das erhaltende Princip, welches das gewonnene Gute festhält und unzeitige Neuerungen schwerer Eingang finden lässt. So beschränkt sich die Schule des Myron, wie die des Polyklet, rücksichtlich des Stoffes fast ausschliesslich auf das Erz, wäh- rend die übrigen Zweige der Sculptur in der Schule des Phi- dias ihre Ausbildung erhalten. Hinsichtlich der Form wirkt in Argos die Lehre des Polyklet; in Attika bleibt sie, wie bei Phidias und Myron, der Idee untergeordnet. Selbst in der Wahl der Darstellungen bewahrt man gewisse Grenzen. Der Kreis derselben erweitert sich kaum wesentlich über das hin- aus, was schon in der Periode vor Phidias sich festgestellt hatte; nur dass die alten Formen von einem durchaus neuen Geiste belebt erscheinen. Aber noch immer giebt es kaum Beispiele, dass ein Kunstwerk blos um seiner selbst willen, um damit nichts als eine rein künstlerische Aufgabe zu lösen, gearbeitet worden sei. Fast immer lässt es sich nachweisen, dass, ehe der Künstler Hand anlegte, der besondere Zweck schon bekannt war, für welchen er sein Werk bestimmte. Freilich scheint es vielleicht im Widerspruch mit der behaup- teten Herrschaft der Schule zu stehen, dass die durch mehrere Generationen fortlaufenden Reihen von Schülern, wie z. B. die des Aristokles, des Kritios, welche noch aus der vorigen in die jetzige Periode herüberreichen, gerade jetzt verschwinden. Unter den Nachfolgern des Polyklet giebt es einige kurze Rei- hen; aber es scheint dieses keinen Unterschied zwischen den betreffenden Künstlern und ihren Landsleuten zu bedingen. Von Phidias und Myron dagegen kennen wir nur Schüler, aber weiterhin nicht Schüler dieser letzteren. Wir mögen uns dies daraus erklären, dass bei dem weitverzweigten künstlerischen Treiben dieser Periode besondere Vortheile und Vorzüge in dem, was mit dem gewöhnlichen Ausdrucke als das künstle- rische Machwerk bezeichnet wird, nicht lange mehr Eigenthum oder Geheimniss Weniger bleiben konnte, sondern Gemeingut werden musste, welches der Einzelne auch dann sich anzueig- nen vermochte, wenn er nicht im engen Zusammenhange mit einer bestimmten Schule stand. Wo nun gar, wie in Athen, zwei unter gewissen Gesichtspunkten gleichberechtigte und gleich ausgezeichnete Schulen bestehen, da kann eine Wech- selwirkung nicht ausbleiben. Deshalb verschwinden auch bei den Nachfolgern der Schüler des Phidias und Myron allmählig
das erhaltende Princip, welches das gewonnene Gute festhält und unzeitige Neuerungen schwerer Eingang finden lässt. So beschränkt sich die Schule des Myron, wie die des Polyklet, rücksichtlich des Stoffes fast ausschliesslich auf das Erz, wäh- rend die übrigen Zweige der Sculptur in der Schule des Phi- dias ihre Ausbildung erhalten. Hinsichtlich der Form wirkt in Argos die Lehre des Polyklet; in Attika bleibt sie, wie bei Phidias und Myron, der Idee untergeordnet. Selbst in der Wahl der Darstellungen bewahrt man gewisse Grenzen. Der Kreis derselben erweitert sich kaum wesentlich über das hin- aus, was schon in der Periode vor Phidias sich festgestellt hatte; nur dass die alten Formen von einem durchaus neuen Geiste belebt erscheinen. Aber noch immer giebt es kaum Beispiele, dass ein Kunstwerk blos um seiner selbst willen, um damit nichts als eine rein künstlerische Aufgabe zu lösen, gearbeitet worden sei. Fast immer lässt es sich nachweisen, dass, ehe der Künstler Hand anlegte, der besondere Zweck schon bekannt war, für welchen er sein Werk bestimmte. Freilich scheint es vielleicht im Widerspruch mit der behaup- teten Herrschaft der Schule zu stehen, dass die durch mehrere Generationen fortlaufenden Reihen von Schülern, wie z. B. die