dargestellte Person frei von allem Zwange und von aller An- strengung erscheinen lässt, dem Beschauer das Gefühl des daraus entspringenden Behagens unvermerkt mittheilt und es ihn als etwas ihm selbst Angehöriges empfinden lässt 1).
Schüler des Eutychides war: Kantharos, ebenfalls aus Sikyon gebürtig, und Sohn eines Alexis, welcher mit dem gleichnamigen Künstler aus der Schule des Polyklet in Familienzusammenhang stehen kann, aber nicht nothwen- dig zu stehen braucht: Paus. VI, 3, 3. Plinius (34, 85) nennt Kantharos unter den Künstlern, welche wegen ihrer gleich- mässigen Tüchtigkeit, wenn auch nicht wegen eines einzelnen besonders ausgezeichneten Werkes Anerkennung verdienen. Dass er auch Caelator gewesen, hat Sillig wohl nur aus Ver- sehen in dieser Stelle zu finden geglaubt. Zwei Werke führt Pausanias an: die Statuen des Alexinikos aus Elis, und des Kratinos aus Aegeira, welche beide im Ringen der Knaben zu Olympia gesiegt hatten: VI, 17, 5; 3, 3. Der Letztere zeichnete sich sowohl durch seine Schönheit, als durch die grosse Kunst aus, mit welcher er das Ringen betrieb, weshalb ihm erlaubt ward, neben seinem eigenen Bilde in Olympia auch das seines Lehrers aufzustellen.
Wir beschliessen die Reihe der Schüler des Lysipp mit dem berühmtesten unter ihnen: Chares, von Lindos auf Rhodos gebürtig. Ueber das Werk, welchem er seinen Ruhm verdankte, hören wir zunächst Plinius (34, 41): "Vor allen aber ward bewundert der Koloss des Sonnengottes zu Rhodos, welchen Chares aus Lindos, der Schüler des Ly- sipp, gemacht hatte. Seine Höhe betrug 70 Ellen (105 Fuss). Dieses Bild ward nach 56 Jahren durch ein Erdbeben nieder- geworfen; aber auch liegend ist es zum Erstaunen. Wenige sind im Stande, seinen Daumen zu umfassen; die Finger allein sind grösser, als die meisten Statuen; weite Höhlen gähnen aus den gebrochenen Gliedern entgegen. Drinnen aber sieht man gewaltige Felsblöcke, durch deren Gewicht es der Künst-
1) Eutychides in einem Epigramme der Anthologie (Anall. II, p. 311, n. 14) ist nicht der Künstler, sondern ein Unbekannter, welcher einen Priap aufge- stellt hatte.
dargestellte Person frei von allem Zwange und von aller An- strengung erscheinen lässt, dem Beschauer das Gefühl des daraus entspringenden Behagens unvermerkt mittheilt und es ihn als etwas ihm selbst Angehöriges empfinden lässt 1).
Schüler des Eutychides war: Kantharos, ebenfalls aus Sikyon gebürtig, und Sohn eines Alexis, welcher mit dem gleichnamigen Künstler aus der Schule des Polyklet in Familienzusammenhang stehen kann, aber nicht nothwen- dig zu stehen braucht: Paus. VI, 3, 3. Plinius (34, 85) nennt Kantharos unter den Künstlern, welche wegen ihrer gleich- mässigen Tüchtigkeit, wenn auch nicht wegen eines einzelnen besonders ausgezeichneten Werkes Anerkennung verdienen. Dass er auch Caelator gewesen, hat Sillig wohl nur aus Ver- sehen in dieser Stelle zu finden geglaubt. Zwei Werke führt Pausanias an: die Statuen des Alexinikos aus Elis, und des Kratinos aus Aegeira, welche beide im Ringen der Knaben zu Olympia gesiegt hatten: VI, 17, 5; 3, 3. Der Letztere zeichnete sich sowohl durch seine Schönheit, als durch die grosse Kunst aus, mit welcher er das Ringen betrieb, weshalb ihm erlaubt ward, neben seinem eigenen Bilde in Olympia auch das seines Lehrers aufzustellen.
