakteristik, zur Ver-
stärkung des geistigen Ausdrucks bedient habe.
Näheren Bezug auf den Letzteren nehmen schon die
Worte, mit denen Plinius von den besonderen Verdiensten
in der Bildung der Augen und des Mundes spricht: argutias
voltus, venustatem oris. Aber auch sie hängen auf das
Engste mit den bisher betrachteten Eigenthümlichkeiten zu-
sammen. Hinsichtlich des Mundes hatte schon Polygnot die
aus einer leisen Oeffnung desselben entspringenden Vortheile
erkannt; aber bei den ungenügenden technischen Mitteln
seiner Zeit vermochte er dieselben nur in sehr bedingter
Weise für sich zu benutzen. Ganz derselben Beschränkung
müssen wir auch das Lob unterwerfen, dass er an die Stelle
der alten Strenge eine grössere Mannigfaltigkeit im Aus-
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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