Phidias höchstens noch etwa durch eine Generation erhalten, und muss selbst da, wie wir das Gleiche an den Zeitgenossen eines Raphael und Leonardo erfahren, schon als eine Absonder lichkeit erscheinen, die nicht von allem Tadel freizusprechen ist.
Den Uebergang zu einer Beurtheilung des Kallimachos bilden wir durch folgende Worte des Pausanias 1): "Obwohl er in der eigentlichen Kunst (es auten ten tekhnen) den Künstlern des ersten Ranges nachsteht, so überragt er doch alle der- massen an Kunstfertigkeit (sophia), dass er erfand, Steine zu bohren, und sich den Namen katatexitekhnos gab, oder nach- dem andere ihm denselben beigelegt, für sich annahm." Wir erfahren hier zunächst von einer zweiten Erfindung des Kal- limachos, an der man nicht weniger, als an der früher erwähn- ten hat zweifeln wollen, da man bereits an den aeginetischen Giebelstatuen Spuren des Bohrers bemerkt zu haben glaubt. Aber, wie fast immer bei den Nachrichten dieser Art, werden wir auch hier nicht nothwendig an die erste Erfindung, son- dern eher an eine wesentliche Vervollkommnung derselben, sei es des Instrumentes selbst, sei es seiner Anwendung, zu denken haben. Man beachte z. B. nur den Unterschied, den es macht, ob der Künstler im Stande ist, nur einzelne Löcher, oder auch Gänge zu bohren, welche sich durch die Wellen des Haares, die Falten der Gewänder in langen Linien fort- setzen: einen Unterschied, dessen Bedeutung bei einer Ver- gleichung des korinthischen Kapitäls besonders klar in die Augen springt. Sicher ist wenigstens so viel, dass Pausanias dem Kallimachos eine wesentliche Vervollkommnung der tech- nischen Mittel als Verdienst beilegt; und damit stimmt auch die Angabe des Vitruv 2), dass er den schon erwähnten Bei- namen wegen seiner "Eleganz und Subtilität in der Marmor- arbeit" erhalten habe. Am bestimmtesten zeichnet indessen Pli- nius 3) die Individualität des Künstlers: "Unter Allen ist be- sonders durch seinen Beinamen Kallimachos bekannt, stets ein Tadler seiner selbst, und von einer kein Ende findenden Ge- nauigkeit, weshalb er den Beinamen katatexitechnos erhalten hat, bemerkenswerth als ein Beispiel, dass man auch in der Genauigkeit Maass halten müsse. Von ihm sind tanzende La- kedaemonierinnen, ein gefeiltes Werk, in welchem aber alle
1) I, 26, 7.
2) IV, 1, 9.
3) 34, 92.
Phidias höchstens noch etwa durch eine Generation erhalten, und muss selbst da, wie wir das Gleiche an den Zeitgenossen eines Raphael und Leonardo erfahren, schon als eine Absonder lichkeit erscheinen, die nicht von allem Tadel freizusprechen ist.
