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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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durch die Beobachtung von Licht und Schatten. Wenn wir
nun behaupten, dass hierauf auch die an den Werken des
Parrhasios gerühmten Vorzüge in der Bildung der Extre-
mitäten beruhen, so kann es freilich scheinen, als geriethen
wir dadurch in Widerspruch mit den Zeugnissen des Alter-
thums, namentlich des Quintilian, 1) welcher dem Zeuxis im
Gegensatze zu Parrhasios das Verdienst beilegt, das Ver-
hältniss der Lichter und Schatten zuerst richtig erkannt zu
haben. Allein auch für diesen Widerspruch giebt es eine
Lösung: denn ich glaube schon früher nachgewiesen zu
haben, dass jenes Verdienst des Zeuxis besonders in der
Färbung zu suchen sei, d. h. in der richtigen Bestimmung
der Wirkungen, welche Licht und Schatten auf die Farbe
ausüben. Was Parrhasios erstrebte, ist dagegen von dieser
durchaus unabhängig. Er richtete sein Augenmerk auf die
Bedeutung von Licht und Schatten, insofern aus ihnen die
Beschaffenheit der Formen erkannt werden soll, oder, um
es mit einem neueren Kunstausdrucke zu bezeichnen: er
wurde durch die Sorgfalt der Zeichnung, welche jede Form
klar und bestimmt wiederzugeben strebt, auf Beobachtung
des Helldunkels wenigstens in den Extremitäten geführt.
Denn was man nach Plinius von ihrer Darstellung verlangen
muss, dass die Umrisse nicht abgeschnitten erscheinen, son-
dern dass jede Form sich abrunde, und das Auge aus der
Gestalt des ihm sichtbaren Theiles auf die von ihm abge-
wendeten schliessen könne, das zu erreichen, genügt noch
keineswegs die Kenntniss der einfachen oder directen Wir-
kungen des Lichtes. Ein der Wirklichkeit entsprechender
Eindruck entsteht in dem Kunstwerke erst durch die genaue
Beobachtung der Lichtbrechungen und Reflexe, welche sich
mehr oder minder an allen abgerundeten Körpern und zwar
ganz besonders gegen die Umrisse derselben hin zeigen
müssen. Sind diese nun an den Extremitäten wegen der
zahlreichen Gliederungen derselben am complicirtesten, so
erklärt sich daraus, wie der Künstler, welcher ihre Be-
deutung für die Malerei zuerst erkannt hatte, ihnen auch an
diesen Theilen vorzugsweise seine Aufmerksamkeit widmete,
während er "mit sich selbst verglichen" in den mittleren

1) XII, 10.

