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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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der Sturm trotz aller seiner Wildheit gewesen; er ist nicht nur
zurückgeworfen, sondern der Angreifer selbst sieht sich sogar
überwältigt. Die Schmach ist ihm schrecklicher, als der Tod;
und die Schneide des Schwertes, welche noch eben drohend
gegen den Besieger gezückt war, wendet er jetzt gegen sich
selbst, sein Leben mit einem sicheren Stosse zu enden. Noch
wenige Augenblicke, und wir finden ihn in derselben Lage, in
welcher wir den Sterbenden erblickten. Aber auch da ist sein
Stolz im Innern nicht gebrochen; nur äusserlich schwindet er
mit dem Schwinden der Kräfte, und nur in dem Maasse geht
der Trotz in tiefen Seelenschmerz über, als die Möglichkeit
entschwindet, die erlittene Schmach und Demüthigung je wie-
der zu rächen. -- Wir haben hier freilich nur ein concretes
Beispiel vor Augen. Aber niemand wird behaupten, dass hier
der ganze Charakter einzig durch die bestimmte Handlung be-
dingt sei. Vielmehr ist die Handlung selbst gerade erst aus
dem innersten Charakter hervorgegangen. Den Sieg der Bar-
baren angenommen, würde sich ihre Leidenschaft eben so an
den Besiegten offenbaren, wie sie sich jetzt gegen ihr eigenes
Leben richtet. Barbaren sind es, welche kämpfen, und sie
kämpfen als Barbaren. Wie in ihrem körperlichen Erscheinen,
so bilden sie auch in ihrem Handeln den Gegensatz des Grie-
chenthums. Bei den Hellenen hat jede höhere, leidenschaftli-
chere Erregung ihren Zügel in der Herrschaft des Geistes; der
Geist mässigt, bewahrt aber auch zugleich die Kraft, um selbst
nach einem ersten unglücklichen Erfolge mit erneuter Anstren-
gung dem vorgesetzten Ziele nochmals nachzustreben. Der
Barbar entfesselt seine Leidenschaft bis zur höchsten Spitze,
um sein Ziel zu erreichen oder daran zu zerschellen. Der
Grundzug in dem Charakter der Barbaren ist also ein rein pa-
thetischer; und dieser Grundzug musste in der Darstellung
ihrer Niederlage um so mehr zu Tage treten, als nicht nur
dieser Gegenstand an sich ebenfalls schon ein pathetisch-tra-
gischer ist, sondern auch das Unglück als ein durch eben je-
nen Grundcharakter des Volkes selbstverschuldetes, unvermeid-
liches erscheint. Leider sind wir über das Ganze der Compo-
sition, sowie über ihre ursprüngliche Ausdehnung nicht unter-
richtet. Vermuthungen, wie diejenige, dass wir in den erhal-
tenen Figuren Theile einer Giebelgruppe vor uns haben, sind
zu vager und unsicherer Natur, als dass irgend eine Folge-

der Sturm trotz aller seiner Wildheit gewesen; er ist nicht nur
zurückgeworfen, sondern der Angreifer selbst sieht sich sogar
überwältigt. Die Schmach ist ihm schrecklicher, als der Tod;
und die Schneide des Schwertes, welche noch eben drohend
gegen den Besieger gezückt war, wendet er jetzt gegen sich
selbst, sein Leben mit einem sicheren Stosse zu enden. Noch
wenige Augenblicke, und wir finden ihn in derselben Lage, in
welcher wir den Sterbenden erblickten. Aber auch da ist sein
Stolz im Innern nicht gebrochen; nur äusserlich schwindet er
mit dem Schwinden der Kräfte, und nur in dem Maasse geht
der Trotz in tiefen Seelenschmerz über, als die Möglichkeit
entschwindet, die erlittene Schmach und Demüthigung je wie-
der zu rächen. — Wir haben hier freilich nur ein concretes
Beispiel vor Augen. Aber niemand wird behaupten, dass hier
der ganze Charakter einzig durch die bestimmte Handlung be-
dingt sei. Vielmehr ist die Handlung selbst gerade erst aus
dem innersten Charakter hervorgegangen. Den Sieg der Bar-
baren angenommen, würde sich ihre Leidenschaft eben so an
den Besiegten offenbaren, wie sie sich jetzt gegen ihr eigenes
Leben richtet. Barbaren sind es, welche kämpfen, und sie
