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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Individualität, sondern eine Persönlichkeit, an welcher die Eigen-
thümlichkeiten des Stammes, der Race zur Erscheinung kommen
sollen. So stellt sich die Aufgabe des Künstlers zwischen Na-
turalismus und Idealismus in die Mitte.

Betrachten wir nun den Weg, welchen der Künstler ge-
gangen ist, im Einzelnen und, in dem gegebenen Falle, an den
erhaltenen Gallierstatuen. Er hat sie gefasst als hohe, kräf-
tige Gestalten, von starker, nerviger Leibesbeschaffenheit, von
Magerkeit und üppiger Fülle gleich weit entfernt. Jene Weich-
heit und Geschmeidigkeit des ganzen Gefüges aber, welche auch
kräftigen hellenischen Gestalten noch eigen sind, auf denen
sogar das hohe Maass der Kraftentfaltung bei den Griechen
wesentlich beruht, geht diesen Galliern ab. Es sind Gestalten,
welche weniger durch die kunstgerechte Vertheilung der Kraft
und die feine Gliederung jeder Bewegung, als durch die blosse
Fülle und Masse der Kraft eine grosse Wirkung hervorzubrin-
gen vermögen. Die Haut hat, wie Nibby richtig bemerkt, nicht
die zarte Weichheit und Elasticität der griechischen, sie ist
derber und fester, wie sie sich unter dem Einflusse eines rau-
heren Klima's bilden muss, und lässt deshalb die unter ihr lie-
genden Muskeln in weniger fein geschwungenen Linien erschei-
nen, während sie an den Gelenken häufiger scharfe Brüche bil-
den, an Händen und Sohlen durch fortwährende Reibung sich horn-
artig verhärten muss. Eben so sind die Haare hart und strup-
pig, ohne Wellenlinien, auf der Stirn steil emporstehend, und
hinten bis tief in den Nacken herabgewachsen. Endlich zeigt
der Kopf, in welchem der Barbarencharakter allerdings am
bestimmtesten seinen Ausdruck finden musste, einen von dem
griechischen gänzlich verschiedenen Organismus. Denn eben
die Grundverhältnisse der Theile zu einander, welche in dem
rein griechischen Typus durch ihre strenge, man kann sagen
mathematische Regelmässigkeit dem vollendeten Ideale so nahe
verwandt sind, erscheinen hier durchaus verändert; und wir
können nicht läugnen, dass gerade in denjenigen Formen, in
welchen das geistige Wesen vorzugsweise seinen Ausdruck
findet, die harmonische Entfaltung der Linien häufig gestört
ist, während dagegen weniger edle Theile eine hervorragende
Geltung erhalten haben.

Fragen wir uns nun, ob alle diese Formen das sind, was
wir unter schönen Formen zu verstehen pflegen, so kann die

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Individualität, sondern eine Persönlichkeit, an welcher die Eigen-
thümlichkeiten des Stammes, der Race zur Erscheinung kommen
sollen. So stellt sich die Aufgabe des Künstlers zwischen Na-
turalismus und Idealismus in die Mitte.