Den Uebergang zu einer Beurtheilung des Kallimachos bilden wir durch folgende Worte des Pausanias 1): „Obwohl er in der eigentlichen Kunst (ἐς αὐτὴν τὴν τέχνην) den Künstlern des ersten Ranges nachsteht, so überragt er doch alle der- massen an Kunstfertigkeit (σοφίᾳ), dass er erfand, Steine zu bohren, und sich den Namen κατατηξίτεχνος gab, oder nach- dem andere ihm denselben beigelegt, für sich annahm.” Wir erfahren hier zunächst von einer zweiten Erfindung des Kal- limachos, an der man nicht weniger, als an der früher erwähn- ten hat zweifeln wollen, da man bereits an den aeginetischen Giebelstatuen Spuren des Bohrers bemerkt zu haben glaubt. Aber, wie fast immer bei den Nachrichten dieser Art, werden wir auch hier nicht nothwendig an die erste Erfindung, son- dern eher an eine wesentliche Vervollkommnung derselben, sei es des Instrumentes selbst, sei es seiner Anwendung, zu denken haben. Man beachte z. B. nur den Unterschied, den es macht, ob der Künstler im Stande ist, nur einzelne Löcher, oder auch Gänge zu bohren, welche sich durch die Wellen des Haares, die Falten der Gewänder in langen Linien fort- setzen: einen Unterschied, dessen Bedeutung bei einer Ver- gleichung des korinthischen Kapitäls besonders klar in die Augen springt. Sicher ist wenigstens so viel, dass Pausanias dem Kallimachos eine wesentliche Vervollkommnung der tech- nischen Mittel als Verdienst beilegt; und damit stimmt auch die Angabe des Vitruv 2), dass er den schon erwähnten Bei- namen wegen seiner „Eleganz und Subtilität in der Marmor- arbeit” erhalten habe. Am bestimmtesten zeichnet indessen Pli- nius 3) die Individualität des Künstlers: „Unter Allen ist be- sonders durch seinen Beinamen Kallimachos bekannt, stets ein Tadler seiner selbst, und von einer kein Ende findenden Ge- nauigkeit, weshalb er den Beinamen katatexitechnos erhalten hat, bemerkenswerth als ein Beispiel, dass man auch in der Genauigkeit Maass halten müsse. Von ihm sind tanzende La- kedaemonierinnen, ein gefeiltes Werk, in welchem aber alle
1) I, 26, 7.
2) IV, 1, 9.
3) 34, 92.
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Phidias höchstens noch etwa durch eine Generation erhalten,
und muss selbst da, wie wir das Gleiche an den Zeitgenossen
eines Raphael und Leonardo erfahren, schon als eine Absonder
lichkeit erscheinen, die nicht von allem Tadel freizusprechen ist.
Den Uebergang zu einer Beurtheilung des Kallimachos
bilden wir durch folgende Worte des Pausanias 1): „Obwohl er
in der eigentlichen Kunst (ἐς αὐτὴν τὴν τέχνην) den Künstlern
des ersten Ranges nachsteht, so überragt er doch alle der-
massen an Kunstfertigkeit (σοφίᾳ), dass er erfand, Steine zu
bohren, und sich den Namen κατατηξίτεχνος gab, oder nach-
dem andere ihm denselben beigelegt, für sich annahm.” Wir
erfahren hier zunächst von einer zweiten Erfindung des Kal-
limachos, an der man nicht weniger, als an der früher erwähn-
ten hat zweifeln wollen, da man bereits an den aeginetischen
Giebelstatuen Spuren des Bohrers bemerkt zu haben glaubt.
Aber, wie fast immer bei den Nachrichten dieser Art, werden
wir auch hier nicht nothwendig an die erste Erfindung, son-
dern eher an eine wesentliche Vervollkommnung derselben,
sei es des Instrumentes selbst, sei es seiner Anwendung, zu
denken haben. Man beachte z. B. nur den Unterschied, den
es macht, ob der Künstler im Stande ist, nur einzelne Löcher,
oder auch Gänge zu bohren, welche sich durch die Wellen
des Haares, die Falten der Gewänder in langen Linien fort-
setzen: einen Unterschied, dessen Bedeutung bei einer Ver-
gleichung des korinthischen Kapitäls besonders klar in die
Augen springt. Sicher ist wenigstens so viel, dass Pausanias
dem Kallimachos eine wesentliche Vervollkommnung der tech-
nischen Mittel als Verdienst beilegt; und damit stimmt auch
die Angabe des Vitruv 2), dass er den schon erwähnten Bei-
namen wegen seiner „Eleganz und Subtilität in der Marmor-
arbeit” erhalten habe. Am bestimmtesten zeichnet indessen Pli-
nius 3) die Individualität des Künstlers: „Unter Allen ist be-
sonders durch seinen Beinamen Kallimachos bekannt, stets ein
Tadler seiner selbst, und von einer kein Ende findenden Ge-
nauigkeit, weshalb er den Beinamen katatexitechnos erhalten
hat, bemerkenswerth als ein Beispiel, dass man auch in der
Genauigkeit Maass halten müsse. Von ihm sind tanzende La-
kedaemonierinnen, ein gefeiltes Werk, in welchem aber alle
1) I, 26, 7.
2) IV, 1, 9.
3) 34, 92.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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