Ausartung der Kunst sprechen; aber in ihrem Wirken liegen die Keime derselben, welche sich schon unter ihren unmittel- baren Nachfolgern, wie bei Lysistratos, Kephisodotos, voll- ständig entwickelt zeigen; und vielleicht ist es gerade diesem schnellen und scharfen Hervortreten zu verdanken, dass man die Gefahr erkannte, und, wenn auch nicht in die alten Bah- nen zurückkehrte, doch der völligen Ausartung durch Strenge und Selbstbeherrschung vorbeugte, wie wir in der folgenden Periode sehen werden.
Dieses Urtheil, so hart es lautet, wird doch nicht unge- recht genannt werden können, sofern wir als Maassstab die höchsten Forderungen der Kunst annehmen, wie sie in der Epoche des Phidias ihre Befriedigung gefunden hatten. Ganz anders muss es sich dagegen gestalten, sobald wir diesen Maassstab absoluter Vollkommenheit aufgeben und nach dem relativen Werthe fragen. Denn sehen wir von der Kunst der Zeit des Phidias ab, so vermag sich nichts anderes mit der des Skopas, Praxiteles, Lysipp zu messen. Keine andere Zeit erreicht sie in der Unmittelbarkeit künstlerischen Schaffens. Wir haben es nicht mit einer Kunst zu thun, welche sich müh- sam aus dem Verfalle, wie von Sehnsucht nach einer vergan- genen Herrlichkeit getrieben, wieder emporzuarbeiten strebt, sondern als unmittelbare Nachfolgerin und Erbin der glänzend- sten Epoche, im Besitze aller Mittel der künstlerischen Dar- stellung, aus der Fülle des sie umgebenden Lebens heraus schafft, und, was dieses Leben wünscht und verlangt, künst- lerisch gestaltet. Freilich ist, was diese Zeit bewegt, nicht an sich das Höchste und Erhabenste; aber sie ist reich in ihrer inneren und äusseren Entwickelung; sie bringt eine Fülle neuer Ideen und Anschauungen zur Geltung, verlangt die Be- friedigung neuer Anforderungen und Bedürfnisse; und gewährt dadurch auch der Kunst reichen Anlass zu neuer vielseitiger Thätigkeit. Was diese aber ergreift, was sie zu leisten unter- nimmt, das leistet sie ganz; und wenn wir z. B. dem Lysipp eine hohe poetisch-künstlerische Genialität nicht zuzuerkennen vermochten, so mussten wir dagegen anerkennen, dass er durch seine Hingebung an die Wirklichkeit in seinen künstle- rischen Gestalten die äussere Erscheinung in ihrer vollsten Lebendigkeit erfasste und darstellte. Dagegen spiegelt sich in den Werken des Skopas der ganze geistige Kampf, welcher
Ausartung der Kunst sprechen; aber in ihrem Wirken liegen die Keime derselben, welche sich schon unter ihren unmittel- baren Nachfolgern, wie bei Lysistratos, Kephisodotos, voll- ständig entwickelt zeigen; und vielleicht ist es gerade diesem schnellen und scharfen Hervortreten zu verdanken, dass man die Gefahr erkannte, und, wenn auch nicht in die alten Bah- nen zurückkehrte, doch der völligen Ausartung durch Strenge und Selbstbeherrschung vorbeugte, wie wir in der folgenden Periode sehen werden.
