Nicht von einander abgeschieden, getheilet noch getrennet seyn. Vom Schöpfer haben wir dieselben vermählet und ver- eint empfangen, Sie führen uns, wenn sie vereint, zu unsrer großen Leh- rerinn, Die einzge Quelle wahrer Weisheit und Wahrheit, zur Erfahrung, hin.
Macht einer etwan hier den Einwurf: ich geb es zu, daß unsre Seelen, Um zur Vollkommenheit zu kommen, mit Welt und Sin- nen sich vermählen, Doch sind sie bloß die Mittel nur, ihr eigner Adel steckt in ihr, Wenn sie den Stoff dazu bekommen, thut sie sich für sich selbst herfür, Sie machet abgezogne Schlüsse, sie formt und macht ihr selber Flügel, Sie steigt und hebt sich selbst zur Gottheit, und dieß ist ihres Adels Siegel. So geb ichs zu, dieß klinget schön: allein, wo kommt der Unterscheid Der abgezogenen Gedanken, wo kommt die Mannichfal- tigkeit Sich widersprechender Jdeen, bey so viel klugen Seelen, her? Wenn man dieß ernstlich überlegt; so scheinen unsrer Seelen Lichter So von einander unterschieden, als wie die menschlichen Gesichter.
Wie
Vermiſchte Gedichte
Nicht von einander abgeſchieden, getheilet noch getrennet ſeyn. Vom Schoͤpfer haben wir dieſelben vermaͤhlet und ver- eint empfangen, Sie fuͤhren uns, wenn ſie vereint, zu unſrer großen Leh- rerinn, Die einzge Quelle wahrer Weisheit und Wahrheit, zur Erfahrung, hin.
Macht einer etwan hier den Einwurf: ich geb es zu, daß unſre Seelen, Um zur Vollkommenheit zu kommen, mit Welt und Sin- nen ſich vermaͤhlen, Doch ſind ſie bloß die Mittel nur, ihr eigner Adel ſteckt in ihr, Wenn ſie den Stoff dazu bekommen, thut ſie ſich fuͤr ſich ſelbſt herfuͤr, Sie machet abgezogne Schluͤſſe, ſie formt und macht ihr ſelber Fluͤgel, Sie ſteigt und hebt ſich ſelbſt zur Gottheit, und dieß iſt ihres Adels Siegel. So geb ichs zu, dieß klinget ſchoͤn: allein, wo kommt der Unterſcheid Der abgezogenen Gedanken, wo kommt die Mannichfal- tigkeit Sich widerſprechender Jdeen, bey ſo viel klugen Seelen, her? Wenn man dieß ernſtlich uͤberlegt; ſo ſcheinen unſrer Seelen Lichter So von einander unterſchieden, als wie die menſchlichen Geſichter.
Wie
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Vermiſchte Gedichte
Nicht von einander abgeſchieden, getheilet noch getrennet
ſeyn.
Vom Schoͤpfer haben wir dieſelben vermaͤhlet und ver-
eint empfangen,
Sie fuͤhren uns, wenn ſie vereint, zu unſrer großen Leh-
rerinn,
Die einzge Quelle wahrer Weisheit und Wahrheit, zur
Erfahrung, hin.
Macht einer etwan hier den Einwurf: ich geb es zu,
daß unſre Seelen,
Um zur Vollkommenheit zu kommen, mit Welt und Sin-
nen ſich vermaͤhlen,
Doch ſind ſie bloß die Mittel nur, ihr eigner Adel ſteckt
in ihr,
Wenn ſie den Stoff dazu bekommen, thut ſie ſich fuͤr ſich
ſelbſt herfuͤr,
Sie machet abgezogne Schluͤſſe, ſie formt und macht ihr
ſelber Fluͤgel,
Sie ſteigt und hebt ſich ſelbſt zur Gottheit, und dieß iſt
ihres Adels Siegel.
So geb ichs zu, dieß klinget ſchoͤn: allein, wo kommt der
Unterſcheid
Der abgezogenen Gedanken, wo kommt die Mannichfal-
tigkeit
Sich widerſprechender Jdeen, bey ſo viel klugen Seelen,
her?
Wenn man dieß ernſtlich uͤberlegt; ſo ſcheinen unſrer
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So von einander unterſchieden, als wie die menſchlichen
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/520>, abgerufen am 22.11.2024.
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