Es wird kaum einer Rechtfertigung bedürfen, dass wir dem Kresilas seine Stelle unter den athenischen Künstlern an- gewiesen haben. Nicht nur einige seiner Werke, sondern noch mehr seine künstlerische Richtung führen darauf hin. Denn diese erklärt sich am natürlichsten durch den Einfluss der per- sönlichen Leitung oder der Werke des Myron. Das Lob des Verwundeten, dass man sehe, wie viel noch vom Leben übrig sei, erinnert lebhaft an den Ladas des Myron, dem ja auch das Leben nur noch auf den Lippen zu schweben schien. An den bekannten Amazonenstatuen, wenn wir sie als Nachbil- dungen des Kresilas gelten lassen, spricht freilich, wie Jahn bemerkt, die trübe Herbigkeit des Ausdruckes noch mehr den düstern Ernst der Besiegten, als den blos körperlichen Schmerz aus; und die durchaus ruhige, abgeschlossene Haltung der gan- zen Figur weicht von der lebendigen Bewegung myronischer Gestalten weit ab. Nehmen wir dazu, dass Kresilas auch im Peloponnes, in Hermione, thätig war, und, wie Polyklet, einen Doryphoros bildete, so scheint es nicht unmöglich, dass auch das Vorbild des argivischen Künstlers auf ihn einen gewissen Einfluss geübt habe, und daher seine künstlerische Eigenthüm- lichkeit am besten als zwischen der des Myron und des Po- lyklet in der Mitte stehend bezeichnet werden dürfte.
Pyrrhos.
Im Jahre 1840 fand man vor der südlichsten Säule auf der hinteren Seite der Propylaeen zu Athen eine mehr als halbrunde Basis mit den Spuren der Füsse einer Bronzestatue auf der oberen, und folgender Inschrift an der vorderen Fläche:
[Abbildung]
1) Aus paläographischen Gründen setzt sie Ross in die Zeit des schwankenden Alphabetes vor Euklides, d. h. zwischen Ol. 86-- 94. Ueber den Künstler haben wir nur eine kurze Nachricht bei Plinius 2): dass er Hygiam et Minervam, eine Hygiea und eine Minerva, gebildet habe. (Denn dass, wie Ross vermuthet, sein Name unter den Künstlern der 90sten Olympiade an die Stelle des Perelius zu setzen sei, dürfen wir nicht als ausge- macht betrachten.) Als an dem Orte befindlich, wo die In-
1) Ross im Kunstbl. 1840, N. 37. Stephani im Rh. Mus. N. F. IV, S. 17. Schöll Mitth. S. 126. Rangabe ant. hell. p. 43.
2) 34, 80.
Es wird kaum einer Rechtfertigung bedürfen, dass wir dem Kresilas seine Stelle unter den athenischen Künstlern an- gewiesen haben. Nicht nur einige seiner Werke, sondern noch mehr seine künstlerische Richtung führen darauf hin. Denn diese erklärt sich am natürlichsten durch den Einfluss der per- sönlichen Leitung oder der Werke des Myron. Das Lob des Verwundeten, dass man sehe, wie viel noch vom Leben übrig sei, erinnert lebhaft an den Ladas des Myron, dem ja auch das Leben nur noch auf den Lippen zu schweben schien. An den bekannten Amazonenstatuen, wenn wir sie als Nachbil- dungen des Kresilas gelten lassen, spricht freilich, wie Jahn bemerkt, die trübe Herbigkeit des Ausdruckes noch mehr den düstern Ernst der Besiegten, als den blos körperlichen Schmerz aus; und die durchaus ruhige, abgeschlossene Haltung der gan- zen Figur weicht von der lebendigen Bewegung myronischer Gestalten weit ab. Nehmen wir dazu, dass Kresilas auch im Peloponnes, in Hermione, thätig war, und, wie Polyklet, einen Doryphoros bildete, so scheint es nicht unmöglich, dass auch das Vorbild des argivischen Künstlers auf ihn einen gewissen Einfluss geübt habe, und daher seine künstlerische Eigenthüm- lichkeit am besten als zwischen der des Myron und des Po- lyklet in der Mitte stehend bezeichnet werden dürfte.
