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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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nur ein möglichst vollkommenes Abbild der Aussenseite der
Dinge darbietet. Dieses Extrem ist durch das Verfahren des
Lysistratos gegeben. Denn wenn auch Plinius von einem Nach-
bessern (emendare) des über der Natur geformten Ausgusses
spricht, so kann dasselbe, sofern die erste Arbeit überhaupt
einen Zweck haben soll, doch nur bei Einzelnheiten in Be-
tracht kommen, nicht auf ein vollständiges Durcharbeiten der
gesammten Formen ausgedehnt werden. In dieser Weise aber
die Formen der Wirklichkeit unvermittelt in ein Kunstwerk
zu übertragen, das, müssen wir behaupten, widerspricht dem
Wesen der Kunst selbst. Denn ein Kunstwerk kann über-
haupt nur entstehen durch den schaffenden Geist des Künst-
lers. Freilich kann es scheinen, dass im Portrait der Künstler
zunächst nur das in der Wirklichkeit Gegebene ohne Zuthat
seines eigenen Geistes zur Darstellung zu bringen habe. Aber
wie wir im Leben den Menschen nicht als ein anatomisch-
physiologisches Präparat betrachten, sondern in den Formen
des Körpers eine bestimmte, mit Leben und Geist begabte
Persönlichkeit erkennen wollen, so machen wir auch an das
Kunstwerk dieselben Ansprüche, Unter diesem Gesichtspunkte
ist also die künstlerische Gestaltung der Form nicht eine reine
Nachbildung dessen, was die Wirklichkeit zufällig darbietet,
und darum etwas ihr Untergeordnetes, Geringeres; sondern
sie hat ihre selbstständige Geltung und Berechtigung neben
der natürlichen Form. Da aber die Kunst nicht in Fleisch
und Blut, sondern in einem unbelebten Stoffe bildet, so kann
der Künstler Leben nur dadurch darstellen, dass er das Bild
der darzustellenden, mit Leben und Geist begabten Person in
seinen eigenen Geist aufnimmt und es aus demselben wie-
derschafft in einem gegebenen Stoffe und nach den Gesetzen
des Stoffes, in welchem er bildet. So kann und muss aller-
dings das Portrait in seiner höchsten Auffassung in einem ge-
wissen Sinne ein Ideal werden, das Ideal der einen darge-
stellten Person, indem der Künstler in sein Werk nur die
einfachsten Grundformen aus der Natur herübernimmt, und nur
solche, in welchen sich der tiefere Organismus, die ursprüng-
liche geistige Anlage, das innere geistige Wesen in vollster
Schärfe offenbart, alle Nebendinge aber, unbekümmert um eine
kleinliche Nachahmung der Wirklichheit, nur zum Zwecke
einer harmonischen Durchbildung jener Grundformen frei hinzu-

nur ein möglichst vollkommenes Abbild der Aussenseite der
Dinge darbietet. Dieses Extrem ist durch das Verfahren des
Lysistratos gegeben. Denn wenn auch Plinius von einem Nach-
bessern (emendare) des über der Natur geformten Ausgusses
spricht, so kann dasselbe, sofern die erste Arbeit überhaupt
einen Zweck haben soll, doch nur bei Einzelnheiten in Be-
tracht kommen, nicht auf ein vollständiges Durcharbeiten der
gesammten Formen ausgedehnt werden. In dieser Weise aber
die Formen der Wirklichkeit unvermittelt in ein Kunstwerk
zu übertragen, das, müssen wir behaupten, widerspricht dem
Wesen der Kunst selbst. Denn ein Kunstwerk kann über-
haupt nur entstehen durch den schaffenden Geist des Künst-
lers. Freilich kann es scheinen, dass im Portrait der Künstler
zunächst nur das in der Wirklichkeit Gegebene ohne Zuthat
seines eigenen Geistes zur Darstellung zu bringen habe. Aber
wie wir im Leben den Menschen nicht als ein anatomisch-
physiologisches Präparat betrachten, sondern in den Formen
des Körpers eine bestimmte, mit Leben und Geist begabte
Persönlichkeit erkennen wollen, so machen wir auch an das
Kunstwerk dieselben Ansprüche, Unter diesem Gesichtspunkte
