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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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das Bild der Göttin nebst einem Kapellchen zu verstehen, deren
es z. B. in Athen in den Privathäusern eine grosse Menge in der
Art von Hausaltären gab. Penelope und Eurykleia nebst Odys-
seus sind aus Terracottareliefs bekannt, mit denen die im Vatican
zweimal vorkommende statuarische, aber ganz reliefartig com-
ponirte Penelope vollkommen übereinstimmt 1). Sollte etwa zwi-
schen diesen und den Werken des Thrason ein Zusammen-
hang anzunehmen sein? Das Archaisirende in dem Styl des
Gewandes würde nicht geradezu ein Gegenbeweis sein. Denn
es tritt eigentlich nur in der Ausführung hervor, und konnte
von dem Künstler in einer bestimmten Absicht angewendet
sein, als der strengen Sitte der Penelope am meisten entspre-
chend. Das Geistige der Composition, das sich in ihr ausspre-
chende Gefühl, das Trauern und Sinnen, zeugt dagegen von
einem so tiefen künstlerischen Verständniss und einer solchen
Freiheit in Beherrschung aller Mittel, dass es bedenklich scheint,
hier eine Composition der alten Zeit, der Kunst vor Phidias,
anzunehmen. Zudem ist die Zeit des Thrason keineswegs
sicher, und wir glaubten nur deshalb dem Künstler seine Stelle
am besten hier anweisen zu dürfen, weil zur Zeit des Alexan-
der der ephesische Tempel neu gebaut und mit Kunstwerken
geschmückt ward. Doch konnte sich recht wohl noch Manches
auch aus der früheren Zeit erhalten haben; und für diese spre-
chen bei dem Bilde der Penelope allerdings die Reinheit und
Strenge der ganzen Auffassung. Freilich bleibt auch so die
ausgesprochene Meinung nur eine Vermuthung, für die man
allgemeine Billigung keineswegs verlangen darf. -- Einen Thra-
son aus Pellene werden wir später als Künstler der Kaiserzeit
kennen lernen. Den älteren deshalb ebenfalls für einen Arka-
der zu erklären, möchte indessen zu gewagt erscheinen.

Menestratos. "Sehr bewundert werden auch der He-
rakles des Menestratos und die Hekate zu Ephesos im Tempel
der Artemis post aedem, bei deren Betrachtung die Tempel-
wärter aufmerksam machen, der Augen zu schonen: so stark
ist die Ausstrahlung des Marmors": Plin. 36, 32. Den Aus-
druck post aedem glaubte Sillig früher von dem Opisthodomos
des Tempels verstehen zu müssen. Er stimmt aber vollkom-
men mit dem griechischen meta ton neon überein, welchen

1) Vgl. Thiersch Epoch. S. 426 flgd.

das Bild der Göttin nebst einem Kapellchen zu verstehen, deren
es z. B. in Athen in den Privathäusern eine grosse Menge in der
Art von Hausaltären gab. Penelope und Eurykleia nebst Odys-
seus sind aus Terracottareliefs bekannt, mit denen die im Vatican
zweimal vorkommende statuarische, aber ganz reliefartig com-
ponirte Penelope vollkommen übereinstimmt 1). Sollte etwa zwi-
schen diesen und den Werken des Thrason ein Zusammen-
hang anzunehmen sein? Das Archaisirende in dem Styl des
Gewandes würde nicht geradezu ein Gegenbeweis sein. Denn
es tritt eigentlich nur in der Ausführung hervor, und konnte
von dem Künstler in einer bestimmten Absicht angewendet
sein, als der strengen Sitte der Penelope am meisten entspre-
chend. Das Geistige der Composition, das sich in ihr ausspre-
chende Gefühl, das Trauern und Sinnen, zeugt dagegen von
einem so tiefen künstlerischen Verständniss und einer solchen
Freiheit in Beherrschung aller Mittel, dass es bedenklich scheint,
hier eine Composition der alten Zeit, der Kunst vor Phidias,
anzunehmen. Zudem ist die Zeit des Thrason keineswegs
sicher, und wir glaubten nur deshalb dem Künstler seine Stelle
am besten hier anweisen zu dürfen, weil zur Zeit des Alexan-
der der ephesische Tempel neu gebaut und mit Kunstwerken
geschmückt ward. Doch konnte sich recht wohl noch Manches
auch aus der früheren Zeit erhalten haben; und für diese spre-
chen bei dem Bilde der Penelope allerdings die Reinheit und
Strenge der ganzen Auffassung. Freilich bleibt auch so die
ausgesprochene Meinung nur eine Vermuthung, für die man
allgemeine Billigung keineswegs verlangen darf. — Einen Thra-
son aus Pellene werden wir später als Künstler der Kaiserzeit
kennen lernen. Den älteren deshalb ebenfalls für einen Arka-
der zu erklären, möchte indessen zu gewagt erscheinen.

