Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.
Bist du davon nicht überführt, dir sey von Gott ein Ziel gesetzet, Und hast du nicht schon zugestanden, daß dieß die Ord- nung nicht verletzet? Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer sollt' heut' herab genommen seyn, Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber bräch herein, Und stünd' annoch ein großer Theil; was der denn etwan, welcher wollte, Daß dieß Gebäude noch vor Abend und heute noch her- unter sollte, Zu seinem Endzweck zu gelangen, Vermuthlich sich entschließen würde, sodann die Arbeit anzufangen? B. "Man muß so Fleiß als Kraft vermehren; mehr Hände sind noch anzustellen, "Um mit stets wiederholten Schlägen der Mauer Härtig- keit zu fällen." A. Gar recht. Allein erblickst du nicht, daß dieses auch mit dir geschehe, Die Todesstund ist dir gesetzt. Dein Körper ist noch stark und zähe, Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Körper gnug verletzt, Sie P p 2
Biſt du davon nicht uͤberfuͤhrt, dir ſey von Gott ein Ziel geſetzet, Und haſt du nicht ſchon zugeſtanden, daß dieß die Ord- nung nicht verletzet? Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer ſollt’ heut’ herab genommen ſeyn, Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber braͤch herein, Und ſtuͤnd’ annoch ein großer Theil; was der denn etwan, welcher wollte, Daß dieß Gebaͤude noch vor Abend und heute noch her- unter ſollte, Zu ſeinem Endzweck zu gelangen, Vermuthlich ſich entſchließen wuͤrde, ſodann die Arbeit anzufangen? B. „Man muß ſo Fleiß als Kraft vermehren; mehr Haͤnde ſind noch anzuſtellen, „Um mit ſtets wiederholten Schlaͤgen der Mauer Haͤrtig- keit zu faͤllen.“ A. Gar recht. Allein erblickſt du nicht, daß dieſes auch mit dir geſchehe, Die Todesſtund iſt dir geſetzt. Dein Koͤrper iſt noch ſtark und zaͤhe, Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Koͤrper gnug verletzt, Sie P p 2
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Vielleicht, daß die Natur bey dir weit ſtarker, wo du
ſie vielmehr
Durch Schlemmen nicht noch unterdruͤcket und uͤber-
trieben haſt: Doch hoͤr
Ein wenig noch von meiner Lehr!
Biſt du davon nicht uͤberfuͤhrt, dir ſey von Gott ein
Ziel geſetzet,
Und haſt du nicht ſchon zugeſtanden, daß dieß die Ord-
nung nicht verletzet?
Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer ſollt’ heut’ herab
genommen ſeyn,
Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber
braͤch herein,
Und ſtuͤnd’ annoch ein großer Theil; was der denn etwan,
welcher wollte,
Daß dieß Gebaͤude noch vor Abend und heute noch her-
unter ſollte,
Zu ſeinem Endzweck zu gelangen,
Vermuthlich ſich entſchließen wuͤrde, ſodann die Arbeit
anzufangen?
B. „Man muß ſo Fleiß als Kraft vermehren; mehr
Haͤnde ſind noch anzuſtellen,
„Um mit ſtets wiederholten Schlaͤgen der Mauer Haͤrtig-
keit zu faͤllen.“
A. Gar recht. Allein erblickſt du nicht, daß dieſes
auch mit dir geſchehe,
Die Todesſtund iſt dir geſetzt.
Dein Koͤrper iſt noch ſtark und zaͤhe,
Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Koͤrper
gnug verletzt,
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