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Bruhns, Julius: Das Frauenstimmrecht und die sozialdemokratische Partei. In: Sozialistische Monatshefte 9 (1906), S. 776–780.

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JULIUS · BRUHNS DAS FRAUENSTIMMRECHT UND DIE SOZIALDEMOKRATIE
dort, wo ein mehr oder minder freies Stimmrecht für die männlichen Proletarier
schon besteht, durch Einführung des Frauenstimmrechts die politischen Macht-
verhältnisse vorübergehend zu unseren Ungunsten zu beeinflussen, grundsätz-
lich doch dafür eintreten.

"Es ist aber bekanntlich nicht das selbe, eine Forderung grundsätzlich zu vertreten
und sie zu einem Punkte der praktischen Politik zu machen. Wie die Haltung
unserer Bruderparteien in Schweden, Belgien und Österreich erweist, können Augen-
blicksrücksichten verschiedener Art die Sozialdemokratie veranlassen, die Forde-
rung des Frauenstimmrechts zurückzustellen."

Das sagt die Genossin Roland-Holst.2) Und man muss angesichts der zwingen-
den Rücksichten, die die politische Situation und das Interesse der Arbeiter-
klasse in den genannten drei Ländern, zu denen sich nach der Darstellung der
Genossin Holst noch Holland gesellt, dem Diktum der gewiss nicht im Geruche
des Opportunismus stehenden Genossin durchaus beistimmen. Es soll hier
nicht ausführlich auf die Verhältnisse der in Rede stehenden Länder, soweit
sie zur Zurückstellung der Forderung des Frauenstimmrechts führten, einge-
gangen werden. Sie sind für Österreich und Belgien durch Adelheid Popp und
Vandervelde in den Sozialistischen Monatsheften, für Holland und Schweden
durch Henriette Roland-Holst und Hjalmar Branting in der Gleichheit des
näheren geschildert. Überall haben Zweckmässigkeitsgründe zu dem Verzicht
auf das Frauenstimmrecht geführt. Und überall haben die Genossinnen das
Zwingende der Situation anerkannt und von der Geltendmachung ihrer Forde-
rung abgesehen.

In Österreich hat man dies von vornherein getan, um nicht das Wahlrecht
für die Männer zu gefährden. Nicht erst im Parlament, veranlasst durch
taktische Rücksichten auf bürgerliche Fraktionen und deren Politik, sondern
schon auf ihrem Parteitage haben unsere österreichischen Genossen aus Gründen
der Opportunität die Forderung des Frauenstimmrechtes fallen gelassen und
- zum erstenmal auf einem österreichischen Parteitag - eine Resolution
beschlossen, die nicht aussprach, dass das Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne
Unterschied des Geschlechts gefordert werde. Die weiblichen Parteitags-
delegierten aber erklärten in deutscher und tschechischer Sprache:

"dass sie den grossen Augenblick begreifen und den Kampf ums allgemeine Wahl-
recht nicht beeinträchtigen wollen durch das Verlangen, das Frauenwahlrecht in
diesem Augenblick besonders zu betonen."3)

In Belgien hatte die Drohung klerikaler Abgeordneter, gegebenenfalls für
das Frauenstimmrecht einzutreten, um damit die klerikale Herrschaft dauernd
zu sichern, Liberale und Radikale zum einmütigen Widerspruch gegen die von
den Sozialisten erhobene Forderung bestimmt. Angesichts dessen meint nun
Vandervelde:

"Dürfen wir unter diesen Umständen in der Agitation für die gleichzeitige Gewäh-
rung des Wahlrechtes an Männer und Frauen fortfahren, auf die Gefahr hin, die
erste dieser Reformen zum Scheitern zu bringen, ohne die Aussichten auf Erfolg
für die zweite zu verbessern? Der Verband der sozialistischen Frauen musste sich
darüber klar werden. Trotz des Widerspruchs einer energischen Minderheit sprach
er sich für die Vertagung der Frage des Frauenstimmrechts bis nach Lösung
der Frage des allgemeinen Stimmrechtes für die Männer aus."4)

2) Vergl. Henriette Roland-Holst: Frauenwahlrecht und Sozialdemokratie in Holland
in der Gleichheit vom 13. Juni 1906.
3) Vergl. Adelheid Popp: Die österreichische Wahlreform und das Frauenwahlrecht im
vorigen Bande der Sozialistischen Monatshefte, pag. 304.
4) Vergl. Vandervelde, Ipc. cit., pag. 139.

