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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Die Aufgabe des Künstlers war also von Allem, was
seine Vorgänger geleistet hatten, wesentlich verschieden; und
demgemäss ist auch der Eindruck seiner Werke, selbst wenn
wir von der Bedeutung und dem geistigen Ausdrucke absehen
und nur die äussere Erscheinung in ihrer Gesammtheit auffas-
sen, ein durchaus fremdartiger. Trotzdem aber bleibt in ihnen
überall das Wirken eines griechischen Geistes sichtbar. Um
diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, versetzen wir uns
einmal an die Stelle des Künstlers, als ihm der Auftrag ward,
die Niederlage der Gallier in einer Reihe von Statuen plastisch
darzustellen. Musste ihm nicht selbst im ersten Augenblicke
die Aufgabe fremdartig erscheinen? Was bei der Darstellung
eines mythischen Kampfes gegen Nicht-Stammesgenossen er-
laubt war, die Feinde äusserlich zu charakterisiren, in der
Bildung der Körper aber sich der früheren rein griechischen
Kunstübung anzuschliessen, durfte er hier nicht wagen: die
Gallier lebten noch in der Erinnerung des Königs, wie des
Volkes, für welche der Künstler arbeitete, mit allen den
Schrecken, welche ihre wilden Züge verbreitet hatten. Daher
durfte er sich der Aufgabe nicht entziehen, sie so zu bilden,
wie man sie zu sehen gewohnt war. Aber bisher hatte sich
seine Kunst nur im Griechenthum bewegt: unter Griechen
hatte er gelebt, an ihnen hatte sich sein Auge selbst unbe-
wusst gebildet, an ihren Formen seine Hand geübt. Selbst die
Götter waren nur verklärte Griechen, nach griechischen Bil-
dungsgesetzen geformt. Anders war es mit den Barbaren:
hier reichte der Schatz der bisherigen künstlerischen Erfah-
rungen nicht mehr aus; mochte der Künstler sein Studium an
dem griechischen Körper bis zur höchsten Vollendung getrie-
ben haben, hier musste es von Neuem beginnen.

Die erste Frage, welche er sich vorzulegen hatte, war
deshalb offenbar die: worin das eigentliche Wesen der Bildung
dieser Barbaren bestehe; und alsbald musste er einsehen, dass
er auf das Streben nach einer absoluten Schönheit, welcher die
schöne Form an und für sich schon Zweck genug ist, hier zu
Gunsten einer charakteristischen Darstellung verzichten musste.
Es war seine erste Aufgabe, den darzustellenden Gegenstand
kenntlich zu machen, ehe er daran denken durfte, ihn zu ver-
schönern. Er hat nicht einen schönen Körper, sondern den
Körper eines Barbaren zu bilden, aber nicht eine bestimmte

Die Aufgabe des Künstlers war also von Allem, was
seine Vorgänger geleistet hatten, wesentlich verschieden; und
demgemäss ist auch der Eindruck seiner Werke, selbst wenn
wir von der Bedeutung und dem geistigen Ausdrucke absehen
und nur die äussere Erscheinung in ihrer Gesammtheit auffas-
sen, ein durchaus fremdartiger. Trotzdem aber bleibt in ihnen
überall das Wirken eines griechischen Geistes sichtbar. Um
diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, versetzen wir uns
einmal an die Stelle des Künstlers, als ihm der Auftrag ward,
die Niederlage der Gallier in einer Reihe von Statuen plastisch
darzustellen. Musste ihm nicht selbst im ersten Augenblicke
die Aufgabe fremdartig erscheinen? Was bei der Darstellung
eines mythischen Kampfes gegen Nicht-Stammesgenossen er-
laubt war, die Feinde äusserlich zu charakterisiren, in der
Bildung der Körper aber sich der früheren rein griechischen
Kunstübung anzuschliessen, durfte er hier nicht wagen: die
Gallier lebten noch in der Erinnerung des Königs, wie des
Volkes, für welche der Künstler arbeitete, mit allen den
Schrecken, welche ihre wilden Züge verbreitet hatten. Daher
durfte er sich der Aufgabe nicht entziehen, sie so zu bilden,
wie man sie zu sehen gewohnt war. Aber bisher hatte sich
seine Kunst nur im Griechenthum bewegt: unter Griechen
hatte er gelebt, an ihnen hatte sich sein Auge selbst unbe-
wusst gebildet, an ihren Formen seine Hand geübt. Selbst die
Götter waren nur verklärte Griechen, nach griechischen Bil-
dungsgesetzen geformt. Anders war es mit den Barbaren:
hier reichte der Schatz der bisherigen künstlerischen Erfah-
rungen nicht mehr aus; mochte der Künstler sein Studium an
dem griechischen Körper bis zur höchsten Vollendung getrie-
ben haben, hier musste es von Neuem beginnen.

