Ueber die materiellen Schwierigkeiten, welche ein so com- plicirtes Werk darbot, wollen wir wenig sagen: sie waren al- lerdings gross; aber die alten Künstler erhöhten sich dieselben nicht absichtlich, wie es wohl neuere gethan haben, blos um technische Virtuosität zu zeigen. Der Ruhm, die ganze Gruppe aus einem einzigen Marmorblocke zu meisseln, erschien ihnen gering gegen die Vortheile, welche sie durch die Zusammen- setzung aus mehreren Stücken erlangten, aus welchen sie in der That besteht. Sie verzichteten also selbst auf das bewun- dernde Lob, welches ihr Plinius, durch die materielle Einheit der Gruppirung getäuscht, in dem Ausdrucke ex uno lapide ertheilen will.
Genauer müssen wir uns mit der technischen Behandlung des Marmors bekannt machen. Das Hauptinstrument für die Bearbeitung desselben ist offenbar der Meissel. Allein in der Regel wird der Marmor mit diesem Instrument für die letzte Vollendung nur vorbereitet. Die zarten Uebergänge und Ver- bindungen der Flächen herzustellen, kleine Feinheiten oder ein- zelne schärfere Linien dem Marmor einzuprägen, bleibt der Ras- pel und Feile oder einem spitzen Eisen überlassen, bis zuletzt zur Glättung der Oberfläche wohl noch ein förmliches Schlei- fen mit Bimsstein oder anderem Material hinzutritt. Von allen diesen Hülfsmitteln ist am Laokoon fast nirgends Gebrauch ge- macht worden: überall begegnen wir deutlichen, unverwisch- ten Spuren der Fläche des Meissels. Zwar hat man wohl be- haupten wollen, diese Spuren rührten vielmehr von moderner Ueberarbeitung her, als von der Hand der alten Meister. Allein sie finden sich durchweg an der ganzen Gruppe, auch an ver- steckten Theilen, an welche Hand anzulegen ein Ueberarbeiter schwerlich der Mühe werth erachtet haben würde. Sodann ist eine derartige Behandlung gerade dem 16ten Jahrhundert, in welches allein eine Ueberarbeitung fallen könnte, durchaus fremd, nicht aber dem Alterthume. Wir finden sie z. B. an den beiden vortrefflichen Statuen des Menander und Poseidipp im Vatican, an einer schönen Büste des Sokrates in der Villa Albani, an dem kolossalen Serapis von Pozzuoli im Museo borbo- nico. Ueberall in den angeführten Beispielen, und ganz be- sonders beim Laokoon zeigt sich aber ein ganz bestimmtes System der Meisselführung, welches in der engsten Beziehung zu den darzustellenden Formen steht und von einer sehr kla-
Ueber die materiellen Schwierigkeiten, welche ein so com- plicirtes Werk darbot, wollen wir wenig sagen: sie waren al- lerdings gross; aber die alten Künstler erhöhten sich dieselben nicht absichtlich, wie es wohl neuere gethan haben, blos um technische Virtuosität zu zeigen. Der Ruhm, die ganze Gruppe aus einem einzigen Marmorblocke zu meisseln, erschien ihnen gering gegen die Vortheile, welche sie durch die Zusammen- setzung aus mehreren Stücken erlangten, aus welchen sie in der That besteht. Sie verzichteten also selbst auf das bewun- dernde Lob, welches ihr Plinius, durch die materielle Einheit der Gruppirung getäuscht, in dem Ausdrucke ex uno lapide ertheilen will.
