sich diese Götterbildung von denen älterer Zeit unterschei- det. Von dem religiösen Ernste und der feierlichen Würde, welche früher den Bildern der Götter eigen, ja nothwen- dig waren, lässt sich bei dieser Tyche kaum noch reden; ja nicht einmal die Strenge, der decor der älteren Sitte, kann für einen besonders bezeichnenden Zug an diesem Bilde gelten. Vielmehr steht es in seiner äusseren Erscheinung dem soge- nannten Genre weit näher; sein Grundcharakter ist der einer allgemein menschlichen Anmuth. Wohl mag eine Stadt, wel- che sich aus einem schönen Thale an einer anmuthigen Höhe hinaufzieht, einen ähnlichen Eindruck gewähren. Aber dieser Eindruck bleibt immer wesentlich verschieden von dem Gefühl der Erhebung, welches ein von einer hohen geistigen Idee erfülltes Werk in uns hervorrufen muss. Durch dieses Urtheil soll, wie gesagt, dem Verdienst des Eutychides kein Abbruch geschehen; aber ausgesprochen musste es werden, um den Wechsel der Zeiten, die durchaus veränderte Anschauungs- weise zu bezeichnen, welche auch da, wo zu einer erhabe- neren, geistigeren Auffassung noch Gelegenheit gegeben war, dem Gefälligen und Anmuthigen überall eine bevorzugte Gel- tung einräumte. Wir durften dieses hervorzuheben um so we- niger unterlassen, als gerade dieses Werk, weil es, wenn auch nur in Copien noch erhalten, besonders geeignet erscheinen muss, auch auf die unmittelbar vorhergehende Zeit ein be- stimmteres Licht zu werfen, und namentlich das Wesen der Eleganz, das iucundum genus bei Lysipp in seiner concreteren für den äusseren Sinn fasslichen Gestaltung uns vor Augen zu führen. -- Wie aber bei der Tyche die alte Strenge der Hal- tung einer anmuthigen Sorglosigkeit Platz gemacht hatte, so bewunderte das Alterthum an dem Eurotas die Weichheit, ja Flüssigkeit der Behandlung, durch welche Eutychides die Na- tur des feuchten Elementes noch überboten zu haben schien. Wir haben hier wieder einen jener epigrammatischen, auf eine bestimmte Spitze berechneten Lobsprüche vor uns. Dies kann uns indessen nicht hindern zu fragen, wodurch derselbe ge- rechtfertigt sein mochte. Wir dürfen nicht etwa an eine be- sondere Weichheit in der Behandlung des Fleisches, der Ober- fläche des Körpers denken, einer solchen, wie sie in dem Symplegma des Kephisodot ihre Bewunderer fand; denn dieser Behandlung bequemt sich das Erz nicht in derselben Weise
sich diese Götterbildung von denen älterer Zeit unterschei- det. Von dem religiösen Ernste und der feierlichen Würde, welche früher den Bildern der Götter eigen, ja nothwen- dig waren, lässt sich bei dieser Tyche kaum noch reden; ja nicht einmal die Strenge, der decor der älteren Sitte, kann für einen besonders bezeichnenden Zug an diesem Bilde gelten. Vielmehr steht es in seiner äusseren Erscheinung dem soge- nannten Genre weit näher; sein Grundcharakter ist der einer allgemein menschlichen Anmuth. Wohl mag eine Stadt, wel- che sich aus einem schönen Thale an einer anmuthigen Höhe hinaufzieht, einen ähnlichen Eindruck gewähren. Aber dieser Eindruck bleibt immer wesentlich verschieden von dem Gefühl der Erhebung, welches ein von einer hohen geistigen Idee erfülltes Werk in uns hervorrufen muss. Durch dieses Urtheil soll, wie gesagt, dem Verdienst des Eutychides kein Abbruch geschehen; aber ausgesprochen musste es werden, um