Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Vermischte Gedichte zum irdischen etc.

Ward ich mein Vorwurf selbst, und die Vernunft allein
Fing an mein Glück, mein Trost, mein Heil u. Zweck zu seyn.
Die Unschuld unterhielt, entfernt von Gram u. Schmerzen,
Der Stille Süßigkeit, und Ruh in meinem Herzen,
Es raubt' aus meiner Brust der eitle Uebermuth,
Des Reichthums Ueberfluß, das unschätzbare Gut
Der süssen Stille nicht. Vom Geiz nicht unterdrücket,
Vom Neide nicht genagt, war ich in mir beglücket
Durch meiner Tugend Schatz. Jch fühlte solche Lust,
Die keine bittre Reu mir zu vergällen wußt'.
Dieß Glücke dauret noch; das Leben liebt mein Geist,
Doch so, daß ihm der Tod sich auch nicht schrecklich weist.
Glitt' etwan auch mein Fuß durchs Alters schwer Gewicht,
So stützt mich der Verstand und gleitet selber nicht.
Den schnellen Bächen gleich in ihrem strengen Rennen
Wird unser Alter auch nie rückwerts laufen können.
Jst es denn nicht genug, einst jung gewesen seyn?
Wie? wenn ich meine Freud' und die vergangne Pein
Bedachtsam überdenk, sie mit einander wäge,
Und die empfundne Lust und Unlust überlege,
Da ich dem Hafen nah, vom Schiffbruch sicher bin,
Geb' ich mich wohl mit Recht den Wellen wieder hin?
O nein! ich denk an das, so nicht mehr, ohne Reu;
Ohn Ekel auf was ist; aufs Künftge, sonder Scheu.
Die Schwachheit, da mein Geist schon etwas Kraft verlohr,
Hält ihm an jedem Tag des Todes Sense vor,
Und wenn ich ihn bey mir werd' in der Näh' entdecken,
So hoff ich Arm und Hand selbst nach ihm auszustrecken.



Anhang

Vermiſchte Gedichte zum irdiſchen ꝛc.

Ward ich mein Vorwurf ſelbſt, und die Vernunft allein
Fing an mein Gluͤck, mein Troſt, mein Heil u. Zweck zu ſeyn.
Die Unſchuld unterhielt, entfernt von Gram u. Schmerzen,
Der Stille Suͤßigkeit, und Ruh in meinem Herzen,
Es raubt’ aus meiner Bruſt der eitle Uebermuth,
Des Reichthums Ueberfluß, das unſchaͤtzbare Gut
Der ſuͤſſen Stille nicht. Vom Geiz nicht unterdruͤcket,
Vom Neide nicht genagt, war ich in mir begluͤcket
Durch meiner Tugend Schatz. Jch fuͤhlte ſolche Luſt,
Die keine bittre Reu mir zu vergaͤllen wußt’.
Dieß Gluͤcke dauret noch; das Leben liebt mein Geiſt,
Doch ſo, daß ihm der Tod ſich auch nicht ſchrecklich weiſt.
Glitt’ etwan auch mein Fuß durchs Alters ſchwer Gewicht,
So ſtuͤtzt mich der Verſtand und gleitet ſelber nicht.
Den ſchnellen Baͤchen gleich in ihrem ſtrengen Rennen
Wird unſer Alter auch nie ruͤckwerts laufen koͤnnen.
Jſt es denn nicht genug, einſt jung geweſen ſeyn?
Wie? wenn ich meine Freud’ und die vergangne Pein
Bedachtſam uͤberdenk, ſie mit einander waͤge,
Und die empfundne Luſt und Unluſt uͤberlege,
Da ich dem Hafen nah, vom Schiffbruch ſicher bin,
Geb’ ich mich wohl mit Recht den Wellen wieder hin?
O nein! ich denk an das, ſo nicht mehr, ohne Reu;
Ohn Ekel auf was iſt; aufs Kuͤnftge, ſonder Scheu.
Die Schwachheit, da mein Geiſt ſchon etwas Kraft verlohr,
Haͤlt ihm an jedem Tag des Todes Senſe vor,
Und wenn ich ihn bey mir werd’ in der Naͤh’ entdecken,
So hoff ich Arm und Hand ſelbſt nach ihm auszuſtrecken.