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dort, wo ein mehr oder minder freies Stimmrecht für die männlichen Proletarier
schon besteht, durch Einführung des Frauenstimmrechts die politischen Macht-
verhältnisse vorübergehend zu unseren Ungunsten zu beeinflussen, grundsätz-
lich doch dafür eintreten.

»Es ist aber bekanntlich nicht das selbe, eine Forderung grundsätzlich zu vertreten
und sie zu einem Punkte der praktischen Politik zu machen. Wie die Haltung
unserer Bruderparteien in Schweden, Belgien und Österreich erweist, können Augen-
blicksrücksichten verschiedener Art die Sozialdemokratie veranlassen, die Forde-
rung des Frauenstimmrechts zurückzustellen.«

Das sagt die Genossin Roland-Holst.²) Und man muss angesichts der zwingen-
den Rücksichten, die die politische Situation und das Interesse der Arbeiter-
klasse in den genannten drei Ländern, zu denen sich nach der Darstellung der
Genossin Holst noch Holland gesellt, dem Diktum der gewiss nicht im Geruche
des Opportunismus stehenden Genossin durchaus beistimmen. Es soll hier
nicht ausführlich auf die Verhältnisse der in Rede stehenden Länder, soweit
sie zur Zurückstellung der Forderung des Frauenstimmrechts führten, einge-
gangen werden. Sie sind für Österreich und Belgien durch Adelheid Popp und
Vandervelde in den Sozialistischen Monatsheften, für Holland und Schweden
durch Henriette Roland-Holst und Hjalmar Branting in der Gleichheit des
näheren geschildert. Überall haben Zweckmässigkeitsgründe zu dem Verzicht
auf das Frauenstimmrecht geführt. Und überall haben die Genossinnen das
Zwingende der Situation anerkannt und von der Geltendmachung ihrer Forde-
rung abgesehen.

In Österreich hat man dies von vornherein getan, um nicht das Wahlrecht
für die Männer zu gefährden. Nicht erst im Parlament, veranlasst durch
taktische Rücksichten auf bürgerliche Fraktionen und deren Politik, sondern
schon auf ihrem Parteitage haben unsere österreichischen Genossen aus Gründen
der Opportunität die Forderung des Frauenstimmrechtes fallen gelassen und
– zum erstenmal auf einem österreichischen Parteitag – eine Resolution
beschlossen, die nicht aussprach, dass das Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne
Unterschied des Geschlechts gefordert werde. Die weiblichen Parteitags-
delegierten aber erklärten in deutscher und tschechischer Sprache:

»dass sie den grossen Augenblick begreifen und den Kampf ums allgemeine Wahl-
recht nicht beeinträchtigen wollen durch das Verlangen, das Frauenwahlrecht in
diesem Augenblick besonders zu betonen.«³)

In Belgien hatte die Drohung klerikaler Abgeordneter, gegebenenfalls für
das Frauenstimmrecht einzutreten, um damit die klerikale Herrschaft dauernd
zu sichern, Liberale und Radikale zum einmütigen Widerspruch gegen die von
den Sozialisten erhobene Forderung bestimmt. Angesichts dessen meint nun
Vandervelde:

»Dürfen wir unter diesen Umständen in der Agitation für die gleichzeitige Gewäh-
rung des Wahlrechtes an Männer und Frauen fortfahren, auf die Gefahr hin, die
erste dieser Reformen zum Scheitern zu bringen, ohne die Aussichten auf Erfolg
für die zweite zu verbessern? Der Verband der sozialistischen Frauen musste sich
darüber klar werden. Trotz des Widerspruchs einer energischen Minderheit sprach
er sich für die Vertagung der Frage des Frauenstimmrechts bis nach Lösung
der Frage des allgemeinen Stimmrechtes für die Männer aus.«4)