den Wechsel der Zeiten, die durchaus veränderte Anschauungs- weise zu bezeichnen, welche auch da, wo zu einer erhabe- neren, geistigeren Auffassung noch Gelegenheit gegeben war, dem Gefälligen und Anmuthigen überall eine bevorzugte Gel- tung einräumte. Wir durften dieses hervorzuheben um so we- niger unterlassen, als gerade dieses Werk, weil es, wenn auch nur in Copien noch erhalten, besonders geeignet erscheinen muss, auch auf die unmittelbar vorhergehende Zeit ein be- stimmteres Licht zu werfen, und namentlich das Wesen der Eleganz, das iucundum genus bei Lysipp in seiner concreteren für den äusseren Sinn fasslichen Gestaltung uns vor Augen zu führen. — Wie aber bei der Tyche die alte Strenge der Hal- tung einer anmuthigen Sorglosigkeit Platz gemacht hatte, so bewunderte das Alterthum an dem Eurotas die Weichheit, ja Flüssigkeit der Behandlung, durch welche Eutychides die Na- tur des feuchten Elementes noch überboten zu haben schien. Wir haben hier wieder einen jener epigrammatischen, auf eine bestimmte Spitze berechneten Lobsprüche vor uns. Dies kann uns indessen nicht hindern zu fragen, wodurch derselbe ge- rechtfertigt sein mochte. Wir dürfen nicht etwa an eine be- sondere Weichheit in der Behandlung des Fleisches, der Ober- fläche des Körpers denken, einer solchen, wie sie in dem Symplegma des Kephisodot ihre Bewunderer fand; denn dieser Behandlung bequemt sich das Erz nicht in derselben Weise
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0426"n="413"/>
sich diese Götterbildung von denen älterer Zeit unterschei-<lb/>
det. Von dem religiösen Ernste und der feierlichen Würde,<lb/>
welche früher den Bildern der Götter eigen, ja nothwen-<lb/>
dig waren, lässt sich bei dieser Tyche kaum noch reden;<lb/>
ja nicht einmal die Strenge, der decor der älteren Sitte, kann<lb/>
für einen besonders bezeichnenden Zug an diesem Bilde gelten.<lb/>
Vielmehr steht es in seiner äusseren Erscheinung dem soge-<lb/>
nannten Genre weit näher; sein Grundcharakter ist der einer<lb/>
allgemein menschlichen Anmuth. Wohl mag eine Stadt, wel-<lb/>
che sich aus einem schönen Thale an einer anmuthigen Höhe<lb/>
hinaufzieht, einen ähnlichen Eindruck gewähren. Aber dieser<lb/>
Eindruck bleibt immer wesentlich verschieden von dem Gefühl<lb/>
der Erhebung, welches ein von einer hohen geistigen Idee<lb/>
erfülltes Werk in uns hervorrufen muss. Durch dieses Urtheil<lb/>
soll, wie gesagt, dem Verdienst des Eutychides kein Abbruch<lb/>
geschehen; aber ausgesprochen musste es werden, um den<lb/>
Wechsel der Zeiten, die durchaus veränderte Anschauungs-<lb/>
weise zu bezeichnen, welche auch da, wo zu einer erhabe-<lb/>
neren, geistigeren Auffassung noch Gelegenheit gegeben war,<lb/>
dem Gefälligen und Anmuthigen überall eine bevorzugte Gel-<lb/>
tung einräumte. Wir durften dieses hervorzuheben um so we-<lb/>
niger unterlassen, als gerade dieses Werk, weil es, wenn auch<lb/>
nur in Copien noch erhalten, besonders geeignet erscheinen<lb/>
muss, auch auf die unmittelbar vorhergehende Zeit ein be-<lb/>
stimmteres Licht zu werfen, und namentlich das Wesen der<lb/>
Eleganz, das iucundum genus bei Lysipp in seiner concreteren<lb/>
für den äusseren Sinn fasslichen Gestaltung uns vor Augen zu<lb/>
führen. — Wie aber bei der Tyche die alte Strenge der Hal-<lb/>