Dieses Urtheil, so hart es lautet, wird doch nicht unge- recht genannt werden können, sofern wir als Maassstab die höchsten Forderungen der Kunst annehmen, wie sie in der Epoche des Phidias ihre Befriedigung gefunden hatten. Ganz anders muss es sich dagegen gestalten, sobald wir diesen Maassstab absoluter Vollkommenheit aufgeben und nach dem relativen Werthe fragen. Denn sehen wir von der Kunst der Zeit des Phidias ab, so vermag sich nichts anderes mit der des Skopas, Praxiteles, Lysipp zu messen. Keine andere Zeit erreicht sie in der Unmittelbarkeit künstlerischen Schaffens. Wir haben es nicht mit einer Kunst zu thun, welche sich müh- sam aus dem Verfalle, wie von Sehnsucht nach einer vergan- genen Herrlichkeit getrieben, wieder emporzuarbeiten strebt, sondern als unmittelbare Nachfolgerin und Erbin der glänzend- sten Epoche, im Besitze aller Mittel der künstlerischen Dar- stellung, aus der Fülle des sie umgebenden Lebens heraus schafft, und, was dieses Leben wünscht und verlangt, künst- lerisch gestaltet. Freilich ist, was diese Zeit bewegt, nicht an sich das Höchste und Erhabenste; aber sie ist reich in ihrer inneren und äusseren Entwickelung; sie bringt eine Fülle neuer Ideen und Anschauungen zur Geltung, verlangt die Be- friedigung neuer Anforderungen und Bedürfnisse; und gewährt dadurch auch der Kunst reichen Anlass zu neuer vielseitiger Thätigkeit. Was diese aber ergreift, was sie zu leisten unter- nimmt, das leistet sie ganz; und wenn wir z. B. dem Lysipp eine hohe poetisch-künstlerische Genialität nicht zuzuerkennen vermochten, so mussten wir dagegen anerkennen, dass er durch seine Hingebung an die Wirklichkeit in seinen künstle- rischen Gestalten die äussere Erscheinung in ihrer vollsten Lebendigkeit erfasste und darstellte. Dagegen spiegelt sich in den Werken des Skopas der ganze geistige Kampf, welcher
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Ausartung der Kunst sprechen; aber in ihrem Wirken liegen
die Keime derselben, welche sich schon unter ihren unmittel-
baren Nachfolgern, wie bei Lysistratos, Kephisodotos, voll-
ständig entwickelt zeigen; und vielleicht ist es gerade diesem
schnellen und scharfen Hervortreten zu verdanken, dass man
die Gefahr erkannte, und, wenn auch nicht in die alten Bah-
nen zurückkehrte, doch der völligen Ausartung durch Strenge
und Selbstbeherrschung vorbeugte, wie wir in der folgenden
Periode sehen werden.
Dieses Urtheil, so hart es lautet, wird doch nicht unge-
recht genannt werden können, sofern wir als Maassstab die
höchsten Forderungen der Kunst annehmen, wie sie in der
Epoche des Phidias ihre Befriedigung gefunden hatten. Ganz
anders muss es sich dagegen gestalten, sobald wir diesen
Maassstab absoluter Vollkommenheit aufgeben und nach dem
relativen Werthe fragen. Denn sehen wir von der Kunst der
Zeit des Phidias ab, so vermag sich nichts anderes mit der
des Skopas, Praxiteles, Lysipp zu messen. Keine andere Zeit
erreicht sie in der Unmittelbarkeit künstlerischen Schaffens.
Wir haben es nicht mit einer Kunst zu thun, welche sich müh-
sam aus dem Verfalle, wie von Sehnsucht nach einer vergan-
genen Herrlichkeit getrieben, wieder emporzuarbeiten strebt,
sondern als unmittelbare Nachfolgerin und Erbin der glänzend-
sten Epoche, im Besitze aller Mittel der künstlerischen Dar-
stellung, aus der Fülle des sie umgebenden Lebens heraus
schafft, und, was dieses Leben wünscht und verlangt, künst-
lerisch gestaltet. Freilich ist, was diese Zeit bewegt, nicht
an sich das Höchste und Erhabenste; aber sie ist reich in
ihrer inneren und äusseren Entwickelung; sie bringt eine Fülle
neuer Ideen und Anschauungen zur Geltung, verlangt die Be-
friedigung neuer Anforderungen und Bedürfnisse; und gewährt
dadurch auch der Kunst reichen Anlass zu neuer vielseitiger
Thätigkeit. Was diese aber ergreift, was sie zu leisten unter-
nimmt, das leistet sie ganz; und wenn wir z. B. dem Lysipp
eine hohe poetisch-künstlerische Genialität nicht zuzuerkennen
vermochten, so mussten wir dagegen anerkennen, dass er
durch seine Hingebung an die Wirklichkeit in seinen künstle-
rischen Gestalten die äussere Erscheinung in ihrer vollsten
Lebendigkeit erfasste und darstellte. Dagegen spiegelt sich in
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/453>, abgerufen am 25.11.2024.
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