durch die Beobachtung von Licht und Schatten. Wenn wir
nun behaupten, dass hierauf auch die an den Werken des
Parrhasios gerühmten Vorzüge in der Bildung der Extre-
mitäten beruhen, so kann es freilich scheinen, als geriethen
wir dadurch in Widerspruch mit den Zeugnissen des Alter-
thums, namentlich des Quintilian, 1) welcher dem Zeuxis im
Gegensatze zu Parrhasios das Verdienst beilegt, das Ver-
hältniss der Lichter und Schatten zuerst richtig erkannt zu
haben. Allein auch für diesen Widerspruch giebt es eine
Lösung: denn ich glaube schon früher nachgewiesen zu
haben, dass jenes Verdienst des Zeuxis besonders in der
Färbung zu suchen sei, d. h. in der richtigen Bestimmung
der Wirkungen, welche Licht und Schatten auf die Farbe
ausüben. Was Parrhasios erstrebte, ist dagegen von dieser
durchaus unabhängig. Er richtete sein Augenmerk auf die
Bedeutung von Licht und Schatten, insofern aus ihnen die
Beschaffenheit der Formen erkannt werden soll, oder, um
es mit einem neueren Kunstausdrucke zu bezeichnen: er
wurde durch die Sorgfalt der Zeichnung, welche jede Form
klar und bestimmt wiederzugeben strebt, auf Beobachtung
des Helldunkels wenigstens in den Extremitäten geführt.
Denn was man nach Plinius von ihrer Darstellung verlangen
muss, dass die Umrisse nicht abgeschnitten erscheinen, son-
dern dass jede Form sich abrunde, und das Auge aus der
Gestalt des ihm sichtbaren Theiles auf die von ihm abge-
wendeten schliessen könne, das zu erreichen, genügt noch
keineswegs die Kenntniss der einfachen oder directen Wir-
kungen des Lichtes. Ein der Wirklichkeit entsprechender
Eindruck entsteht in dem Kunstwerke erst durch die genaue
Beobachtung der Lichtbrechungen und Reflexe, welche sich
mehr oder minder an allen abgerundeten Körpern und zwar
ganz besonders gegen die Umrisse derselben hin zeigen
müssen. Sind diese nun an den Extremitäten wegen der
zahlreichen Gliederungen derselben am complicirtesten, so
erklärt sich daraus, wie der Künstler, welcher ihre Be-
deutung für die Malerei zuerst erkannt hatte, ihnen auch an
diesen Theilen vorzugsweise seine Aufmerksamkeit widmete,
während er „mit sich selbst verglichen“ in den mittleren

1) XII, 10.
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[105/0113] durch die Beobachtung von Licht und Schatten. Wenn wir nun behaupten, dass hierauf auch die an den Werken des Parrhasios gerühmten Vorzüge in der Bildung der Extre- mitäten beruhen, so kann es freilich scheinen, als geriethen wir dadurch in Widerspruch mit den Zeugnissen des Alter- thums, namentlich des Quintilian, 1) welcher dem Zeuxis im Gegensatze zu Parrhasios das Verdienst beilegt, das Ver- hältniss der Lichter und Schatten zuerst richtig erkannt zu haben. Allein auch für diesen Widerspruch giebt es eine Lösung: denn ich glaube schon früher nachgewiesen zu haben, dass jenes Verdienst des Zeuxis besonders in der Färbung zu suchen sei, d. h. in der richtigen Bestimmung der Wirkungen, welche Licht und Schatten auf die Farbe ausüben. Was Parrhasios erstrebte, ist dagegen von dieser durchaus unabhängig. Er richtete sein Augenmerk auf die Bedeutung von Licht und Schatten, insofern aus ihnen die Beschaffenheit der Formen erkannt werden soll, oder, um es mit einem neueren Kunstausdrucke zu bezeichnen: er wurde durch die Sorgfalt der Zeichnung, welche jede Form klar und bestimmt wiederzugeben strebt, auf Beobachtung des Helldunkels wenigstens in den Extremitäten geführt. Denn was man nach Plinius von ihrer Darstellung verlangen muss, dass die Umrisse nicht abgeschnitten erscheinen, son- dern dass jede Form sich abrunde, und das Auge aus der Gestalt des ihm sichtbaren Theiles auf die von ihm abge- wendeten schliessen könne, das zu erreichen, genügt noch keineswegs die Kenntniss der einfachen oder directen Wir- kungen des Lichtes. Ein der Wirklichkeit entsprechender Eindruck entsteht in dem Kunstwerke erst durch die genaue Beobachtung der Lichtbrechungen und Reflexe, welche sich mehr oder minder an allen abgerundeten Körpern und zwar ganz besonders gegen die Umrisse derselben hin zeigen müssen. Sind diese nun an den Extremitäten wegen der zahlreichen Gliederungen derselben am complicirtesten, so erklärt sich daraus, wie der Künstler, welcher ihre Be- deutung für die Malerei zuerst erkannt hatte, ihnen auch an diesen Theilen vorzugsweise seine Aufmerksamkeit widmete, während er „mit sich selbst verglichen“ in den mittleren 1) XII, 10.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/113>, abgerufen am 24.11.2024.