Wir beschliessen die Reihe der Schüler des Lysipp mit dem berühmtesten unter ihnen: Chares, von Lindos auf Rhodos gebürtig. Ueber das Werk, welchem er seinen Ruhm verdankte, hören wir zunächst Plinius (34, 41): „Vor allen aber ward bewundert der Koloss des Sonnengottes zu Rhodos, welchen Chares aus Lindos, der Schüler des Ly- sipp, gemacht hatte. Seine Höhe betrug 70 Ellen (105 Fuss). Dieses Bild ward nach 56 Jahren durch ein Erdbeben nieder- geworfen; aber auch liegend ist es zum Erstaunen. Wenige sind im Stande, seinen Daumen zu umfassen; die Finger allein sind grösser, als die meisten Statuen; weite Höhlen gähnen aus den gebrochenen Gliedern entgegen. Drinnen aber sieht man gewaltige Felsblöcke, durch deren Gewicht es der Künst-
1) Eutychides in einem Epigramme der Anthologie (Anall. II, p. 311, n. 14) ist nicht der Künstler, sondern ein Unbekannter, welcher einen Priap aufge- stellt hatte.
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dargestellte Person frei von allem Zwange und von aller An-
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ihn als etwas ihm selbst Angehöriges empfinden lässt 1).
Schüler des Eutychides war:
Kantharos,
ebenfalls aus Sikyon gebürtig, und Sohn eines Alexis, welcher
mit dem gleichnamigen Künstler aus der Schule des Polyklet
in Familienzusammenhang stehen kann, aber nicht nothwen-
dig zu stehen braucht: Paus. VI, 3, 3. Plinius (34, 85) nennt
Kantharos unter den Künstlern, welche wegen ihrer gleich-
mässigen Tüchtigkeit, wenn auch nicht wegen eines einzelnen
besonders ausgezeichneten Werkes Anerkennung verdienen.
Dass er auch Caelator gewesen, hat Sillig wohl nur aus Ver-
sehen in dieser Stelle zu finden geglaubt. Zwei Werke führt
Pausanias an: die Statuen des Alexinikos aus Elis, und des
Kratinos aus Aegeira, welche beide im Ringen der Knaben
zu Olympia gesiegt hatten: VI, 17, 5; 3, 3. Der Letztere
zeichnete sich sowohl durch seine Schönheit, als durch die
grosse Kunst aus, mit welcher er das Ringen betrieb, weshalb
ihm erlaubt ward, neben seinem eigenen Bilde in Olympia auch
das seines Lehrers aufzustellen.
Wir beschliessen die Reihe der Schüler des Lysipp mit
dem berühmtesten unter ihnen:
Chares,
von Lindos auf Rhodos gebürtig. Ueber das Werk, welchem
er seinen Ruhm verdankte, hören wir zunächst Plinius (34, 41):
„Vor allen aber ward bewundert der Koloss des Sonnengottes
zu Rhodos, welchen Chares aus Lindos, der Schüler des Ly-
sipp, gemacht hatte. Seine Höhe betrug 70 Ellen (105 Fuss).
Dieses Bild ward nach 56 Jahren durch ein Erdbeben nieder-
geworfen; aber auch liegend ist es zum Erstaunen. Wenige
sind im Stande, seinen Daumen zu umfassen; die Finger allein
sind grösser, als die meisten Statuen; weite Höhlen gähnen
aus den gebrochenen Gliedern entgegen. Drinnen aber sieht
man gewaltige Felsblöcke, durch deren Gewicht es der Künst-
1) Eutychides in einem Epigramme der Anthologie (Anall. II, p. 311, n. 14)
ist nicht der Künstler, sondern ein Unbekannter, welcher einen Priap aufge-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/428>, abgerufen am 24.11.2024.
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