während dieser Zeit kaum eine nüchterne Person in Petersburg zu finden war. Den 10ten Tag gab der Czar im Senathause ein großes Gastmahl, und zu Ende desselben bekam jeder Gast ein großes Glas mit einem Deckel, der doppelte Adler genannt, worinn ei- ne große Bouteille Wein war, die jeder austrinken mußte. Um dieses zu vermeiden, schlich ich mich davon, und machte dem wachhabenden Officier weiß, daß ich von dem Czar weggeschickt würde, welches er auch glaubte und mich gehen ließ. Jch begab mich daher in des Herrn Keldermanns Haus, der vor die- sem einer von des Czars Hofmeistern gewesen war, und noch in großen Gnaden bey ihm stand. Herr Keldermann folgte mir bald nach, hatte aber seinen doppelten Adler getrunken, und beklagte sich, daß er vom Trinken krank sey. Er setzte sich an seinen Tisch, legte sich mit dem Kopfe darauf, und schien einge- schlafen zu seyn. Da dieses etwas gewöhnliches bey ihm war, so gaben seine Frau und seine Töchter nicht Achtung darauf, bis sie nach einiger Zeit gewahr wur- den, daß er sich nicht bewegte und keinen Athem holte, und endlich nahe zu ihm kamen, und ihn starr und todt fanden, wodurch die Familie in große Verwir- rung gerieth. Weil ich die Hochachtung wußte, in der er bey dem Czar gestanden, so gieng ich und hin- terbrachte ihm den plötzlichen Tod des Herrn Kelder- manns. Seine Bestürzung über diese Begebenheit führte ihn sogleich in das Haus, wo er die Wittwe wegen des Verlusts ihres Ehemannes bedauerte, und ein anständiges Begräbniß für den Verstorbenen auf seine Kosten veranstaltete, ihr auch einen jährlichen Gehalt aussetzte. So endigte sich das Geräusch des
Carne-
waͤhrend dieſer Zeit kaum eine nuͤchterne Perſon in Petersburg zu finden war. Den 10ten Tag gab der Czar im Senathauſe ein großes Gaſtmahl, und zu Ende deſſelben bekam jeder Gaſt ein großes Glas mit einem Deckel, der doppelte Adler genannt, worinn ei- ne große Bouteille Wein war, die jeder austrinken mußte. Um dieſes zu vermeiden, ſchlich ich mich davon, und machte dem wachhabenden Officier weiß, daß ich von dem Czar weggeſchickt wuͤrde, welches er auch glaubte und mich gehen ließ. Jch begab mich daher in des Herrn Keldermanns Haus, der vor die- ſem einer von des Czars Hofmeiſtern geweſen war, und noch in großen Gnaden bey ihm ſtand. Herr Keldermann folgte mir bald nach, hatte aber ſeinen doppelten Adler getrunken, und beklagte ſich, daß er vom Trinken krank ſey. Er ſetzte ſich an ſeinen Tiſch, legte ſich mit dem Kopfe darauf, und ſchien einge- ſchlafen zu ſeyn. Da dieſes etwas gewoͤhnliches bey ihm war, ſo gaben ſeine Frau und ſeine Toͤchter nicht Achtung darauf, bis ſie nach einiger Zeit gewahr wur- den, daß er ſich nicht bewegte und keinen Athem holte, und endlich nahe zu ihm kamen, und ihn ſtarr und todt fanden, wodurch die Familie in große Verwir- rung gerieth. Weil ich die Hochachtung wußte, in der er bey dem Czar geſtanden, ſo gieng ich und hin- terbrachte ihm den ploͤtzlichen Tod des Herrn Kelder- manns. Seine Beſtuͤrzung uͤber dieſe Begebenheit fuͤhrte ihn ſogleich in das Haus, wo er die Wittwe wegen des Verluſts ihres Ehemannes bedauerte, und ein anſtaͤndiges Begraͤbniß fuͤr den Verſtorbenen auf ſeine Koſten veranſtaltete, ihr auch einen jaͤhrlichen Gehalt ausſetzte. So endigte ſich das Geraͤuſch des
Carne-
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waͤhrend dieſer Zeit kaum eine nuͤchterne Perſon in
Petersburg zu finden war. Den 10ten Tag gab der
Czar im Senathauſe ein großes Gaſtmahl, und zu
Ende deſſelben bekam jeder Gaſt ein großes Glas mit
einem Deckel, der doppelte Adler genannt, worinn ei-
ne große Bouteille Wein war, die jeder austrinken
mußte. Um dieſes zu vermeiden, ſchlich ich mich
davon, und machte dem wachhabenden Officier weiß,
daß ich von dem Czar weggeſchickt wuͤrde, welches
er auch glaubte und mich gehen ließ. Jch begab mich
daher in des Herrn Keldermanns Haus, der vor die-
ſem einer von des Czars Hofmeiſtern geweſen war,
und noch in großen Gnaden bey ihm ſtand. Herr
Keldermann folgte mir bald nach, hatte aber ſeinen
doppelten Adler getrunken, und beklagte ſich, daß er
vom Trinken krank ſey. Er ſetzte ſich an ſeinen Tiſch,
legte ſich mit dem Kopfe darauf, und ſchien einge-
ſchlafen zu ſeyn. Da dieſes etwas gewoͤhnliches bey
ihm war, ſo gaben ſeine Frau und ſeine Toͤchter nicht
Achtung darauf, bis ſie nach einiger Zeit gewahr wur-
den, daß er ſich nicht bewegte und keinen Athem holte,
und endlich nahe zu ihm kamen, und ihn ſtarr und
todt fanden, wodurch die Familie in große Verwir-
rung gerieth. Weil ich die Hochachtung wußte, in
der er bey dem Czar geſtanden, ſo gieng ich und hin-
terbrachte ihm den ploͤtzlichen Tod des Herrn Kelder-
manns. Seine Beſtuͤrzung uͤber dieſe Begebenheit
fuͤhrte ihn ſogleich in das Haus, wo er die Wittwe
wegen des Verluſts ihres Ehemannes bedauerte, und
ein anſtaͤndiges Begraͤbniß fuͤr den Verſtorbenen auf
ſeine Koſten veranſtaltete, ihr auch einen jaͤhrlichen
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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/185>, abgerufen am 22.11.2024.
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