²) Vergl. Henriette Roland-Holst: Frauenwahlrecht und Sozialdemokratie in Holland
in der Gleichheit vom 13. Juni 1906.
³) Vergl. Adelheid Popp: Die österreichische Wahlreform und das Frauenwahlrecht im
vorigen Bande der Sozialistischen Monatshefte, pag. 304.
4) Vergl. Vandervelde, Ipc. cit., pag. 139.
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[778/0003] JULIUS · BRUHNS DAS FRAUENSTIMMRECHT UND DIE SOZIALDEMOKRATIE dort, wo ein mehr oder minder freies Stimmrecht für die männlichen Proletarier schon besteht, durch Einführung des Frauenstimmrechts die politischen Macht- verhältnisse vorübergehend zu unseren Ungunsten zu beeinflussen, grundsätz- lich doch dafür eintreten. »Es ist aber bekanntlich nicht das selbe, eine Forderung grundsätzlich zu vertreten und sie zu einem Punkte der praktischen Politik zu machen. Wie die Haltung unserer Bruderparteien in Schweden, Belgien und Österreich erweist, können Augen- blicksrücksichten verschiedener Art die Sozialdemokratie veranlassen, die Forde- rung des Frauenstimmrechts zurückzustellen.« Das sagt die Genossin Roland-Holst. ²) Und man muss angesichts der zwingen- den Rücksichten, die die politische Situation und das Interesse der Arbeiter- klasse in den genannten drei Ländern, zu denen sich nach der Darstellung der Genossin Holst noch Holland gesellt, dem Diktum der gewiss nicht im Geruche des Opportunismus stehenden Genossin durchaus beistimmen. Es soll hier nicht ausführlich auf die Verhältnisse der in Rede stehenden Länder, soweit sie zur Zurückstellung der Forderung des Frauenstimmrechts führten, einge- gangen werden. Sie sind für Österreich und Belgien durch Adelheid Popp und Vandervelde in den Sozialistischen Monatsheften, für Holland und Schweden durch Henriette Roland-Holst und Hjalmar Branting in der Gleichheit des näheren geschildert. Überall haben Zweckmässigkeitsgründe zu dem Verzicht auf das Frauenstimmrecht geführt. Und überall haben die Genossinnen das Zwingende der Situation anerkannt und von der Geltendmachung ihrer Forde- rung abgesehen. In Österreich hat man dies von vornherein getan, um nicht das Wahlrecht für die Männer zu gefährden. Nicht erst im Parlament, veranlasst durch taktische Rücksichten auf bürgerliche Fraktionen und deren Politik, sondern schon auf ihrem Parteitage haben unsere österreichischen Genossen aus Gründen der Opportunität die Forderung des Frauenstimmrechtes fallen gelassen und – zum erstenmal auf einem österreichischen Parteitag – eine Resolution beschlossen, die nicht aussprach, dass das Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts gefordert werde. Die weiblichen Parteitags- delegierten aber erklärten in deutscher und tschechischer Sprache: »dass sie den grossen Augenblick begreifen und den Kampf ums allgemeine Wahl- recht nicht beeinträchtigen wollen durch das Verlangen, das Frauenwahlrecht in diesem Augenblick besonders zu betonen.« ³) In Belgien hatte die Drohung klerikaler Abgeordneter, gegebenenfalls für das Frauenstimmrecht einzutreten, um damit die klerikale Herrschaft dauernd zu sichern, Liberale und Radikale zum einmütigen Widerspruch gegen die von den Sozialisten erhobene Forderung bestimmt. Angesichts dessen meint nun Vandervelde: »Dürfen wir unter diesen Umständen in der Agitation für die gleichzeitige Gewäh- rung des Wahlrechtes an Männer und Frauen fortfahren, auf die Gefahr hin, die erste dieser Reformen zum Scheitern zu bringen, ohne die Aussichten auf Erfolg für die zweite zu verbessern? Der Verband der sozialistischen Frauen musste sich darüber klar werden. Trotz des Widerspruchs einer energischen Minderheit sprach er sich für die Vertagung der Frage des Frauenstimmrechts bis nach Lösung der Frage des allgemeinen Stimmrechtes für die Männer aus.« 4) ²) Vergl. Henriette Roland-Holst: Frauenwahlrecht und Sozialdemokratie in Holland in der Gleichheit vom 13. Juni 1906. ³) Vergl. Adelheid Popp: Die österreichische Wahlreform und das Frauenwahlrecht im vorigen Bande der Sozialistischen Monatshefte, pag. 304. 4) Vergl. Vandervelde, Ipc. cit., pag. 139.

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Zitationshilfe: Bruhns, Julius: Das Frauenstimmrecht und die sozialdemokratische Partei. In: Sozialistische Monatshefte 9 (1906), S. 776–780, hier S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruhns_frauenstimmrecht_1906/3>, abgerufen am 27.11.2024.