des Aristokles, des Kritios, welche noch aus der vorigen in die jetzige Periode herüberreichen, gerade jetzt verschwinden. Unter den Nachfolgern des Polyklet giebt es einige kurze Rei- hen; aber es scheint dieses keinen Unterschied zwischen den betreffenden Künstlern und ihren Landsleuten zu bedingen. Von Phidias und Myron dagegen kennen wir nur Schüler, aber weiterhin nicht Schüler dieser letzteren. Wir mögen uns dies daraus erklären, dass bei dem weitverzweigten künstlerischen Treiben dieser Periode besondere Vortheile und Vorzüge in dem, was mit dem gewöhnlichen Ausdrucke als das künstle- rische Machwerk bezeichnet wird, nicht lange mehr Eigenthum oder Geheimniss Weniger bleiben konnte, sondern Gemeingut werden musste, welches der Einzelne auch dann sich anzueig- nen vermochte, wenn er nicht im engen Zusammenhange mit einer bestimmten Schule stand. Wo nun gar, wie in Athen, zwei unter gewissen Gesichtspunkten gleichberechtigte und gleich ausgezeichnete Schulen bestehen, da kann eine Wech- selwirkung nicht ausbleiben. Deshalb verschwinden auch bei den Nachfolgern der Schüler des Phidias und Myron allmählig
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das erhaltende Princip, welches das gewonnene Gute festhält
und unzeitige Neuerungen schwerer Eingang finden lässt. So
beschränkt sich die Schule des Myron, wie die des Polyklet,
rücksichtlich des Stoffes fast ausschliesslich auf das Erz, wäh-
rend die übrigen Zweige der Sculptur in der Schule des Phi-
dias ihre Ausbildung erhalten. Hinsichtlich der Form wirkt in
Argos die Lehre des Polyklet; in Attika bleibt sie, wie bei
Phidias und Myron, der Idee untergeordnet. Selbst in der
Wahl der Darstellungen bewahrt man gewisse Grenzen. Der
Kreis derselben erweitert sich kaum wesentlich über das hin-
aus, was schon in der Periode vor Phidias sich festgestellt
hatte; nur dass die alten Formen von einem durchaus neuen
Geiste belebt erscheinen. Aber noch immer giebt es kaum
Beispiele, dass ein Kunstwerk blos um seiner selbst willen,
um damit nichts als eine rein künstlerische Aufgabe zu lösen,
gearbeitet worden sei. Fast immer lässt es sich nachweisen,
dass, ehe der Künstler Hand anlegte, der besondere Zweck
schon bekannt war, für welchen er sein Werk bestimmte.
Freilich scheint es vielleicht im Widerspruch mit der behaup-
teten Herrschaft der Schule zu stehen, dass die durch mehrere
Generationen fortlaufenden Reihen von Schülern, wie z. B. die
des Aristokles, des Kritios, welche noch aus der vorigen in
die jetzige Periode herüberreichen, gerade jetzt verschwinden.
Unter den Nachfolgern des Polyklet giebt es einige kurze Rei-
hen; aber es scheint dieses keinen Unterschied zwischen den
betreffenden Künstlern und ihren Landsleuten zu bedingen.
Von Phidias und Myron dagegen kennen wir nur Schüler, aber
weiterhin nicht Schüler dieser letzteren. Wir mögen uns dies
daraus erklären, dass bei dem weitverzweigten künstlerischen
Treiben dieser Periode besondere Vortheile und Vorzüge in
dem, was mit dem gewöhnlichen Ausdrucke als das künstle-
rische Machwerk bezeichnet wird, nicht lange mehr Eigenthum
oder Geheimniss Weniger bleiben konnte, sondern Gemeingut
werden musste, welches der Einzelne auch dann sich anzueig-
nen vermochte, wenn er nicht im engen Zusammenhange mit
einer bestimmten Schule stand. Wo nun gar, wie in Athen,
zwei unter gewissen Gesichtspunkten gleichberechtigte und
gleich ausgezeichnete Schulen bestehen, da kann eine Wech-
selwirkung nicht ausbleiben. Deshalb verschwinden auch bei
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/324>, abgerufen am 23.11.2024.
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