Diese Nacbricht führt uns auf die Frage nach der Zeit des Künstlers. Die Annahme Stackelberg's 1), dass er eine Statue des Stoikers Zeno gemacht und deshalb erst in der 120sten Olympiade gelebt haben könne, beruht auf einem Mis- verständnisse der Worte, die bei Plinius 2) sich an die Er- wähnung des Kallimachos zwar anschliessen, sich aber auf diesen nicht mehr beziehen. Den Leuchter für das Erechtheum aber wird Kallimachos etwa zur Zeit der Vollendung dieses Gebäudes, gegen Ol. 93 gemacht haben. Wenn in dieselbe Zeit die Erfindung des korinthischen Kapitäls fällt, so verträgt sich damit die erste sichere Erwähnung von Säulen dieser Ordnung sehr wohl. Denn sie bezieht sich auf den Tempel der Athene in Tegea, welchen Skopas erbaute, nachdem der alte Ol. 96, 2 abgebrannt war 3). Diese Bestimmungen hat man jedoch durch die Bemerkung umzustossen gemeint, dass ein korinthisches Kapitäl am Tempel von Phigalia gefunden sei, als dessen Architekten Pausanias den Iktinos, den Er- bauer des Parthenon, nennt. Indessen, dieses Kapitäl steht vereinzelt, könnte möglicher Weise einer späteren Restaura- tion angehören, und ist nicht einmal eigentlich korinthisch, sondern von einer Mischgattung, die allenfalls der reinen Aus- bildung vorangegangen sein könnte. In dieser aber, in der Bestimmung der rationes Corinthii generis, müssen wir nach Vitruv das Verdienst des Kallimachos erkennen, während wir die Veranlassung seiner Erfindung, das Geschichtchen von dem korinthischen Mädchen, gern der poetischen Sage anheimgeben können. -- Uebrigens hindert uns nichts, die künstlerische Laufbahn des Kallimachos, auch wenn er noch nach Ol. 93 thätig war, schon zur Zeit des Iktinos beginnen zu lassen, der etwa nach Vollendung des Parthenon, als Phidias in Olym- pia beschäftigt war, den Bau des Tempels in Phigalia leiten konnte. Ja wir sind zu dieser Annahme fast gezwungen, wenn wir bei Dionys von Halikarnass 4) den Kallimachos mit Kalamis auf eine Linie tes leptotetos eneka kai tes kharitos gestellt finden. Dem Kalamis, als einem älteren Zeitgenossen des Phidias, steht archaische Zierlichkeit und Grazie noch wohl an. Eine ihm verwandte Richtung konnte sich aber im Zeitalter des
1) Apollotempel S. 43.
2) 34, 92.
3) Paus. VIII, 45, 3--4.
4) de Isocr. p. 95 Sylb.
Diese Nacbricht führt uns auf die Frage nach der Zeit des Künstlers. Die Annahme Stackelberg’s 1), dass er eine Statue des Stoikers Zeno gemacht und deshalb erst in der 120sten Olympiade gelebt haben könne, beruht auf einem Mis- verständnisse der Worte, die bei Plinius 2) sich an die Er- wähnung des Kallimachos zwar anschliessen, sich aber auf diesen nicht mehr beziehen. Den Leuchter für das Erechtheum aber wird Kallimachos etwa zur Zeit der Vollendung dieses Gebäudes, gegen Ol. 93 gemacht haben. Wenn in dieselbe Zeit die Erfindung des korinthischen Kapitäls fällt, so verträgt sich damit die erste sichere Erwähnung von Säulen dieser Ordnung sehr wohl. Denn sie bezieht sich auf den Tempel der Athene in Tegea, welchen Skopas erbaute, nachdem der alte Ol. 96, 2 abgebrannt war 3). Diese Bestimmungen hat man jedoch durch die Bemerkung umzustossen gemeint, dass ein korinthisches Kapitäl am Tempel von Phigalia gefunden sei, als dessen Architekten Pausanias den Iktinos, den Er- bauer des Parthenon, nennt. Indessen, dieses Kapitäl steht vereinzelt, könnte möglicher Weise einer späteren Restaura- tion angehören, und ist nicht einmal eigentlich korinthisch, sondern von einer Mischgattung, die allenfalls der reinen Aus- bildung vorangegangen sein könnte. In dieser aber, in der Bestimmung der rationes Corinthii generis, müssen wir nach Vitruv das Verdienst des Kallimachos erkennen, während wir die Veranlassung seiner Erfindung, das Geschichtchen von dem korinthischen Mädchen, gern der poetischen Sage anheimgeben können. — Uebrigens hindert uns nichts, die künstlerische Laufbahn des Kallimachos, auch wenn er noch nach Ol. 93 thätig war, schon zur Zeit des Iktinos beginnen zu lassen, der etwa nach Vollendung des Parthenon, als Phidias in Olym- pia beschäftigt war, den Bau des Tempels in Phigalia leiten konnte. Ja wir sind zu dieser Annahme fast gezwungen, wenn wir bei Dionys von Halikarnass 4) den Kallimachos mit Kalamis auf eine Linie τῆς λεπτότητος ἕνεκα καὶ τῆς χάριτος gestellt finden. Dem Kalamis, als einem älteren Zeitgenossen des Phidias, steht archaische Zierlichkeit und Grazie noch wohl an. Eine ihm verwandte Richtung konnte sich aber im Zeitalter des
1) Apollotempel S. 43.
