sie ist demnach ein mathematisches, strenges Princip. Rhyth- mus und Eurythmie dagegen vermögen nicht allgemein gültige Regeln zu geben, sondern beruhen auf der Beobachtung des Angemessenen und Gefälligen, nicht weniger an der Gesammt- erscheinung künstlerischer Gestaltungen, als an deren einzel- nen Theilen. Sehen wir von künstlerischer Schönheit ganz ab, so kann mitunter der Begriff des euruthmon sogar vollkom- men mit dem des armotton, des Anpassenden, zusammentreffen und sich z. B. auf einen Panzer anwenden lassen, der dem Krieger, für welchen er bestimmt ist, gut sitzt1). Höhere Bedeutung erlangt dagegen die Eurythmie, sofern sie mit der Symmetrie in Verbindung tritt: denn in diesem Verhältnisse ist sie das vermittelnde Princip, bestimmt, die Schärfen und Härten zu mildern, welche die Anwendung jenes mathematischen Gesetzes namentlich auf organische Gestalten erzeugen muss.
Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zu Pytha- goras zurück. Um sein Verdienst richtig zu beurtheilen, halten wir uns streng an die Worte des Diogenes, dass er zuerst Rhythmus und Symmetrie erstrebt habe. Denn soweit war die Kunst damals schwerlich schon vorgeschritten, dass wir dem Pythagoras eine bestimmte Proportionslehre zuschrei- ben dürften, welche aus der Beobachtung vieler einzelnen Fälle die Regel abstrahirt, sie als festen Kanon hinstellt und nach einem solchen Kanon die Kunstwerke gewissermaassen con- struirt. Sein Verdienst wird mehr ein praktisches in der Weise gewesen sein, dass er von conventionellen Formen zu einer schärferen Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse zu- rückkehrte. Gerade je länger die ersteren damals gegolten hat- ten, um so grösser war die Gefahr der Ausartung, und in der That finden wir theils in wirklich alten, theils in nachge- ahmt alterthümlichen Werken Uebertreibungen mannigfacher Art: die fleischigen, muskulösen Theile zeigen eine übermässige Fülle und Rundung, die Gelenke und Extremitäten dagegen eine gesuchte und an Ziererei streifende Zartheit und Schlank- heit. Solchen Erscheinungen gegenüber begreifen wir leicht, wie ein damaliger Künstler auch ohne eigentliche Theorie und Reflexion einzig durch eine unbefangene Beobachtung der Natur einer richtigeren Auffassung Eingang zu verschaffen
1) Xenoph. Mem. III, 10, 10 sqq.
sie ist demnach ein mathematisches, strenges Princip. Rhyth- mus und Eurythmie dagegen vermögen nicht allgemein gültige Regeln zu geben, sondern beruhen auf der Beobachtung des Angemessenen und Gefälligen, nicht weniger an der Gesammt- erscheinung künstlerischer Gestaltungen, als an deren einzel- nen Theilen. Sehen wir von künstlerischer Schönheit ganz ab, so kann mitunter der Begriff des εὔρυϑμον sogar vollkom- men mit dem des ἅρμοττον, des Anpassenden, zusammentreffen und sich z. B. auf einen Panzer anwenden lassen, der dem Krieger, für welchen er bestimmt ist, gut sitzt1). Höhere Bedeutung erlangt dagegen die Eurythmie, sofern sie mit der Symmetrie in Verbindung tritt: denn in diesem Verhältnisse ist sie das vermittelnde Princip, bestimmt, die Schärfen und Härten zu mildern, welche die Anwendung jenes mathematischen Gesetzes namentlich auf organische Gestalten erzeugen muss.
Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zu Pytha- goras zurück. Um sein Verdienst richtig zu beurtheilen, halten wir uns streng an die Worte des Diogenes, dass er zuerst Rhythmus und Symmetrie erstrebt habe. Denn soweit war die Kunst damals schwerlich schon vorgeschritten, dass wir dem Pythagoras eine bestimmte Proportionslehre zuschrei- ben dürften, welche aus der Beobachtung vieler einzelnen Fälle die Regel abstrahirt, sie als festen Kanon hinstellt und nach einem solchen Kanon die Kunstwerke gewissermaassen con- struirt. Sein Verdienst wird mehr ein praktisches in der Weise gewesen sein, dass er von conventionellen Formen zu einer schärferen Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse zu- rückkehrte. Gerade je länger die ersteren damals gegolten hat- ten, um so grösser war die Gefahr der Ausartung, und in der That finden wir theils in wirklich alten, theils in nachge- ahmt alterthümlichen Werken Uebertreibungen mannigfacher Art: die fleischigen, muskulösen Theile zeigen eine übermässige Fülle und Rundung, die Gelenke und Extremitäten dagegen eine gesuchte und an Ziererei streifende Zartheit und Schlank- heit. Solchen Erscheinungen gegenüber begreifen wir leicht, wie ein damaliger Künstler auch ohne eigentliche Theorie und Reflexion einzig durch eine unbefangene Beobachtung der Natur einer richtigeren Auffassung Eingang zu verschaffen
1) Xenoph. Mem. III, 10, 10 sqq.
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sie ist demnach ein mathematisches, strenges Princip. Rhyth-
mus und Eurythmie dagegen vermögen nicht allgemein gültige
Regeln zu geben, sondern beruhen auf der Beobachtung des
Angemessenen und Gefälligen, nicht weniger an der Gesammt-
erscheinung künstlerischer Gestaltungen, als an deren einzel-
nen Theilen. Sehen wir von künstlerischer Schönheit ganz
ab, so kann mitunter der Begriff des εὔρυϑμον sogar vollkom-
men mit dem des ἅρμοττον, des Anpassenden, zusammentreffen
und sich z. B. auf einen Panzer anwenden lassen, der dem
Krieger, für welchen er bestimmt ist, gut sitzt 1). Höhere
Bedeutung erlangt dagegen die Eurythmie, sofern sie mit der
Symmetrie in Verbindung tritt: denn in diesem Verhältnisse
ist sie das vermittelnde Princip, bestimmt, die Schärfen und
Härten zu mildern, welche die Anwendung jenes mathematischen
Gesetzes namentlich auf organische Gestalten erzeugen muss.
Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zu Pytha-
goras zurück. Um sein Verdienst richtig zu beurtheilen,
halten wir uns streng an die Worte des Diogenes, dass er
zuerst Rhythmus und Symmetrie erstrebt habe. Denn soweit
war die Kunst damals schwerlich schon vorgeschritten, dass
wir dem Pythagoras eine bestimmte Proportionslehre zuschrei-
ben dürften, welche aus der Beobachtung vieler einzelnen Fälle
die Regel abstrahirt, sie als festen Kanon hinstellt und nach
einem solchen Kanon die Kunstwerke gewissermaassen con-
struirt. Sein Verdienst wird mehr ein praktisches in der Weise
gewesen sein, dass er von conventionellen Formen zu einer
schärferen Berücksichtigung der natürlichen Verhältnisse zu-
rückkehrte. Gerade je länger die ersteren damals gegolten hat-
ten, um so grösser war die Gefahr der Ausartung, und in der
That finden wir theils in wirklich alten, theils in nachge-
ahmt alterthümlichen Werken Uebertreibungen mannigfacher
Art: die fleischigen, muskulösen Theile zeigen eine übermässige
Fülle und Rundung, die Gelenke und Extremitäten dagegen
eine gesuchte und an Ziererei streifende Zartheit und Schlank-
heit. Solchen Erscheinungen gegenüber begreifen wir leicht,
wie ein damaliger Künstler auch ohne eigentliche Theorie und
Reflexion einzig durch eine unbefangene Beobachtung der
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1) Xenoph. Mem. III, 10, 10 sqq.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/151>, abgerufen am 24.11.2024.
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