Was beschwerest du dich denn, armer Mensch, daß von dem Leben Dir kein rechtes Maaß gegeben? Weißt du auch wohl selbst, wie viel dir vom Leben zuzulegen, Oder abzunehmen sey, daß dadurch dein Stand auf Erden Könne mehr beglücket werden? Kennest du die künftge Stund', ob sie Unglück oder Segen Deinem Hause bringen wird? Thöricht ist denn dein Be- tragen, Da dir völlig unbekannt, wie viel Sorgen, Gram und Plagen Sie dir leichtlich bringen könnte, sie zu wünschen und zu hoffen, Da es ja auf dieser Welt oftermalen eingetroffen, Daß durch langes Leben vielen manches Unglück über- kommen. Hätt' in Napolis die Krankheit den Pompejus wegge- nommen, Wär er aus der Welt gegangen als der Römer Herr und Kaiser; Durch die Zugab' einer kleinen damals ihm verliehnen Zeit Welkten seine Lorberreiser Und er sah mit bitterm Gram seines Ruhms Verganglichkeit. Fast ein jeder wird gestehn, wer sein Aug' auf sich erhebet, Daß er durch ein langes Leben manches Unglück hat er- lebet, Welches ihm so schwer gefallen, daß er oftermals da- gegen, Daß ers nicht erlebet hätt', ernstlich hätte wünschen mögen. Sprich: woher weißt du gewiß, daß dich nicht weit größre Plagen, Als die du bisher erduldet, wo du länger lebest, nagen,
Qualen
O o 4
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Was beſchwereſt du dich denn, armer Menſch, daß von dem Leben Dir kein rechtes Maaß gegeben? Weißt du auch wohl ſelbſt, wie viel dir vom Leben zuzulegen, Oder abzunehmen ſey, daß dadurch dein Stand auf Erden Koͤnne mehr begluͤcket werden? Kenneſt du die kuͤnftge Stund’, ob ſie Ungluͤck oder Segen Deinem Hauſe bringen wird? Thoͤricht iſt denn dein Be- tragen, Da dir voͤllig unbekannt, wie viel Sorgen, Gram und Plagen Sie dir leichtlich bringen koͤnnte, ſie zu wuͤnſchen und zu hoffen, Da es ja auf dieſer Welt oftermalen eingetroffen, Daß durch langes Leben vielen manches Ungluͤck uͤber- kommen. Haͤtt’ in Napolis die Krankheit den Pompejus wegge- nommen, Waͤr er aus der Welt gegangen als der Roͤmer Herr und Kaiſer; Durch die Zugab’ einer kleinen damals ihm verliehnen Zeit Welkten ſeine Lorberreiſer Und er ſah mit bitterm Gram ſeines Ruhms Verganglichkeit. Faſt ein jeder wird geſtehn, wer ſein Aug’ auf ſich erhebet, Daß er durch ein langes Leben manches Ungluͤck hat er- lebet, Welches ihm ſo ſchwer gefallen, daß er oftermals da- gegen, Daß ers nicht erlebet haͤtt’, ernſtlich haͤtte wuͤnſchen moͤgen. Sprich: woher weißt du gewiß, daß dich nicht weit groͤßre Plagen, Als die du bisher erduldet, wo du laͤnger lebeſt, nagen,
Qualen
O o 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lg><l><pbfacs="#f0603"n="583"/><fwplace="top"type="header">zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.</fw></l><lb/><l>Was beſchwereſt du dich denn, armer Menſch, daß von<lb/><hirendition="#et">dem Leben</hi></l><lb/><l>Dir kein rechtes Maaß gegeben?</l><lb/><l>Weißt du auch wohl ſelbſt, wie viel dir vom Leben zuzulegen,</l><lb/><l>Oder abzunehmen ſey, daß dadurch dein Stand auf Erden</l><lb/><l>Koͤnne mehr begluͤcket werden?