Betrachten wir nun den Weg, welchen der Künstler ge-
gangen ist, im Einzelnen und, in dem gegebenen Falle, an den
erhaltenen Gallierstatuen. Er hat sie gefasst als hohe, kräf-
tige Gestalten, von starker, nerviger Leibesbeschaffenheit, von
Magerkeit und üppiger Fülle gleich weit entfernt. Jene Weich-
heit und Geschmeidigkeit des ganzen Gefüges aber, welche auch
kräftigen hellenischen Gestalten noch eigen sind, auf denen
sogar das hohe Maass der Kraftentfaltung bei den Griechen
wesentlich beruht, geht diesen Galliern ab. Es sind Gestalten,
welche weniger durch die kunstgerechte Vertheilung der Kraft
und die feine Gliederung jeder Bewegung, als durch die blosse
Fülle und Masse der Kraft eine grosse Wirkung hervorzubrin-
gen vermögen. Die Haut hat, wie Nibby richtig bemerkt, nicht
die zarte Weichheit und Elasticität der griechischen, sie ist
derber und fester, wie sie sich unter dem Einflusse eines rau-
heren Klima’s bilden muss, und lässt deshalb die unter ihr lie-
genden Muskeln in weniger fein geschwungenen Linien erschei-
nen, während sie an den Gelenken häufiger scharfe Brüche bil-
den, an Händen und Sohlen durch fortwährende Reibung sich horn-
artig verhärten muss. Eben so sind die Haare hart und strup-
pig, ohne Wellenlinien, auf der Stirn steil emporstehend, und
hinten bis tief in den Nacken herabgewachsen. Endlich zeigt
der Kopf, in welchem der Barbarencharakter allerdings am
bestimmtesten seinen Ausdruck finden musste, einen von dem
griechischen gänzlich verschiedenen Organismus. Denn eben
die Grundverhältnisse der Theile zu einander, welche in dem
rein griechischen Typus durch ihre strenge, man kann sagen
mathematische Regelmässigkeit dem vollendeten Ideale so nahe
verwandt sind, erscheinen hier durchaus verändert; und wir
können nicht läugnen, dass gerade in denjenigen Formen, in
welchen das geistige Wesen vorzugsweise seinen Ausdruck
findet, die harmonische Entfaltung der Linien häufig gestört
ist, während dagegen weniger edle Theile eine hervorragende
Geltung erhalten haben.

Fragen wir uns nun, ob alle diese Formen das sind, was
wir unter schönen Formen zu verstehen pflegen, so kann die

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[451/0464] Individualität, sondern eine Persönlichkeit, an welcher die Eigen- thümlichkeiten des Stammes, der Race zur Erscheinung kommen sollen. So stellt sich die Aufgabe des Künstlers zwischen Na- turalismus und Idealismus in die Mitte. Betrachten wir nun den Weg, welchen der Künstler ge- gangen ist, im Einzelnen und, in dem gegebenen Falle, an den erhaltenen Gallierstatuen. Er hat sie gefasst als hohe, kräf- tige Gestalten, von starker, nerviger Leibesbeschaffenheit, von Magerkeit und üppiger Fülle gleich weit entfernt. Jene Weich- heit und Geschmeidigkeit des ganzen Gefüges aber, welche auch kräftigen hellenischen Gestalten noch eigen sind, auf denen sogar das hohe Maass der Kraftentfaltung bei den Griechen wesentlich beruht, geht diesen Galliern ab. Es sind Gestalten, welche weniger durch die kunstgerechte Vertheilung der Kraft und die feine Gliederung jeder Bewegung, als durch die blosse Fülle und Masse der Kraft eine grosse Wirkung hervorzubrin- gen vermögen. Die Haut hat, wie Nibby richtig bemerkt, nicht die zarte Weichheit und Elasticität der griechischen, sie ist derber und fester, wie sie sich unter dem Einflusse eines rau- heren Klima’s bilden muss, und lässt deshalb die unter ihr lie- genden Muskeln in weniger fein geschwungenen Linien erschei- nen, während sie an den Gelenken häufiger scharfe Brüche bil- den, an Händen und Sohlen durch fortwährende Reibung sich horn- artig verhärten muss. Eben so sind die Haare hart und strup- pig, ohne Wellenlinien, auf der Stirn steil emporstehend, und hinten bis tief in den Nacken herabgewachsen. Endlich zeigt der Kopf, in welchem der Barbarencharakter allerdings am bestimmtesten seinen Ausdruck finden musste, einen von dem griechischen gänzlich verschiedenen Organismus. Denn eben die Grundverhältnisse der Theile zu einander, welche in dem rein griechischen Typus durch ihre strenge, man kann sagen mathematische Regelmässigkeit dem vollendeten Ideale so nahe verwandt sind, erscheinen hier durchaus verändert; und wir können nicht läugnen, dass gerade in denjenigen Formen, in welchen das geistige Wesen vorzugsweise seinen Ausdruck findet, die harmonische Entfaltung der Linien häufig gestört ist, während dagegen weniger edle Theile eine hervorragende Geltung erhalten haben. Fragen wir uns nun, ob alle diese Formen das sind, was wir unter schönen Formen zu verstehen pflegen, so kann die 29 *

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/464>, abgerufen am 22.11.2024.