Warlich, überlegt mans recht, ist die Wohlthat ungemein, Die uns Gott darinn verliehen, daß, da wir hier elend, schwächlich, Wandelbar seyn und gebrechlich, Wir es jedennoch nicht immer, und es auch nicht lange seyn. Welcher Mensch, wo er vernünftig, könnt' und würde wohl begehren Solch ein Leben zu verlängern, solche Jahre zu ver- mehren, Die ihn mit des letzten Alters Plagen, Pein und Last be- schweren, Wo, mit aufgelöstem Körper, er nur eine Last der Erden, Und sich selbst die schwerste Last unvermeidlich müßte werden. Wo du nicht vielleicht verlangst, dich des Alters zähen Schlingen Plötzlich wieder zu entziehn, dich von neuem zu verjüngen, Neu stets wieder zu veralten. Solch ein seltsames Be- gehren Würde der Natur Gesetz niederreißen und zerstören, Und du müßtest thöricht wollen, Ganz was anders hier zu seyn, als was du hast werden sollen.
Aber du, der du so jammerst, daß dir dein so liebes Leben Durch den Tod geraubet wird, lieber! zeige mir doch an, Ob du so behäglich lebest, ob es dich so reizen kann, Daß du ganz darauf erpicht, ein beständigs Widerstreben Gegen deinen Tod empfindest. Schau das Leben, das vergangen, Sieh' das gegenwärtige, das, so noch nicht angefangen,
Eben-
Anleitung
Warlich, uͤberlegt mans recht, iſt die Wohlthat ungemein, Die uns Gott darinn verliehen, daß, da wir hier elend, ſchwaͤchlich, Wandelbar ſeyn und gebrechlich, Wir es jedennoch nicht immer, und es auch nicht lange ſeyn. Welcher Menſch, wo er vernuͤnftig, koͤnnt’ und wuͤrde wohl begehren Solch ein Leben zu verlaͤngern, ſolche Jahre zu ver- mehren, Die ihn mit des letzten Alters Plagen, Pein und Laſt be- ſchweren, Wo, mit aufgeloͤſtem Koͤrper, er nur eine Laſt der Erden, Und ſich ſelbſt die ſchwerſte Laſt unvermeidlich muͤßte werden. Wo du nicht vielleicht verlangſt, dich des Alters zaͤhen Schlingen Ploͤtzlich wieder zu entziehn, dich von neuem zu verjuͤngen, Neu ſtets wieder zu veralten. Solch ein ſeltſames Be- gehren Wuͤrde der Natur Geſetz niederreißen und zerſtoͤren, Und du muͤßteſt thoͤricht wollen, Ganz was anders hier zu ſeyn, als was du haſt werden ſollen.
Aber du, der du ſo jammerſt, daß dir dein ſo liebes Leben Durch den Tod geraubet wird, lieber! zeige mir doch an, Ob du ſo behaͤglich lebeſt, ob es dich ſo reizen kann, Daß du ganz darauf erpicht, ein beſtaͤndigs Widerſtreben Gegen deinen Tod empfindeſt. Schau das Leben, das vergangen, Sieh’ das gegenwaͤrtige, das, ſo noch nicht angefangen,
Eben-
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Warlich, uͤberlegt mans recht, iſt die Wohlthat ungemein,
Die uns Gott darinn verliehen, daß, da wir hier elend,
ſchwaͤchlich,
Wandelbar ſeyn und gebrechlich,
Wir es jedennoch nicht immer, und es auch nicht lange
ſeyn.
Welcher Menſch, wo er vernuͤnftig, koͤnnt’ und wuͤrde
wohl begehren
Solch ein Leben zu verlaͤngern, ſolche Jahre zu ver-
mehren,
Die ihn mit des letzten Alters Plagen, Pein und Laſt be-
ſchweren,
Wo, mit aufgeloͤſtem Koͤrper, er nur eine Laſt der Erden,
Und ſich ſelbſt die ſchwerſte Laſt unvermeidlich muͤßte
werden.
Wo du nicht vielleicht verlangſt, dich des Alters zaͤhen
Schlingen
Ploͤtzlich wieder zu entziehn, dich von neuem zu verjuͤngen,
Neu ſtets wieder zu veralten. Solch ein ſeltſames Be-
gehren
Wuͤrde der Natur Geſetz niederreißen und zerſtoͤren,
Und du muͤßteſt thoͤricht wollen,
Ganz was anders hier zu ſeyn, als was du haſt werden
ſollen.
Aber du, der du ſo jammerſt, daß dir dein ſo liebes
Leben
Durch den Tod geraubet wird, lieber! zeige mir doch an,
Ob du ſo behaͤglich lebeſt, ob es dich ſo reizen kann,
Daß du ganz darauf erpicht, ein beſtaͤndigs Widerſtreben
Gegen deinen Tod empfindeſt. Schau das Leben, das
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/596>, abgerufen am 22.11.2024.
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