Sollt' unsre Phantasey, zum Beyspiel, der Geilheit schöne Larve können Von ihrem ekelhaften Körper und eiterichtem Wesen trennen: Sollt' ihr die schwere Völlerey, befleckt mit ausgekotzten Speisen, Die Trunkenheit voll Stank und Zank, mit Kopf- und Magenweh sich weisen: Sollt' ihr der Geiz sein' Angst und Sorgen, der schiele Neid sein Schlangenhaar, Der blinde Zorn den blutgen Dolch, die ihm stets dro- hende Gefahr, Die Faulheit ihren Lohn, die Armuth, ganz nackt und hungrig, sehen lassen; Würd' jeder nicht solch scheußlich Heer verfluchen, mei- den, fliehen, hassen? Für die wir, da wir uns dieselben oft anders vorzustel- len pflegen, So viele Neigung, solchen Trieb, so brünstiges Verlan- gen hegen.
Zwar zeiget dann und wann in uns wohl der Verstand im Ueberlegen Derselben Schädlichkeit uns an, da wir denn auch noch wohl zuweilen, Zumal wenn wir aufs Künftge denken, desselben Rath Gehör ertheilen. Allein wir gleichen, in dem Stande, den kränklichen Naturen fast, Die bloß von Arzeneyen leben. Sie haben zwar zuwei- len Rast, Doch bricht die Krankheit wieder durch. So auch bey uns die Leidenschaften,
So
Vermiſchte Gedichte
Sollt’ unſre Phantaſey, zum Beyſpiel, der Geilheit ſchoͤne Larve koͤnnen Von ihrem ekelhaften Koͤrper und eiterichtem Weſen trennen: Sollt’ ihr die ſchwere Voͤllerey, befleckt mit ausgekotzten Speiſen, Die Trunkenheit voll Stank und Zank, mit Kopf- und Magenweh ſich weiſen: Sollt’ ihr der Geiz ſein’ Angſt und Sorgen, der ſchiele Neid ſein Schlangenhaar, Der blinde Zorn den blutgen Dolch, die ihm ſtets dro- hende Gefahr, Die Faulheit ihren Lohn, die Armuth, ganz nackt und hungrig, ſehen laſſen; Wuͤrd’ jeder nicht ſolch ſcheußlich Heer verfluchen, mei- den, fliehen, haſſen? Fuͤr die wir, da wir uns dieſelben oft anders vorzuſtel- len pflegen, So viele Neigung, ſolchen Trieb, ſo bruͤnſtiges Verlan- gen hegen.
Zwar zeiget dann und wann in uns wohl der Verſtand im Ueberlegen Derſelben Schaͤdlichkeit uns an, da wir denn auch noch wohl zuweilen, Zumal wenn wir aufs Kuͤnftge denken, deſſelben Rath Gehoͤr ertheilen. Allein wir gleichen, in dem Stande, den kraͤnklichen Naturen faſt, Die bloß von Arzeneyen leben. Sie haben zwar zuwei- len Raſt, Doch bricht die Krankheit wieder durch. So auch bey uns die Leidenſchaften,
So
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Vermiſchte Gedichte
Sollt’ unſre Phantaſey, zum Beyſpiel, der Geilheit
ſchoͤne Larve koͤnnen
Von ihrem ekelhaften Koͤrper und eiterichtem Weſen
trennen:
Sollt’ ihr die ſchwere Voͤllerey, befleckt mit ausgekotzten
Speiſen,
Die Trunkenheit voll Stank und Zank, mit Kopf- und
Magenweh ſich weiſen:
Sollt’ ihr der Geiz ſein’ Angſt und Sorgen, der ſchiele
Neid ſein Schlangenhaar,
Der blinde Zorn den blutgen Dolch, die ihm ſtets dro-
hende Gefahr,
Die Faulheit ihren Lohn, die Armuth, ganz nackt und
hungrig, ſehen laſſen;
Wuͤrd’ jeder nicht ſolch ſcheußlich Heer verfluchen, mei-
den, fliehen, haſſen?
Fuͤr die wir, da wir uns dieſelben oft anders vorzuſtel-
len pflegen,
So viele Neigung, ſolchen Trieb, ſo bruͤnſtiges Verlan-
gen hegen.
Zwar zeiget dann und wann in uns wohl der Verſtand
im Ueberlegen
Derſelben Schaͤdlichkeit uns an, da wir denn auch noch
wohl zuweilen,
Zumal wenn wir aufs Kuͤnftge denken, deſſelben Rath
Gehoͤr ertheilen.
Allein wir gleichen, in dem Stande, den kraͤnklichen
Naturen faſt,
Die bloß von Arzeneyen leben. Sie haben zwar zuwei-
len Raſt,
Doch bricht die Krankheit wieder durch. So auch bey
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/500>, abgerufen am 22.11.2024.
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