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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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sanias1) anderwärts meldet, der Verdacht auf ihnen lastete,
dass sie sich in dem Seetreffen bei Mykale Ol. 75, 2 absicht-
lich von den Griechen hätten schlagen lassen. Ferner berich-
tet Strabo2), Xerxes habe den Tempel angezündet, und die
Branchiden, welche ihm die Schätze des Heiligthums überant-
wortet, seien zugleich mit fortgezogen, um nicht wegen Tem-
pelraubes und Verrathes Strafe zu leiden. Allein dass diese
Nachricht von der Flucht der Branchiden ein Irrthum sei, hat
bereits Soldan3) dargethan und dagegen die Vermuthung auf-
gestellt, dass die nach Milet versetzten, aber nach der Be-
freiung der Griechen, Ol. 77, 34), wieder vertriebenen Karer
bei ihrer Flucht den Tempel geplündert hätten, worin auch
der Grund liege, dass sie noch zu Alexanders Zeit den Mile-
siern verhasst gewesen seien. Sicher ist also wenigstens, dass
der Apollo des Kanachos vor der Zeit dieser Plünderung auf-
gestellt wurde. Wir können aber weiter behaupten, dass es
nach Ol. 70, 3 oder vielmehr 71, 35) geschehen sei. Denn
richtig bemerkt Müller6) in einem besonderen Aufsatze über
den Apollo des Kanachos, dass in diesem Jahre nach dem
Zeugnisse Herodots7) Tempel und Orakel von Darius ausge-
plündert und verbrannt wurden: iron de to en Didumoisi, o
neos te kai to khresterion, sulethenta enepimprato. Diese An-
nahme will jedoch Thiersch8) nicht gelten lassen. Er hält es
zuerst für unwahrscheinlich, dass man in dem uralten Tempel
das alte Götterbild vernachlässigt und ein neues an seine Stelle
gesetzt habe. Allein wenn jenes vorausgesetzte alte Bild ein
Holzbild war, das bei dem Brande des Tempels leicht zu
Grunde gehen konnte, so musste man doch wohl für ein neues
sorgen. Aus der ersten Behauptung folgert nun Thiersch wei-
ter, das Werk des Kanachos sei nicht Tempelbild, sondern
ein Weihgeschenk gewesen, das im Freien aufgestellt den
Brand des Tempels wohl habe überdauern können. Indessen
deutet gerade der kunstreiche Mechanismus des Kolosses, von
dem später die Rede sein wird, auf Bestimmung für den Tem-
peldienst. Sodann dürfen wir neben dem Brande die Plünde-
rung nicht vergessen. Freilich lässt Strabo die Tempelschätze

1) VIII, 46, 2; vgl. I, 16, 3.
2) XIII, p. 634.
3) Ztsch. f. Altw. 1841
n. 69.
4) Diod. XI, 60.
5) Vgl. Clinton fasti h. a. append. cap. V.
6) Kl. Schr. II, S. 540.
7) VI, 19.
8) Ep. Not. S. 40.

sanias1) anderwärts meldet, der Verdacht auf ihnen lastete,
dass sie sich in dem Seetreffen bei Mykale Ol. 75, 2 absicht-
lich von den Griechen hätten schlagen lassen. Ferner berich-
tet Strabo2), Xerxes habe den Tempel angezündet, und die
Branchiden, welche ihm die Schätze des Heiligthums überant-
wortet, seien zugleich mit fortgezogen, um nicht wegen Tem-
pelraubes und Verrathes Strafe zu leiden. Allein dass diese
Nachricht von der Flucht der Branchiden ein Irrthum sei, hat
bereits Soldan3) dargethan und dagegen die Vermuthung auf-
gestellt, dass die nach Milet versetzten, aber nach der Be-
freiung der Griechen, Ol. 77, 34), wieder vertriebenen Karer
bei ihrer Flucht den Tempel geplündert hätten, worin auch
der Grund liege, dass sie noch zu Alexanders Zeit den Mile-
siern verhasst gewesen seien. Sicher ist also wenigstens, dass
der Apollo des Kanachos vor der Zeit dieser Plünderung auf-
gestellt wurde. Wir können aber weiter behaupten, dass es
nach Ol. 70, 3 oder vielmehr 71, 35) geschehen sei. Denn
richtig bemerkt Müller6) in einem besonderen Aufsatze über
den Apollo des Kanachos, dass in diesem Jahre nach dem
Zeugnisse Herodots7) Tempel und Orakel von Darius ausge-
plündert und verbrannt wurden: ἱρὸν δὲ τὸ ἐν Διδύμοισι, ὁ
νηός τε καὶ τὸ χρηστήριον, συληϑέντα ἐνεπίμπρατο. Diese An-
nahme will jedoch Thiersch8) nicht gelten lassen. Er hält es
zuerst für unwahrscheinlich, dass man in dem uralten Tempel
das alte Götterbild vernachlässigt und ein neues an seine Stelle
gesetzt habe. Allein wenn jenes vorausgesetzte alte Bild ein
Holzbild war, das bei dem Brande des Tempels leicht zu
Grunde gehen konnte, so musste man doch wohl für ein neues
sorgen. Aus der ersten Behauptung folgert nun Thiersch wei-
ter, das Werk des Kanachos sei nicht Tempelbild, sondern
ein Weihgeschenk gewesen, das im Freien aufgestellt den
Brand des Tempels wohl habe überdauern können. Indessen
deutet gerade der kunstreiche Mechanismus des Kolosses, von
dem später die Rede sein wird, auf Bestimmung für den Tem-
peldienst. Sodann dürfen wir neben dem Brande die Plünde-
rung nicht vergessen. Freilich lässt Strabo die Tempelschätze

1) VIII, 46, 2; vgl. I, 16, 3.
2) XIII, p. 634.
3) Ztsch. f. Altw. 1841
n. 69.
4) Diod. XI, 60.
5) Vgl. Clinton fasti h. a. append. cap. V.
6) Kl. Schr. II, S. 540.
7) VI, 19.
8) Ep. Not. S. 40.
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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/88>, abgerufen am 25.11.2024.