</l><lb/><l>Kenneſt du die kuͤnftge Stund’, ob ſie Ungluͤck oder Segen</l><lb/><l>Deinem Hauſe bringen wird? Thoͤricht iſt denn dein Be-<lb/><hirendition="#et">tragen,</hi></l><lb/><l>Da dir voͤllig unbekannt, wie viel Sorgen, Gram und<lb/><hirendition="#et">Plagen</hi></l><lb/><l>Sie dir leichtlich bringen koͤnnte, ſie zu wuͤnſchen und zu<lb/><hirendition="#et">hoffen,</hi></l><lb/><l>Da es ja auf dieſer Welt oftermalen eingetroffen,</l><lb/><l>Daß durch langes Leben vielen manches Ungluͤck uͤber-<lb/><hirendition="#et">kommen.</hi></l><lb/><l>Haͤtt’ in Napolis die Krankheit den Pompejus wegge-<lb/><hirendition="#et">nommen,</hi></l><lb/><l>Waͤr er aus der Welt gegangen als der Roͤmer Herr und<lb/><hirendition="#et">Kaiſer;</hi></l><lb/><l>Durch die Zugab’ einer kleinen damals ihm verliehnen Zeit</l><lb/><l>Welkten ſeine Lorberreiſer</l><lb/><l>Und er ſah mit bitterm Gram ſeines Ruhms Verganglichkeit.</l><lb/><l>Faſt ein jeder wird geſtehn, wer ſein Aug’ auf ſich erhebet,</l><lb/><l>Daß er durch ein langes Leben manches Ungluͤck hat er-<lb/><hirendition="#et">lebet,</hi></l><lb/><l>Welches ihm ſo ſchwer gefallen, daß er oftermals da-<lb/><hirendition="#et">gegen,</hi></l><lb/><l>Daß ers nicht erlebet haͤtt’, ernſtlich haͤtte wuͤnſchen<lb/><hirendition="#et">moͤgen.</hi></l><lb/><l>Sprich: woher weißt du gewiß, daß dich nicht weit<lb/><hirendition="#et">groͤßre Plagen,</hi></l><lb/><l>Als die du bisher erduldet, wo du laͤnger lebeſt, nagen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O o 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Qualen</fw><lb/></l></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[583/0603]
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Was beſchwereſt du dich denn, armer Menſch, daß von
dem Leben
Dir kein rechtes Maaß gegeben?
Weißt du auch wohl ſelbſt, wie viel dir vom Leben zuzulegen,
Oder abzunehmen ſey, daß dadurch dein Stand auf Erden
Koͤnne mehr begluͤcket werden?
Kenneſt du die kuͤnftge Stund’, ob ſie Ungluͤck oder Segen
Deinem Hauſe bringen wird? Thoͤricht iſt denn dein Be-
tragen,
Da dir voͤllig unbekannt, wie viel Sorgen, Gram und
Plagen
Sie dir leichtlich bringen koͤnnte, ſie zu wuͤnſchen und zu
hoffen,
Da es ja auf dieſer Welt oftermalen eingetroffen,
Daß durch langes Leben vielen manches Ungluͤck uͤber-
kommen.
Haͤtt’ in Napolis die Krankheit den Pompejus wegge-
nommen,
Waͤr er aus der Welt gegangen als der Roͤmer Herr und
Kaiſer;
Durch die Zugab’ einer kleinen damals ihm verliehnen Zeit
Welkten ſeine Lorberreiſer
Und er ſah mit bitterm Gram ſeines Ruhms Verganglichkeit.
Faſt ein jeder wird geſtehn, wer ſein Aug’ auf ſich erhebet,
Daß er durch ein langes Leben manches Ungluͤck hat er-
lebet,
Welches ihm ſo ſchwer gefallen, daß er oftermals da-
gegen,
Daß ers nicht erlebet haͤtt’, ernſtlich haͤtte wuͤnſchen
moͤgen.
Sprich: woher weißt du gewiß, daß dich nicht weit
groͤßre Plagen,
Als die du bisher erduldet, wo du laͤnger lebeſt, nagen,
Qualen
O o 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/603>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.