Anhang
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg n="2">
              <l>
                <pb facs="#f0580" n="560"/>
                <fw place="top" type="header">Vermi&#x017F;chte Gedichte zum irdi&#x017F;chen &#xA75B;c.</fw>
              </l><lb/>
              <l>Ward ich mein Vorwurf &#x017F;elb&#x017F;t, und die Vernunft allein</l><lb/>
              <l>Fing an mein Glu&#x0364;ck, mein Tro&#x017F;t, mein Heil u. Zweck zu &#x017F;eyn.</l><lb/>
              <l>Die Un&#x017F;chuld unterhielt, entfernt von Gram u. Schmerzen,</l><lb/>
              <l>Der Stille Su&#x0364;ßigkeit, und Ruh in meinem Herzen,</l><lb/>
              <l>Es raubt&#x2019; aus meiner Bru&#x017F;t der eitle Uebermuth,</l><lb/>
              <l>Des Reichthums Ueberfluß, das un&#x017F;cha&#x0364;tzbare Gut</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Stille nicht. Vom Geiz nicht unterdru&#x0364;cket,</l><lb/>
              <l>Vom Neide nicht genagt, war ich in mir beglu&#x0364;cket</l><lb/>
              <l>Durch meiner Tugend Schatz. Jch fu&#x0364;hlte &#x017F;olche Lu&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Die keine bittre Reu mir zu verga&#x0364;llen wußt&#x2019;.</l><lb/>
              <l>Dieß Glu&#x0364;cke dauret noch; das Leben liebt mein Gei&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;o, daß ihm der Tod &#x017F;ich auch nicht &#x017F;chrecklich wei&#x017F;t.</l><lb/>
              <l>Glitt&#x2019; etwan auch mein Fuß durchs Alters &#x017F;chwer Gewicht,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;tu&#x0364;tzt mich der Ver&#x017F;tand und gleitet &#x017F;elber nicht.</l><lb/>
              <l>Den &#x017F;chnellen Ba&#x0364;chen gleich in ihrem &#x017F;trengen Rennen</l><lb/>
              <l>Wird un&#x017F;er Alter auch nie ru&#x0364;ckwerts laufen ko&#x0364;nnen.</l><lb/>
              <l>J&#x017F;t es denn nicht genug, ein&#x017F;t jung gewe&#x017F;en &#x017F;eyn?</l><lb/>
              <l>Wie? wenn ich meine Freud&#x2019; und die vergangne Pein</l><lb/>
              <l>Bedacht&#x017F;am u&#x0364;berdenk, &#x017F;ie mit einander wa&#x0364;ge,</l><lb/>
              <l>Und die empfundne Lu&#x017F;t und Unlu&#x017F;t u&#x0364;berlege,</l><lb/>
              <l>Da ich dem Hafen nah, vom Schiffbruch &#x017F;icher bin,</l><lb/>
              <l>Geb&#x2019; ich mich wohl mit Recht den Wellen wieder hin?</l><lb/>
              <l>O nein! ich denk an das, &#x017F;o nicht mehr, ohne Reu;</l><lb/>
              <l>Ohn Ekel auf was i&#x017F;t; aufs Ku&#x0364;nftge, &#x017F;onder Scheu.</l><lb/>
              <l>Die Schwachheit, da mein Gei&#x017F;t &#x017F;chon etwas Kraft verlohr,</l><lb/>
              <l>Ha&#x0364;lt ihm an jedem Tag des Todes Sen&#x017F;e vor,</l><lb/>
              <l>Und wenn ich ihn bey mir werd&#x2019; in der Na&#x0364;h&#x2019; entdecken,</l><lb/>
              <l>So hoff ich Arm und Hand &#x017F;elb&#x017F;t nach ihm auszu&#x017F;trecken.</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Anhang</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[560/0580] Vermiſchte Gedichte zum irdiſchen ꝛc. Ward ich mein Vorwurf ſelbſt, und die Vernunft allein Fing an mein Gluͤck, mein Troſt, mein Heil u. Zweck zu ſeyn. Die Unſchuld unterhielt, entfernt von Gram u. Schmerzen, Der Stille Suͤßigkeit, und Ruh in meinem Herzen, Es raubt’ aus meiner Bruſt der eitle Uebermuth, Des Reichthums Ueberfluß, das unſchaͤtzbare Gut Der ſuͤſſen Stille nicht. Vom Geiz nicht unterdruͤcket, Vom Neide nicht genagt, war ich in mir begluͤcket Durch meiner Tugend Schatz. Jch fuͤhlte ſolche Luſt, Die keine bittre Reu mir zu vergaͤllen wußt’. Dieß Gluͤcke dauret noch; das Leben liebt mein Geiſt, Doch ſo, daß ihm der Tod ſich auch nicht ſchrecklich weiſt. Glitt’ etwan auch mein Fuß durchs Alters ſchwer Gewicht, So ſtuͤtzt mich der Verſtand und gleitet ſelber nicht. Den ſchnellen Baͤchen gleich in ihrem ſtrengen Rennen Wird unſer Alter auch nie ruͤckwerts laufen koͤnnen. Jſt es denn nicht genug, einſt jung geweſen ſeyn? Wie? wenn ich meine Freud’ und die vergangne Pein Bedachtſam uͤberdenk, ſie mit einander waͤge, Und die empfundne Luſt und Unluſt uͤberlege, Da ich dem Hafen nah, vom Schiffbruch ſicher bin, Geb’ ich mich wohl mit Recht den Wellen wieder hin? O nein! ich denk an das, ſo nicht mehr, ohne Reu; Ohn Ekel auf was iſt; aufs Kuͤnftge, ſonder Scheu. Die Schwachheit, da mein Geiſt ſchon etwas Kraft verlohr, Haͤlt ihm an jedem Tag des Todes Senſe vor, Und wenn ich ihn bey mir werd’ in der Naͤh’ entdecken, So hoff ich Arm und Hand ſelbſt nach ihm auszuſtrecken. Anhang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/580
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/580>, abgerufen am 25.11.2024.