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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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wo, wie in Rhodos, selbst das Ansehen des ganzen Staates
auf dem materiellen Gewicht des Reichthums beruhte: Hier
verlangte man natürlich auch von der Kunst, dass sie Zeug-
niss ablege für diesen Reichthum, dass sie Genuss gewähre
und die durch Geschäfte und Sorgen des alltäglichen Lebens
erschlafften Geister errege und spanne. So bildet sich hier in
der Kunst zuletzt diejenige Richtung aus, welcher in der Poe-
sie am meisten das Drama entspricht. Auch dieses gelangt
verhältnissmässig spät, nach dem Epos und der Lyrik, zur
Entwickelung; und, obwohl es ursprünglich aus religiösen Fest-
gebräuchen hervorgeht, verfolgt es doch bald seine, von die-
sen Ursprüngen gänzlich unabhängigen Zwecke, Furcht und
Mitleid zu erwecken, und durch die auf diesem Wege erzeugte
Erschütterung die Gemüther der Menschen zu läutern und zu
reinigen. Eben so sind es in den Darstellungen der Kunst nicht
mehr die bestimmten Persönlichkeiten an sich in ihrer sittli-
chen und religiösen Bedeutung oder in ihrer körperlichen Schön-
heit, welche die überwiegende Aufmerksamkeit des Beschauers
in Anspruch nehmen sollen, sondern die aussergewöhnlichen
Lagen und Verhältnisse, denen sie sich gegenüber befinden:
diese sind es, welche, mit Ueberwindung der gewaltigsten
Schwierigkeiten durch die Kunst, in ihren bedeutsamsten Mo-
menten erfasst und verkörpert, den Beschauer zur Bewunde-
rung hinreissen sollen. Durch diese pathetisch-dramatische
Auffassung bilden diese Werke gewissermassen den Schluss-
punkt in der von Stufe zu Stufe fortschreitenden Entwickelung
der gesammten griechischen Kunst, über welchen hinaus eine
noch höhere Anspannung zu einer Vernichtung des Wesens
der Kunst selbst hätte führen müssen.

So treten uns die Werke der Künstler von Pergamos und
Rhodos als die eigenthümlichsten, bezeichnendsten Leistungen
der Kunst dieses Zeitraums in zwei verschiedenen Richtun-
gen entgegen, wesentlich bedingt durch die politischen Gegen-
sätze ihrer Wohnsitze. Doch lassen sich beide hinsichtlich
ihres äusseren Zweckes auch unter einem gemeinsamen Ge-
sichtspunkte zusammenfassen, sie gehören, so zu sagen, der
grossen Kunst an, derjenigen, welche vorzugsweise für das
öffentliche Leben bestimmt ist. Aber neben dem öffentlichen
Leben hatte sich jetzt auch das Privatleben mit selbstständi-
gen Forderungen, mit dem Streben nach Genuss und Glanz

wo, wie in Rhodos, selbst das Ansehen des ganzen Staates
auf dem materiellen Gewicht des Reichthums beruhte: Hier
verlangte man natürlich auch von der Kunst, dass sie Zeug-
niss ablege für diesen Reichthum, dass sie Genuss gewähre
und die durch Geschäfte und Sorgen des alltäglichen Lebens
erschlafften Geister errege und spanne. So bildet sich hier in
der Kunst zuletzt diejenige Richtung aus, welcher in der Poe-
sie am meisten das Drama entspricht. Auch dieses gelangt
verhältnissmässig spät, nach dem Epos und der Lyrik, zur
Entwickelung; und, obwohl es ursprünglich aus religiösen Fest-
gebräuchen hervorgeht, verfolgt es doch bald seine, von die-
sen Ursprüngen gänzlich unabhängigen Zwecke, Furcht und
Mitleid zu erwecken, und durch die auf diesem Wege erzeugte
Erschütterung die Gemüther der Menschen zu läutern und zu
reinigen. Eben so sind es in den Darstellungen der Kunst nicht
mehr die bestimmten Persönlichkeiten an sich in ihrer sittli-
chen und religiösen Bedeutung oder in ihrer körperlichen Schön-
heit, welche die überwiegende Aufmerksamkeit des Beschauers
in Anspruch nehmen sollen, sondern die aussergewöhnlichen
Lagen und Verhältnisse, denen sie sich gegenüber befinden:
diese sind es, welche, mit Ueberwindung der gewaltigsten
Schwierigkeiten durch die Kunst, in ihren bedeutsamsten Mo-
menten erfasst und verkörpert, den Beschauer zur Bewunde-
rung hinreissen sollen. Durch diese pathetisch-dramatische
Auffassung bilden diese Werke gewissermassen den Schluss-
punkt in der von Stufe zu Stufe fortschreitenden Entwickelung
der gesammten griechischen Kunst, über welchen hinaus eine
noch höhere Anspannung zu einer Vernichtung des Wesens
der Kunst selbst hätte führen müssen.

