Was ist, das ist: nicht was es ist. Für uns ist alles, was es scheinet. Jch bin beglückt. Was hilft es mir, wenn es mein Her- ze nicht vermeynet?
Es ist das Praeiudicium autoritatis in der That Dieß: einem andern nach zu meynen, was er vor- her gemeynet hat.
Sehr wenig Menschen sind geschickt, ob sie sich selbst gleich nicht so scheinen, Jhr eigne Meynungen zu haben. Nein, alles andern nach zu meynen.
T. hat zu einer Zeit gemeynet, da viele ihrer Mey- nung müde. Hierdurch ward T. von einer Seite das Haupt in Ehre, Ruh und Friede. Es wär' ihm aber ganz gewiß, was er gesucht, nicht an- gegangen, Hätt' er nur wenig Jahre früher also zu meynen ange- fangen; Dieß giebt uns nun im rechten Ernst die große Wahr- heit zu erwägen, Wie viel am Umstand, an der Zeit, in allem auf der Welt gelegen.
Fast
Vermiſchte Gedichte
Was iſt, das iſt: nicht was es iſt. Fuͤr uns iſt alles, was es ſcheinet. Jch bin begluͤckt. Was hilft es mir, wenn es mein Her- ze nicht vermeynet?
Es iſt das Praeiudicium autoritatis in der That Dieß: einem andern nach zu meynen, was er vor- her gemeynet hat.
Sehr wenig Menſchen ſind geſchickt, ob ſie ſich ſelbſt gleich nicht ſo ſcheinen, Jhr eigne Meynungen zu haben. Nein, alles andern nach zu meynen.
T. hat zu einer Zeit gemeynet, da viele ihrer Mey- nung muͤde. Hierdurch ward T. von einer Seite das Haupt in Ehre, Ruh und Friede. Es waͤr’ ihm aber ganz gewiß, was er geſucht, nicht an- gegangen, Haͤtt’ er nur wenig Jahre fruͤher alſo zu meynen ange- fangen; Dieß giebt uns nun im rechten Ernſt die große Wahr- heit zu erwaͤgen, Wie viel am Umſtand, an der Zeit, in allem auf der Welt gelegen.
Faſt
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Vermiſchte Gedichte
Was iſt, das iſt: nicht was es iſt. Fuͤr uns iſt
alles, was es ſcheinet.
Jch bin begluͤckt. Was hilft es mir, wenn es mein Her-
ze nicht vermeynet?
Es iſt das Praeiudicium autoritatis in der That
Dieß: einem andern nach zu meynen, was er vor-
her gemeynet hat.
Sehr wenig Menſchen ſind geſchickt, ob ſie ſich ſelbſt
gleich nicht ſo ſcheinen,
Jhr eigne Meynungen zu haben. Nein, alles andern
nach zu meynen.
T. hat zu einer Zeit gemeynet, da viele ihrer Mey-
nung muͤde.
Hierdurch ward T. von einer Seite das Haupt in Ehre,
Ruh und Friede.
Es waͤr’ ihm aber ganz gewiß, was er geſucht, nicht an-
gegangen,
Haͤtt’ er nur wenig Jahre fruͤher alſo zu meynen ange-
fangen;
Dieß giebt uns nun im rechten Ernſt die große Wahr-
heit zu erwaͤgen,
Wie viel am Umſtand, an der Zeit, in allem auf der
Welt gelegen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/546>, abgerufen am 25.11.2024.
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