Mittage speiste. Er war von ihrer Schönheit so ein- genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn sie mit ihm leben wollte, welches aber dieses tugend- hafte junge Frauenzimmer mit aller Bescheidenheit ausschlug; weil sie sich aber vor den Wirkungen sei- ner Macht furchte, so faßte sie den Entschluß, des Nachts Moskau zu verlassen, ohne ihren Aeltern etwas davon zu sagen. Da sie sich nur mit wenigem Gelde zu ihrem Unterhalte versehen hatte, so reiste sie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis sie end- lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih- rem Manne und ihrer Tochter, dieses jungen Frauen- zimmers Milchschwester, wohnten, denen sie ihre Absicht, sich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor zu kommen, machte sie sich noch diese Nacht auf den Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten sie. Der Mann, der ein Zimmermann und sehr wohl in dem Walde bekannt war, führte sie auf einen kleinen trocknen Fleck, der mitten in einem Moraste war, und baute ihr darauf eine Hütte, darinnen zu wohnen. Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelassen, ihr das Nothwendigste zu kaufen, das ihr auch des Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu- getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer eine von ihnen bey ihr blieb.
Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih- rem Vater, sie zu besuchen, und da er die Aeltern ängstlich um ihre Tochter bekümmert, und sich selbst hintergangen fand, so glaubte er, daß es ihre eigene Veranstaltung sey. Er wurde daher zornig, und drohete ihnen mit den Wirkungen seines Zorns,
wenn
Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein- genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend- hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei- ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end- lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih- rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen- zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie. Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war, und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen. Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen, ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu- getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer eine von ihnen bey ihr blieb.
Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih- rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns,
wenn
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="106"/>
Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein-<lb/>
genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn<lb/>ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend-<lb/>
hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit<lb/>
ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei-<lb/>
ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des<lb/>
Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern<lb/>
etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem<lb/>
Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte<lb/>ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end-<lb/>
lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih-<lb/>
rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen-<lb/>
zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre<lb/>
Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu<lb/>
verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor<lb/>
zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den<lb/>
Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie.<lb/>
Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in<lb/>
dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen<lb/>
trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war,<lb/>
und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen.<lb/>
Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen,<lb/>
ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des<lb/>
Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu-<lb/>
getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer<lb/>
eine von ihnen bey ihr blieb.</p><lb/><p>Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih-<lb/>
rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern<lb/>
aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt<lb/>
hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene<lb/>
Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und<lb/>
drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wenn</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[106/0116]
Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein-
genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn
ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend-
hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit
ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei-
ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des
Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern
etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem
Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte
ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end-
lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih-
rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen-
zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre
Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu
verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor
zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den
Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie.
Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in
dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen
trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war,
und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen.
Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen,
ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des
Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu-
getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer
eine von ihnen bey ihr blieb.
Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih-
rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern
aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt
hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene
Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und
drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns,
wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/116>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.