2) 34, 92.
3) Paus. VIII, 45, 3—4.
4) de Isocr. p. 95 Sylb.
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Diese Nacbricht führt uns auf die Frage nach der Zeit
des Künstlers. Die Annahme Stackelberg’s 1), dass er eine
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120sten Olympiade gelebt haben könne, beruht auf einem Mis-
verständnisse der Worte, die bei Plinius 2) sich an die Er-
wähnung des Kallimachos zwar anschliessen, sich aber auf
diesen nicht mehr beziehen. Den Leuchter für das Erechtheum
aber wird Kallimachos etwa zur Zeit der Vollendung dieses
Gebäudes, gegen Ol. 93 gemacht haben. Wenn in dieselbe
Zeit die Erfindung des korinthischen Kapitäls fällt, so verträgt
sich damit die erste sichere Erwähnung von Säulen dieser
Ordnung sehr wohl. Denn sie bezieht sich auf den Tempel
der Athene in Tegea, welchen Skopas erbaute, nachdem der
alte Ol. 96, 2 abgebrannt war 3). Diese Bestimmungen hat
man jedoch durch die Bemerkung umzustossen gemeint, dass
ein korinthisches Kapitäl am Tempel von Phigalia gefunden
sei, als dessen Architekten Pausanias den Iktinos, den Er-
bauer des Parthenon, nennt. Indessen, dieses Kapitäl steht
vereinzelt, könnte möglicher Weise einer späteren Restaura-
tion angehören, und ist nicht einmal eigentlich korinthisch,
sondern von einer Mischgattung, die allenfalls der reinen Aus-
bildung vorangegangen sein könnte. In dieser aber, in der
Bestimmung der rationes Corinthii generis, müssen wir nach
Vitruv das Verdienst des Kallimachos erkennen, während wir
die Veranlassung seiner Erfindung, das Geschichtchen von dem
korinthischen Mädchen, gern der poetischen Sage anheimgeben
können. — Uebrigens hindert uns nichts, die künstlerische
Laufbahn des Kallimachos, auch wenn er noch nach Ol. 93
thätig war, schon zur Zeit des Iktinos beginnen zu lassen,
der etwa nach Vollendung des Parthenon, als Phidias in Olym-
pia beschäftigt war, den Bau des Tempels in Phigalia leiten
konnte. Ja wir sind zu dieser Annahme fast gezwungen,
wenn wir bei Dionys von Halikarnass 4) den Kallimachos mit
Kalamis auf eine Linie τῆς λεπτότητος ἕνεκα καὶ τῆς χάριτος
gestellt finden. Dem Kalamis, als einem älteren Zeitgenossen des
Phidias, steht archaische Zierlichkeit und Grazie noch wohl an.
Eine ihm verwandte Richtung konnte sich aber im Zeitalter des
1) Apollotempel S. 43.
2) 34, 92.
3) Paus. VIII, 45, 3—4.
4) de
Isocr. p. 95 Sylb.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/265>, abgerufen am 24.11.2024.
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