Menestratos. „Sehr bewundert werden auch der He-
rakles des Menestratos und die Hekate zu Ephesos im Tempel
der Artemis post aedem, bei deren Betrachtung die Tempel-
wärter aufmerksam machen, der Augen zu schonen: so stark
ist die Ausstrahlung des Marmors”: Plin. 36, 32. Den Aus-
druck post aedem glaubte Sillig früher von dem Opisthodomos
des Tempels verstehen zu müssen. Er stimmt aber vollkom-
men mit dem griechischen μετὰ τὸν νεὼν überein, welchen

1) Vgl. Thiersch Epoch. S. 426 flgd.
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[422/0435] das Bild der Göttin nebst einem Kapellchen zu verstehen, deren es z. B. in Athen in den Privathäusern eine grosse Menge in der Art von Hausaltären gab. Penelope und Eurykleia nebst Odys- seus sind aus Terracottareliefs bekannt, mit denen die im Vatican zweimal vorkommende statuarische, aber ganz reliefartig com- ponirte Penelope vollkommen übereinstimmt 1). Sollte etwa zwi- schen diesen und den Werken des Thrason ein Zusammen- hang anzunehmen sein? Das Archaisirende in dem Styl des Gewandes würde nicht geradezu ein Gegenbeweis sein. Denn es tritt eigentlich nur in der Ausführung hervor, und konnte von dem Künstler in einer bestimmten Absicht angewendet sein, als der strengen Sitte der Penelope am meisten entspre- chend. Das Geistige der Composition, das sich in ihr ausspre- chende Gefühl, das Trauern und Sinnen, zeugt dagegen von einem so tiefen künstlerischen Verständniss und einer solchen Freiheit in Beherrschung aller Mittel, dass es bedenklich scheint, hier eine Composition der alten Zeit, der Kunst vor Phidias, anzunehmen. Zudem ist die Zeit des Thrason keineswegs sicher, und wir glaubten nur deshalb dem Künstler seine Stelle am besten hier anweisen zu dürfen, weil zur Zeit des Alexan- der der ephesische Tempel neu gebaut und mit Kunstwerken geschmückt ward. Doch konnte sich recht wohl noch Manches auch aus der früheren Zeit erhalten haben; und für diese spre- chen bei dem Bilde der Penelope allerdings die Reinheit und Strenge der ganzen Auffassung. Freilich bleibt auch so die ausgesprochene Meinung nur eine Vermuthung, für die man allgemeine Billigung keineswegs verlangen darf. — Einen Thra- son aus Pellene werden wir später als Künstler der Kaiserzeit kennen lernen. Den älteren deshalb ebenfalls für einen Arka- der zu erklären, möchte indessen zu gewagt erscheinen. Menestratos. „Sehr bewundert werden auch der He- rakles des Menestratos und die Hekate zu Ephesos im Tempel der Artemis post aedem, bei deren Betrachtung die Tempel- wärter aufmerksam machen, der Augen zu schonen: so stark ist die Ausstrahlung des Marmors”: Plin. 36, 32. Den Aus- druck post aedem glaubte Sillig früher von dem Opisthodomos des Tempels verstehen zu müssen. Er stimmt aber vollkom- men mit dem griechischen μετὰ τὸν νεὼν überein, welchen 1) Vgl. Thiersch Epoch. S. 426 flgd.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/435>, abgerufen am 22.11.2024.