Es ist gewiß, daß man den Werth der Scham nie bes- ser kennen lernet, Als eben zu derselben Zeit, wenn man sich hat von ihr ent- fernet.
O! sollt in meinen Sinn einst der Gedanke kommen, Daß ich, vom Stolz verführt, vom Hochmuth ein- genommen, Je niederträchtig wünscht': auf Erden Erhöht zu seyn und groß zu werden; O Himmel, ach so fahre fort mir alle Seegen zu ent- ziehn, Die hier, in meinem stillen Leben, die holde Demuth mir verliehn!
Das Rühmen machet den nicht stolz, der würdig ist, daß wir ihn ehren: Das Loben blähet den nur auf, der nicht gewohnt, sein Lob zu hören.
Owie ist doch das Vermögen Wohl zu thun, ein wahrer Segen! Es ist göttlich, ja es ist eine rechte Seelenfreude, Und das einzge, warum ich Reich' und Mächtige be- neide.
Wem
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Es iſt gewiß, daß man den Werth der Scham nie beſ- ſer kennen lernet, Als eben zu derſelben Zeit, wenn man ſich hat von ihr ent- fernet.
O! ſollt in meinen Sinn einſt der Gedanke kommen, Daß ich, vom Stolz verfuͤhrt, vom Hochmuth ein- genommen, Je niedertraͤchtig wuͤnſcht’: auf Erden Erhoͤht zu ſeyn und groß zu werden; O Himmel, ach ſo fahre fort mir alle Seegen zu ent- ziehn, Die hier, in meinem ſtillen Leben, die holde Demuth mir verliehn!
Das Ruͤhmen machet den nicht ſtolz, der wuͤrdig iſt, daß wir ihn ehren: Das Loben blaͤhet den nur auf, der nicht gewohnt, ſein Lob zu hoͤren.
Owie iſt doch das Vermoͤgen Wohl zu thun, ein wahrer Segen! Es iſt goͤttlich, ja es iſt eine rechte Seelenfreude, Und das einzge, warum ich Reich’ und Maͤchtige be- neide.
Wem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0563"n="543"/><fwplace="top"type="header">zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.</fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">E</hi>s iſt gewiß, daß man den Werth der Scham nie beſ-</l><lb/><l><hirendition="#et">ſer kennen lernet,</hi></l><lb/><l>Als eben zu derſelben Zeit, wenn man ſich hat von ihr ent-</l><lb/><l><hirendition="#et">fernet.</hi></l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">O</hi>! ſollt in meinen Sinn einſt der Gedanke kommen,</l><lb/><l>Daß ich, vom Stolz verfuͤhrt, vom Hochmuth ein-</l><lb/><l><hirendition="#et">genommen,</hi></l><lb/><l>Je niedertraͤchtig wuͤnſcht’: auf Erden</l><lb/><l>Erhoͤht zu ſeyn und groß zu werden;</l><lb/><l>O Himmel, ach ſo fahre fort mir alle Seegen zu ent-</l><lb/><l><hirendition="#et">ziehn,</hi></l><lb/><l>Die hier, in meinem ſtillen Leben, die holde Demuth mir</l><lb/><l><hirendition="#et">verliehn!</hi></l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">D</hi>as Ruͤhmen machet den nicht ſtolz, der wuͤrdig iſt,</l><lb/><l><hirendition="#et">daß wir ihn ehren:</hi></l><lb/><l>Das Loben blaͤhet den nur auf, der nicht gewohnt, ſein</l><lb/><l><hirendition="#et">Lob zu hoͤren.</hi></l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">O</hi>wie iſt doch das Vermoͤgen</l><lb/><l>Wohl zu thun, ein wahrer Segen!</l><lb/><l>Es iſt goͤttlich, ja es iſt eine rechte Seelenfreude,</l><lb/><l>Und das einzge, warum ich Reich’ und Maͤchtige be-</l><lb/><l><hirendition="#et">neide.</hi></l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Wem</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[543/0563]
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Es iſt gewiß, daß man den Werth der Scham nie beſ-
ſer kennen lernet,
Als eben zu derſelben Zeit, wenn man ſich hat von ihr ent-
fernet.
O! ſollt in meinen Sinn einſt der Gedanke kommen,
Daß ich, vom Stolz verfuͤhrt, vom Hochmuth ein-
genommen,
Je niedertraͤchtig wuͤnſcht’: auf Erden
Erhoͤht zu ſeyn und groß zu werden;
O Himmel, ach ſo fahre fort mir alle Seegen zu ent-
ziehn,
Die hier, in meinem ſtillen Leben, die holde Demuth mir
verliehn!
Das Ruͤhmen machet den nicht ſtolz, der wuͤrdig iſt,
daß wir ihn ehren:
Das Loben blaͤhet den nur auf, der nicht gewohnt, ſein
Lob zu hoͤren.
Owie iſt doch das Vermoͤgen
Wohl zu thun, ein wahrer Segen!
Es iſt goͤttlich, ja es iſt eine rechte Seelenfreude,
Und das einzge, warum ich Reich’ und Maͤchtige be-
neide.
Wem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/563>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.