Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.Anleitung Es wird erwiesen, daß man nicht einmal Von den Klagen, die die Menschen, so nicht gern die Welt verlieren, Ueberall so ängstlich führen, Jst wohl die hauptsächlichste, "welche sie vom künft'gen Leben, "Und desselben Ungewißheit, worinn sie beständig schwe- ben, "Und die von der Todesstund abhängt," pflegen herzu- nehmen. Zu dem Sterben wollten sie endlich sich noch wohl bequemen, "Wenn kein ander Leben wär." Aber ich hingegen sage, Es wär unser Tod erschrecklich, und die allerherbste Plage, Ja selbst der Natur zuwider, wenn nach unsrer Lebenszeit, Voll mühselger Eitelkeit, Eine beßre nicht zu hoffen. Welcher ließ es gern geschehen, Wenn man auch aus einem Zuchthaus ihn verstieß und hieße gehen, Wo er gar kein Wohnhaus finden und gar nirgends blei- ben könnt'? Aber obgleich unsre Seele von dem Körper wird getrennt, Achtet sie doch dieses wenig, billig fällt es ihr nicht schwer, Ja sie freuet sich vielmehr, Daß sie wandern soll und muß, weil sie weis, wohin sie gehet, Und ihr eine Ewigkeit kräftig vor den Augen stehet, Wo
Anleitung Es wird erwieſen, daß man nicht einmal Von den Klagen, die die Menſchen, ſo nicht gern die Welt verlieren, Ueberall ſo aͤngſtlich fuͤhren, Jſt wohl die hauptſaͤchlichſte, „welche ſie vom kuͤnft’gen Leben, „Und deſſelben Ungewißheit, worinn ſie beſtaͤndig ſchwe- ben, „Und die von der Todesſtund abhaͤngt,“ pflegen herzu- nehmen. Zu dem Sterben wollten ſie endlich ſich noch wohl bequemen, „Wenn kein ander Leben waͤr.“ Aber ich hingegen ſage, Es waͤr unſer Tod erſchrecklich, und die allerherbſte Plage, Ja ſelbſt der Natur zuwider, wenn nach unſrer Lebenszeit, Voll muͤhſelger Eitelkeit, Eine beßre nicht zu hoffen. Welcher ließ es gern geſchehen, Wenn man auch aus einem Zuchthaus ihn verſtieß und hieße gehen, Wo er gar kein Wohnhaus finden und gar nirgends blei- ben koͤnnt’? Aber obgleich unſre Seele von dem Koͤrper wird getrennt, Achtet ſie doch dieſes wenig, billig faͤllt es ihr nicht ſchwer, Ja ſie freuet ſich vielmehr, Daß ſie wandern ſoll und muß, weil ſie weis, wohin ſie gehet, Und ihr eine Ewigkeit kraͤftig vor den Augen ſtehet, Wo
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Anleitung
Es wird erwieſen, daß man nicht einmal
wegen der Gefahr der kuͤnftigen Selig-
keit oder Verdammniß den Tod zu fuͤrch-
ten habe, noch daß deswegen die Zeit
des Todes vorher zu wiſſen noͤthig.
Von den Klagen, die die Menſchen, ſo nicht gern die
Welt verlieren,
Ueberall ſo aͤngſtlich fuͤhren,
Jſt wohl die hauptſaͤchlichſte, „welche ſie vom kuͤnft’gen
Leben,
„Und deſſelben Ungewißheit, worinn ſie beſtaͤndig ſchwe-
ben,
„Und die von der Todesſtund abhaͤngt,“ pflegen herzu-
nehmen.
Zu dem Sterben wollten ſie endlich ſich noch wohl bequemen,
„Wenn kein ander Leben waͤr.“ Aber ich hingegen ſage,
Es waͤr unſer Tod erſchrecklich, und die allerherbſte Plage,
Ja ſelbſt der Natur zuwider, wenn nach unſrer Lebenszeit,
Voll muͤhſelger Eitelkeit,
Eine beßre nicht zu hoffen. Welcher ließ es gern geſchehen,
Wenn man auch aus einem Zuchthaus ihn verſtieß und
hieße gehen,
Wo er gar kein Wohnhaus finden und gar nirgends blei-
ben koͤnnt’?
Aber obgleich unſre Seele von dem Koͤrper wird getrennt,
Achtet ſie doch dieſes wenig, billig faͤllt es ihr nicht ſchwer,
Ja ſie freuet ſich vielmehr,
Daß ſie wandern ſoll und muß, weil ſie weis, wohin ſie
gehet,
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