Pyrrhos.
Im Jahre 1840 fand man vor der südlichsten Säule auf der hinteren Seite der Propylaeen zu Athen eine mehr als halbrunde Basis mit den Spuren der Füsse einer Bronzestatue auf der oberen, und folgender Inschrift an der vorderen Fläche:
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1) Aus paläographischen Gründen setzt sie Ross in die Zeit des schwankenden Alphabetes vor Euklides, d. h. zwischen Ol. 86— 94. Ueber den Künstler haben wir nur eine kurze Nachricht bei Plinius 2): dass er Hygiam et Minervam, eine Hygiea und eine Minerva, gebildet habe. (Denn dass, wie Ross vermuthet, sein Name unter den Künstlern der 90sten Olympiade an die Stelle des Perelius zu setzen sei, dürfen wir nicht als ausge- macht betrachten.) Als an dem Orte befindlich, wo die In-
1) Ross im Kunstbl. 1840, N. 37. Stephani im Rh. Mus. N. F. IV, S. 17. Schöll Mitth. S. 126. Rangabé ant. hell. p. 43.
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Es wird kaum einer Rechtfertigung bedürfen, dass wir
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mehr seine künstlerische Richtung führen darauf hin. Denn
diese erklärt sich am natürlichsten durch den Einfluss der per-
sönlichen Leitung oder der Werke des Myron. Das Lob des
Verwundeten, dass man sehe, wie viel noch vom Leben übrig
sei, erinnert lebhaft an den Ladas des Myron, dem ja auch
das Leben nur noch auf den Lippen zu schweben schien. An
den bekannten Amazonenstatuen, wenn wir sie als Nachbil-
dungen des Kresilas gelten lassen, spricht freilich, wie Jahn
bemerkt, die trübe Herbigkeit des Ausdruckes noch mehr den
düstern Ernst der Besiegten, als den blos körperlichen Schmerz
aus; und die durchaus ruhige, abgeschlossene Haltung der gan-
zen Figur weicht von der lebendigen Bewegung myronischer
Gestalten weit ab. Nehmen wir dazu, dass Kresilas auch im
Peloponnes, in Hermione, thätig war, und, wie Polyklet, einen
Doryphoros bildete, so scheint es nicht unmöglich, dass auch
das Vorbild des argivischen Künstlers auf ihn einen gewissen
Einfluss geübt habe, und daher seine künstlerische Eigenthüm-
lichkeit am besten als zwischen der des Myron und des Po-
lyklet in der Mitte stehend bezeichnet werden dürfte.
Pyrrhos.
Im Jahre 1840 fand man vor der südlichsten Säule auf der
hinteren Seite der Propylaeen zu Athen eine mehr als halbrunde
Basis mit den Spuren der Füsse einer Bronzestatue auf der
oberen, und folgender Inschrift an der vorderen Fläche:
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1)
Aus paläographischen Gründen setzt sie Ross in die Zeit des
schwankenden Alphabetes vor Euklides, d. h. zwischen Ol. 86—
94. Ueber den Künstler haben wir nur eine kurze Nachricht bei
Plinius 2): dass er Hygiam et Minervam, eine Hygiea und eine
Minerva, gebildet habe. (Denn dass, wie Ross vermuthet,
sein Name unter den Künstlern der 90sten Olympiade an die
Stelle des Perelius zu setzen sei, dürfen wir nicht als ausge-
macht betrachten.) Als an dem Orte befindlich, wo die In-
1) Ross im Kunstbl. 1840, N. 37. Stephani im Rh. Mus. N. F. IV, S. 17.
Schöll Mitth. S. 126. Rangabé ant. hell. p. 43.
2) 34, 80.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/277>, abgerufen am 24.11.2024.
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