tung einer anmuthigen Sorglosigkeit Platz gemacht hatte, so<lb/>
bewunderte das Alterthum an dem Eurotas die Weichheit, ja<lb/>
Flüssigkeit der Behandlung, durch welche Eutychides die Na-<lb/>
tur des feuchten Elementes noch überboten zu haben schien.<lb/>
Wir haben hier wieder einen jener epigrammatischen, auf eine<lb/>
bestimmte Spitze berechneten Lobsprüche vor uns. Dies kann<lb/>
uns indessen nicht hindern zu fragen, wodurch derselbe ge-<lb/>
rechtfertigt sein mochte. Wir dürfen nicht etwa an eine be-<lb/>
sondere Weichheit in der Behandlung des Fleisches, der Ober-<lb/>
fläche des Körpers denken, einer solchen, wie sie in dem<lb/>
Symplegma des Kephisodot ihre Bewunderer fand; denn dieser<lb/>
Behandlung bequemt sich das Erz nicht in derselben Weise<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[413/0426]
sich diese Götterbildung von denen älterer Zeit unterschei-
det. Von dem religiösen Ernste und der feierlichen Würde,
welche früher den Bildern der Götter eigen, ja nothwen-
dig waren, lässt sich bei dieser Tyche kaum noch reden;
ja nicht einmal die Strenge, der decor der älteren Sitte, kann
für einen besonders bezeichnenden Zug an diesem Bilde gelten.
Vielmehr steht es in seiner äusseren Erscheinung dem soge-
nannten Genre weit näher; sein Grundcharakter ist der einer
allgemein menschlichen Anmuth. Wohl mag eine Stadt, wel-
che sich aus einem schönen Thale an einer anmuthigen Höhe
hinaufzieht, einen ähnlichen Eindruck gewähren. Aber dieser
Eindruck bleibt immer wesentlich verschieden von dem Gefühl
der Erhebung, welches ein von einer hohen geistigen Idee
erfülltes Werk in uns hervorrufen muss. Durch dieses Urtheil
soll, wie gesagt, dem Verdienst des Eutychides kein Abbruch
geschehen; aber ausgesprochen musste es werden, um den
Wechsel der Zeiten, die durchaus veränderte Anschauungs-
weise zu bezeichnen, welche auch da, wo zu einer erhabe-
neren, geistigeren Auffassung noch Gelegenheit gegeben war,
dem Gefälligen und Anmuthigen überall eine bevorzugte Gel-
tung einräumte. Wir durften dieses hervorzuheben um so we-
niger unterlassen, als gerade dieses Werk, weil es, wenn auch
nur in Copien noch erhalten, besonders geeignet erscheinen
muss, auch auf die unmittelbar vorhergehende Zeit ein be-
stimmteres Licht zu werfen, und namentlich das Wesen der
Eleganz, das iucundum genus bei Lysipp in seiner concreteren
für den äusseren Sinn fasslichen Gestaltung uns vor Augen zu
führen. — Wie aber bei der Tyche die alte Strenge der Hal-
tung einer anmuthigen Sorglosigkeit Platz gemacht hatte, so
bewunderte das Alterthum an dem Eurotas die Weichheit, ja
Flüssigkeit der Behandlung, durch welche Eutychides die Na-
tur des feuchten Elementes noch überboten zu haben schien.
Wir haben hier wieder einen jener epigrammatischen, auf eine
bestimmte Spitze berechneten Lobsprüche vor uns. Dies kann
uns indessen nicht hindern zu fragen, wodurch derselbe ge-
rechtfertigt sein mochte. Wir dürfen nicht etwa an eine be-
sondere Weichheit in der Behandlung des Fleisches, der Ober-
fläche des Körpers denken, einer solchen, wie sie in dem
Symplegma des Kephisodot ihre Bewunderer fand; denn dieser
Behandlung bequemt sich das Erz nicht in derselben Weise
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/426>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.