Die erste Frage, welche er sich vorzulegen hatte, war
deshalb offenbar die: worin das eigentliche Wesen der Bildung
dieser Barbaren bestehe; und alsbald musste er einsehen, dass
er auf das Streben nach einer absoluten Schönheit, welcher die
schöne Form an und für sich schon Zweck genug ist, hier zu
Gunsten einer charakteristischen Darstellung verzichten musste.
Es war seine erste Aufgabe, den darzustellenden Gegenstand
kenntlich zu machen, ehe er daran denken durfte, ihn zu ver-
schönern. Er hat nicht einen schönen Körper, sondern den
Körper eines Barbaren zu bilden, aber nicht eine bestimmte

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[450/0463] Die Aufgabe des Künstlers war also von Allem, was seine Vorgänger geleistet hatten, wesentlich verschieden; und demgemäss ist auch der Eindruck seiner Werke, selbst wenn wir von der Bedeutung und dem geistigen Ausdrucke absehen und nur die äussere Erscheinung in ihrer Gesammtheit auffas- sen, ein durchaus fremdartiger. Trotzdem aber bleibt in ihnen überall das Wirken eines griechischen Geistes sichtbar. Um diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, versetzen wir uns einmal an die Stelle des Künstlers, als ihm der Auftrag ward, die Niederlage der Gallier in einer Reihe von Statuen plastisch darzustellen. Musste ihm nicht selbst im ersten Augenblicke die Aufgabe fremdartig erscheinen? Was bei der Darstellung eines mythischen Kampfes gegen Nicht-Stammesgenossen er- laubt war, die Feinde äusserlich zu charakterisiren, in der Bildung der Körper aber sich der früheren rein griechischen Kunstübung anzuschliessen, durfte er hier nicht wagen: die Gallier lebten noch in der Erinnerung des Königs, wie des Volkes, für welche der Künstler arbeitete, mit allen den Schrecken, welche ihre wilden Züge verbreitet hatten. Daher durfte er sich der Aufgabe nicht entziehen, sie so zu bilden, wie man sie zu sehen gewohnt war. Aber bisher hatte sich seine Kunst nur im Griechenthum bewegt: unter Griechen hatte er gelebt, an ihnen hatte sich sein Auge selbst unbe- wusst gebildet, an ihren Formen seine Hand geübt. Selbst die Götter waren nur verklärte Griechen, nach griechischen Bil- dungsgesetzen geformt. Anders war es mit den Barbaren: hier reichte der Schatz der bisherigen künstlerischen Erfah- rungen nicht mehr aus; mochte der Künstler sein Studium an dem griechischen Körper bis zur höchsten Vollendung getrie- ben haben, hier musste es von Neuem beginnen. Die erste Frage, welche er sich vorzulegen hatte, war deshalb offenbar die: worin das eigentliche Wesen der Bildung dieser Barbaren bestehe; und alsbald musste er einsehen, dass er auf das Streben nach einer absoluten Schönheit, welcher die schöne Form an und für sich schon Zweck genug ist, hier zu Gunsten einer charakteristischen Darstellung verzichten musste. Es war seine erste Aufgabe, den darzustellenden Gegenstand kenntlich zu machen, ehe er daran denken durfte, ihn zu ver- schönern. Er hat nicht einen schönen Körper, sondern den Körper eines Barbaren zu bilden, aber nicht eine bestimmte

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/463>, abgerufen am 22.11.2024.