Genauer müssen wir uns mit der technischen Behandlung des Marmors bekannt machen. Das Hauptinstrument für die Bearbeitung desselben ist offenbar der Meissel. Allein in der Regel wird der Marmor mit diesem Instrument für die letzte Vollendung nur vorbereitet. Die zarten Uebergänge und Ver- bindungen der Flächen herzustellen, kleine Feinheiten oder ein- zelne schärfere Linien dem Marmor einzuprägen, bleibt der Ras- pel und Feile oder einem spitzen Eisen überlassen, bis zuletzt zur Glättung der Oberfläche wohl noch ein förmliches Schlei- fen mit Bimsstein oder anderem Material hinzutritt. Von allen diesen Hülfsmitteln ist am Laokoon fast nirgends Gebrauch ge- macht worden: überall begegnen wir deutlichen, unverwisch- ten Spuren der Fläche des Meissels. Zwar hat man wohl be- haupten wollen, diese Spuren rührten vielmehr von moderner Ueberarbeitung her, als von der Hand der alten Meister. Allein sie finden sich durchweg an der ganzen Gruppe, auch an ver- steckten Theilen, an welche Hand anzulegen ein Ueberarbeiter schwerlich der Mühe werth erachtet haben würde. Sodann ist eine derartige Behandlung gerade dem 16ten Jahrhundert, in welches allein eine Ueberarbeitung fallen könnte, durchaus fremd, nicht aber dem Alterthume. Wir finden sie z. B. an den beiden vortrefflichen Statuen des Menander und Poseidipp im Vatican, an einer schönen Büste des Sokrates in der Villa Albani, an dem kolossalen Serapis von Pozzuoli im Museo borbo- nico. Ueberall in den angeführten Beispielen, und ganz be- sonders beim Laokoon zeigt sich aber ein ganz bestimmtes System der Meisselführung, welches in der engsten Beziehung zu den darzustellenden Formen steht und von einer sehr kla-
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Ueber die materiellen Schwierigkeiten, welche ein so com-
plicirtes Werk darbot, wollen wir wenig sagen: sie waren al-
lerdings gross; aber die alten Künstler erhöhten sich dieselben
nicht absichtlich, wie es wohl neuere gethan haben, blos um
technische Virtuosität zu zeigen. Der Ruhm, die ganze Gruppe
aus einem einzigen Marmorblocke zu meisseln, erschien ihnen
gering gegen die Vortheile, welche sie durch die Zusammen-
setzung aus mehreren Stücken erlangten, aus welchen sie in
der That besteht. Sie verzichteten also selbst auf das bewun-
dernde Lob, welches ihr Plinius, durch die materielle Einheit
der Gruppirung getäuscht, in dem Ausdrucke ex uno lapide
ertheilen will.
Genauer müssen wir uns mit der technischen Behandlung
des Marmors bekannt machen. Das Hauptinstrument für die
Bearbeitung desselben ist offenbar der Meissel. Allein in der
Regel wird der Marmor mit diesem Instrument für die letzte
Vollendung nur vorbereitet. Die zarten Uebergänge und Ver-
bindungen der Flächen herzustellen, kleine Feinheiten oder ein-
zelne schärfere Linien dem Marmor einzuprägen, bleibt der Ras-
pel und Feile oder einem spitzen Eisen überlassen, bis zuletzt
zur Glättung der Oberfläche wohl noch ein förmliches Schlei-
fen mit Bimsstein oder anderem Material hinzutritt. Von allen
diesen Hülfsmitteln ist am Laokoon fast nirgends Gebrauch ge-
macht worden: überall begegnen wir deutlichen, unverwisch-
ten Spuren der Fläche des Meissels. Zwar hat man wohl be-
haupten wollen, diese Spuren rührten vielmehr von moderner
Ueberarbeitung her, als von der Hand der alten Meister. Allein
sie finden sich durchweg an der ganzen Gruppe, auch an ver-
steckten Theilen, an welche Hand anzulegen ein Ueberarbeiter
schwerlich der Mühe werth erachtet haben würde. Sodann ist
eine derartige Behandlung gerade dem 16ten Jahrhundert, in
welches allein eine Ueberarbeitung fallen könnte, durchaus
fremd, nicht aber dem Alterthume. Wir finden sie z. B. an
den beiden vortrefflichen Statuen des Menander und Poseidipp
im Vatican, an einer schönen Büste des Sokrates in der Villa
Albani, an dem kolossalen Serapis von Pozzuoli im Museo borbo-
nico. Ueberall in den angeführten Beispielen, und ganz be-
sonders beim Laokoon zeigt sich aber ein ganz bestimmtes
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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