Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
zum irdischen Vergnügen in Gott.
Tirsanders Christenthum.
Tirsander meynt, zum Christenthum gehöre dieses
ganz allein:
Man müsse schnell und tapfer glauben; recht steif in seiner
Meynung seyn;
Nicht auf ein Haar breit sie verlassen;
Mit ihr die Ehre Gottes mischen; diejenigen von Herzen
hassen,
Die anders glauben, als wir selbst; nach diesem Haß
die falsche Liebe
Zur Gottheit messen; davor halten, der Himmel sey ihm
zuerkannt;
Der christlichen Religion zu Ehren opfern, nicht die
Triebe
Der Leidenschaften, seine Wollust, den Stolz, den Geiz;
nein, den Verstand.


Jm Pabstthum sieht man hin und wieder die größten
Laster oft begehen,
Um, eben durch diefelbigen, in einem Stande sich zu sehen,
Sich die Vergebung zu erlaufen. Wo dieses in der That
gescheh,
So gliche ja das Paradies fast jenem Thurm der Danae.


Man strebt für sich nicht nach der Tugend, und ist
vergnügt mit ihrem Schein;
Vom Nächsten aber fodert man, er soll vollkommen red-
lich seyn.
Es
L l 5
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Tirſanders Chriſtenthum.
Tirſander meynt, zum Chriſtenthum gehoͤre dieſes
ganz allein:
Man muͤſſe ſchnell und tapfer glauben; recht ſteif in ſeiner
Meynung ſeyn;
Nicht auf ein Haar breit ſie verlaſſen;
Mit ihr die Ehre Gottes miſchen; diejenigen von Herzen
haſſen,
Die anders glauben, als wir ſelbſt; nach dieſem Haß
die falſche Liebe
Zur Gottheit meſſen; davor halten, der Himmel ſey ihm
zuerkannt;
Der chriſtlichen Religion zu Ehren opfern, nicht die
Triebe
Der Leidenſchaften, ſeine Wolluſt, den Stolz, den Geiz;
nein, den Verſtand.


Jm Pabſtthum ſieht man hin und wieder die groͤßten
Laſter oft begehen,
Um, eben durch diefelbigen, in einem Stande ſich zu ſehen,
Sich die Vergebung zu erlaufen. Wo dieſes in der That
geſcheh,
So gliche ja das Paradies faſt jenem Thurm der Danae.


Man ſtrebt fuͤr ſich nicht nach der Tugend, und iſt
vergnuͤgt mit ihrem Schein;
Vom Naͤchſten aber fodert man, er ſoll vollkommen red-
lich ſeyn.
Es
L l 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0557" n="537"/>
            <fw place="top" type="header">zum irdi&#x017F;chen Vergnu&#x0364;gen in Gott.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Tir&#x017F;anders Chri&#x017F;tenthum.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">T</hi>ir&#x017F;ander meynt, zum Chri&#x017F;tenthum geho&#x0364;re die&#x017F;es</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ganz allein:</hi> </l><lb/>
                <l>Man mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chnell und tapfer glauben; recht &#x017F;teif in &#x017F;einer</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Meynung &#x017F;eyn;</hi> </l><lb/>
                <l>Nicht auf ein Haar breit &#x017F;ie verla&#x017F;&#x017F;en;</l><lb/>
                <l>Mit ihr die Ehre Gottes mi&#x017F;chen; diejenigen von Herzen</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ha&#x017F;&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
                <l>Die anders glauben, als wir &#x017F;elb&#x017F;t; nach die&#x017F;em Haß</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">die fal&#x017F;che Liebe</hi> </l><lb/>
                <l>Zur Gottheit me&#x017F;&#x017F;en; davor halten, der Himmel &#x017F;ey ihm</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">zuerkannt;</hi> </l><lb/>
                <l>Der chri&#x017F;tlichen Religion zu Ehren opfern, nicht die</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Triebe</hi> </l><lb/>
                <l>Der Leiden&#x017F;chaften, &#x017F;eine Wollu&#x017F;t, den Stolz, den Geiz;</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nein, den Ver&#x017F;tand.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">J</hi>m Pab&#x017F;tthum &#x017F;ieht man hin und wieder die gro&#x0364;ßten</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">La&#x017F;ter oft begehen,</hi> </l><lb/>
                <l>Um, eben durch diefelbigen, in einem Stande &#x017F;ich zu &#x017F;ehen,</l><lb/>
                <l>Sich die Vergebung zu erlaufen. Wo die&#x017F;es in der That</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ge&#x017F;cheh,</hi> </l><lb/>
                <l>So gliche ja das Paradies fa&#x017F;t jenem Thurm der Danae.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an &#x017F;trebt fu&#x0364;r &#x017F;ich nicht nach der Tugend, und i&#x017F;t</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">vergnu&#x0364;gt mit ihrem Schein;</hi> </l><lb/>
                <l>Vom Na&#x0364;ch&#x017F;ten aber fodert man, er &#x017F;oll vollkommen red-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">lich &#x017F;eyn.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">L l 5</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0557] zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Tirſanders Chriſtenthum. Tirſander meynt, zum Chriſtenthum gehoͤre dieſes ganz allein: Man muͤſſe ſchnell und tapfer glauben; recht ſteif in ſeiner Meynung ſeyn; Nicht auf ein Haar breit ſie verlaſſen; Mit ihr die Ehre Gottes miſchen; diejenigen von Herzen haſſen, Die anders glauben, als wir ſelbſt; nach dieſem Haß die falſche Liebe Zur Gottheit meſſen; davor halten, der Himmel ſey ihm zuerkannt; Der chriſtlichen Religion zu Ehren opfern, nicht die Triebe Der Leidenſchaften, ſeine Wolluſt, den Stolz, den Geiz; nein, den Verſtand. Jm Pabſtthum ſieht man hin und wieder die groͤßten Laſter oft begehen, Um, eben durch diefelbigen, in einem Stande ſich zu ſehen, Sich die Vergebung zu erlaufen. Wo dieſes in der That geſcheh, So gliche ja das Paradies faſt jenem Thurm der Danae. Man ſtrebt fuͤr ſich nicht nach der Tugend, und iſt vergnuͤgt mit ihrem Schein; Vom Naͤchſten aber fodert man, er ſoll vollkommen red- lich ſeyn. Es L l 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/557
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/557>, abgerufen am 22.11.2024.