kämpfen als Barbaren. Wie in ihrem körperlichen Erscheinen,
so bilden sie auch in ihrem Handeln den Gegensatz des Grie-
chenthums. Bei den Hellenen hat jede höhere, leidenschaftli-
chere Erregung ihren Zügel in der Herrschaft des Geistes; der
Geist mässigt, bewahrt aber auch zugleich die Kraft, um selbst
nach einem ersten unglücklichen Erfolge mit erneuter Anstren-
gung dem vorgesetzten Ziele nochmals nachzustreben. Der
Barbar entfesselt seine Leidenschaft bis zur höchsten Spitze,
um sein Ziel zu erreichen oder daran zu zerschellen. Der
Grundzug in dem Charakter der Barbaren ist also ein rein pa-
thetischer; und dieser Grundzug musste in der Darstellung
ihrer Niederlage um so mehr zu Tage treten, als nicht nur
dieser Gegenstand an sich ebenfalls schon ein pathetisch-tra-
gischer ist, sondern auch das Unglück als ein durch eben je-
nen Grundcharakter des Volkes selbstverschuldetes, unvermeid-
liches erscheint. Leider sind wir über das Ganze der Compo-
sition, sowie über ihre ursprüngliche Ausdehnung nicht unter-
richtet. Vermuthungen, wie diejenige, dass wir in den erhal-
tenen Figuren Theile einer Giebelgruppe vor uns haben, sind
zu vager und unsicherer Natur, als dass irgend eine Folge-

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[455/0468] der Sturm trotz aller seiner Wildheit gewesen; er ist nicht nur zurückgeworfen, sondern der Angreifer selbst sieht sich sogar überwältigt. Die Schmach ist ihm schrecklicher, als der Tod; und die Schneide des Schwertes, welche noch eben drohend gegen den Besieger gezückt war, wendet er jetzt gegen sich selbst, sein Leben mit einem sicheren Stosse zu enden. Noch wenige Augenblicke, und wir finden ihn in derselben Lage, in welcher wir den Sterbenden erblickten. Aber auch da ist sein Stolz im Innern nicht gebrochen; nur äusserlich schwindet er mit dem Schwinden der Kräfte, und nur in dem Maasse geht der Trotz in tiefen Seelenschmerz über, als die Möglichkeit entschwindet, die erlittene Schmach und Demüthigung je wie- der zu rächen. — Wir haben hier freilich nur ein concretes Beispiel vor Augen. Aber niemand wird behaupten, dass hier der ganze Charakter einzig durch die bestimmte Handlung be- dingt sei. Vielmehr ist die Handlung selbst gerade erst aus dem innersten Charakter hervorgegangen. Den Sieg der Bar- baren angenommen, würde sich ihre Leidenschaft eben so an den Besiegten offenbaren, wie sie sich jetzt gegen ihr eigenes Leben richtet. Barbaren sind es, welche kämpfen, und sie kämpfen als Barbaren. Wie in ihrem körperlichen Erscheinen, so bilden sie auch in ihrem Handeln den Gegensatz des Grie- chenthums. Bei den Hellenen hat jede höhere, leidenschaftli- chere Erregung ihren Zügel in der Herrschaft des Geistes; der Geist mässigt, bewahrt aber auch zugleich die Kraft, um selbst nach einem ersten unglücklichen Erfolge mit erneuter Anstren- gung dem vorgesetzten Ziele nochmals nachzustreben. Der Barbar entfesselt seine Leidenschaft bis zur höchsten Spitze, um sein Ziel zu erreichen oder daran zu zerschellen. Der Grundzug in dem Charakter der Barbaren ist also ein rein pa- thetischer; und dieser Grundzug musste in der Darstellung ihrer Niederlage um so mehr zu Tage treten, als nicht nur dieser Gegenstand an sich ebenfalls schon ein pathetisch-tra- gischer ist, sondern auch das Unglück als ein durch eben je- nen Grundcharakter des Volkes selbstverschuldetes, unvermeid- liches erscheint. Leider sind wir über das Ganze der Compo- sition, sowie über ihre ursprüngliche Ausdehnung nicht unter- richtet. Vermuthungen, wie diejenige, dass wir in den erhal- tenen Figuren Theile einer Giebelgruppe vor uns haben, sind zu vager und unsicherer Natur, als dass irgend eine Folge-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/468>, abgerufen am 26.11.2024.