So treten uns die Werke der Künstler von Pergamos und
Rhodos als die eigenthümlichsten, bezeichnendsten Leistungen
der Kunst dieses Zeitraums in zwei verschiedenen Richtun-
gen entgegen, wesentlich bedingt durch die politischen Gegen-
sätze ihrer Wohnsitze. Doch lassen sich beide hinsichtlich
ihres äusseren Zweckes auch unter einem gemeinsamen Ge-
sichtspunkte zusammenfassen, sie gehören, so zu sagen, der
grossen Kunst an, derjenigen, welche vorzugsweise für das
öffentliche Leben bestimmt ist. Aber neben dem öffentlichen
Leben hatte sich jetzt auch das Privatleben mit selbstständi-
gen Forderungen, mit dem Streben nach Genuss und Glanz

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[510/0523] wo, wie in Rhodos, selbst das Ansehen des ganzen Staates auf dem materiellen Gewicht des Reichthums beruhte: Hier verlangte man natürlich auch von der Kunst, dass sie Zeug- niss ablege für diesen Reichthum, dass sie Genuss gewähre und die durch Geschäfte und Sorgen des alltäglichen Lebens erschlafften Geister errege und spanne. So bildet sich hier in der Kunst zuletzt diejenige Richtung aus, welcher in der Poe- sie am meisten das Drama entspricht. Auch dieses gelangt verhältnissmässig spät, nach dem Epos und der Lyrik, zur Entwickelung; und, obwohl es ursprünglich aus religiösen Fest- gebräuchen hervorgeht, verfolgt es doch bald seine, von die- sen Ursprüngen gänzlich unabhängigen Zwecke, Furcht und Mitleid zu erwecken, und durch die auf diesem Wege erzeugte Erschütterung die Gemüther der Menschen zu läutern und zu reinigen. Eben so sind es in den Darstellungen der Kunst nicht mehr die bestimmten Persönlichkeiten an sich in ihrer sittli- chen und religiösen Bedeutung oder in ihrer körperlichen Schön- heit, welche die überwiegende Aufmerksamkeit des Beschauers in Anspruch nehmen sollen, sondern die aussergewöhnlichen Lagen und Verhältnisse, denen sie sich gegenüber befinden: diese sind es, welche, mit Ueberwindung der gewaltigsten Schwierigkeiten durch die Kunst, in ihren bedeutsamsten Mo- menten erfasst und verkörpert, den Beschauer zur Bewunde- rung hinreissen sollen. Durch diese pathetisch-dramatische Auffassung bilden diese Werke gewissermassen den Schluss- punkt in der von Stufe zu Stufe fortschreitenden Entwickelung der gesammten griechischen Kunst, über welchen hinaus eine noch höhere Anspannung zu einer Vernichtung des Wesens der Kunst selbst hätte führen müssen. So treten uns die Werke der Künstler von Pergamos und Rhodos als die eigenthümlichsten, bezeichnendsten Leistungen der Kunst dieses Zeitraums in zwei verschiedenen Richtun- gen entgegen, wesentlich bedingt durch die politischen Gegen- sätze ihrer Wohnsitze. Doch lassen sich beide hinsichtlich ihres äusseren Zweckes auch unter einem gemeinsamen Ge- sichtspunkte zusammenfassen, sie gehören, so zu sagen, der grossen Kunst an, derjenigen, welche vorzugsweise für das öffentliche Leben bestimmt ist. Aber neben dem öffentlichen Leben hatte sich jetzt auch das Privatleben mit selbstständi- gen Forderungen, mit dem Streben nach Genuss und Glanz

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/523>, abgerufen am 24.11.2024.