ist also die künstlerische Gestaltung der Form nicht eine reine
Nachbildung dessen, was die Wirklichkeit zufällig darbietet,
und darum etwas ihr Untergeordnetes, Geringeres; sondern
sie hat ihre selbstständige Geltung und Berechtigung neben
der natürlichen Form. Da aber die Kunst nicht in Fleisch
und Blut, sondern in einem unbelebten Stoffe bildet, so kann
der Künstler Leben nur dadurch darstellen, dass er das Bild
der darzustellenden, mit Leben und Geist begabten Person in
seinen eigenen Geist aufnimmt und es aus demselben wie-
derschafft in einem gegebenen Stoffe und nach den Gesetzen
des Stoffes, in welchem er bildet. So kann und muss aller-
dings das Portrait in seiner höchsten Auffassung in einem ge-
wissen Sinne ein Ideal werden, das Ideal der einen darge-
stellten Person, indem der Künstler in sein Werk nur die
einfachsten Grundformen aus der Natur herübernimmt, und nur
solche, in welchen sich der tiefere Organismus, die ursprüng-
liche geistige Anlage, das innere geistige Wesen in vollster
Schärfe offenbart, alle Nebendinge aber, unbekümmert um eine
kleinliche Nachahmung der Wirklichheit, nur zum Zwecke
einer harmonischen Durchbildung jener Grundformen frei hinzu-

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[404/0417] nur ein möglichst vollkommenes Abbild der Aussenseite der Dinge darbietet. Dieses Extrem ist durch das Verfahren des Lysistratos gegeben. Denn wenn auch Plinius von einem Nach- bessern (emendare) des über der Natur geformten Ausgusses spricht, so kann dasselbe, sofern die erste Arbeit überhaupt einen Zweck haben soll, doch nur bei Einzelnheiten in Be- tracht kommen, nicht auf ein vollständiges Durcharbeiten der gesammten Formen ausgedehnt werden. In dieser Weise aber die Formen der Wirklichkeit unvermittelt in ein Kunstwerk zu übertragen, das, müssen wir behaupten, widerspricht dem Wesen der Kunst selbst. Denn ein Kunstwerk kann über- haupt nur entstehen durch den schaffenden Geist des Künst- lers. Freilich kann es scheinen, dass im Portrait der Künstler zunächst nur das in der Wirklichkeit Gegebene ohne Zuthat seines eigenen Geistes zur Darstellung zu bringen habe. Aber wie wir im Leben den Menschen nicht als ein anatomisch- physiologisches Präparat betrachten, sondern in den Formen des Körpers eine bestimmte, mit Leben und Geist begabte Persönlichkeit erkennen wollen, so machen wir auch an das Kunstwerk dieselben Ansprüche, Unter diesem Gesichtspunkte ist also die künstlerische Gestaltung der Form nicht eine reine Nachbildung dessen, was die Wirklichkeit zufällig darbietet, und darum etwas ihr Untergeordnetes, Geringeres; sondern sie hat ihre selbstständige Geltung und Berechtigung neben der natürlichen Form. Da aber die Kunst nicht in Fleisch und Blut, sondern in einem unbelebten Stoffe bildet, so kann der Künstler Leben nur dadurch darstellen, dass er das Bild der darzustellenden, mit Leben und Geist begabten Person in seinen eigenen Geist aufnimmt und es aus demselben wie- derschafft in einem gegebenen Stoffe und nach den Gesetzen des Stoffes, in welchem er bildet. So kann und muss aller- dings das Portrait in seiner höchsten Auffassung in einem ge- wissen Sinne ein Ideal werden, das Ideal der einen darge- stellten Person, indem der Künstler in sein Werk nur die einfachsten Grundformen aus der Natur herübernimmt, und nur solche, in welchen sich der tiefere Organismus, die ursprüng- liche geistige Anlage, das innere geistige Wesen in vollster Schärfe offenbart, alle Nebendinge aber, unbekümmert um eine kleinliche Nachahmung der Wirklichheit, nur zum Zwecke einer harmonischen Durchbildung jener Grundformen frei hinzu-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/417>, abgerufen am 24.11.2024.