Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

zum irdischen Vergnügen in Gott.

Was wäre doch die Phantasey, wenn sie zugleich nicht
überlegte,

Und durch die Wirkung des Verstandes der Vorwürf'
Unterscheid erwägte?

Sie wär ein bloßer todter Spiegel, und ohne sich zu-
gleich dabey

Jm Denken etwas vorzustellen. Einfolglich, sonder
Phantasey

Wär der Verstand auch anders nichts, als eine Hand-
lung sonder Schranken:

Ohn Absicht, sonder Zweck und Vorwurf, sich bloß be-
wegende Gedanken,

Jn einer stetigen Verwirrung ununterschieden. Zu ge-
schweigen,

Daß, bey verwirrter Phantasey, sich auch verwirrte
Schlüsse zeigen

Und falsche Sätze folgen würden. So wird auch kein
Gedächtniß können,

Von einer Kraft, was vorzustellen, sich jemals scheiden
oder trennen.

Es scheint demnach in unsrer Seele, wenn wir diesel-
be recht ergründen,

Als ob in ihren dreyen Kräften fast ein gedrittes Eins zu
finden,

Und daß sie fast mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver-
gleichen sey.

Doch spüren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey
nicht einerley,

Und daß man eine von der andern verschiedlich nehmen
könn' und müsse;

Es sind in der Religion so gar erweislich diese Schlüsse.
Der
G g 2

zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.

Was waͤre doch die Phantaſey, wenn ſie zugleich nicht
uͤberlegte,

Und durch die Wirkung des Verſtandes der Vorwuͤrf’
Unterſcheid erwaͤgte?

Sie waͤr ein bloßer todter Spiegel, und ohne ſich zu-
gleich dabey

Jm Denken etwas vorzuſtellen. Einfolglich, ſonder
Phantaſey

Waͤr der Verſtand auch anders nichts, als eine Hand-
lung ſonder Schranken:

Ohn Abſicht, ſonder Zweck und Vorwurf, ſich bloß be-
wegende Gedanken,

Jn einer ſtetigen Verwirrung ununterſchieden. Zu ge-
ſchweigen,

Daß, bey verwirrter Phantaſey, ſich auch verwirrte
Schluͤſſe zeigen

Und falſche Saͤtze folgen wuͤrden. So wird auch kein
Gedaͤchtniß koͤnnen,

Von einer Kraft, was vorzuſtellen, ſich jemals ſcheiden
oder trennen.

Es ſcheint demnach in unſrer Seele, wenn wir dieſel-
be recht ergruͤnden,

Als ob in ihren dreyen Kraͤften faſt ein gedrittes Eins zu
finden,

Und daß ſie faſt mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver-
gleichen ſey.

Doch ſpuͤren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey
nicht einerley,

Und daß man eine von der andern verſchiedlich nehmen
koͤnn’ und muͤſſe;

Es ſind in der Religion ſo gar erweislich dieſe Schluͤſſe.
Der
G g 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="17">
            <l>
              <pb facs="#f0487" n="467"/>
              <fw place="top" type="header">zum irdi&#x017F;chen Vergnu&#x0364;gen in Gott.</fw>
            </l><lb/>
            <l>Was wa&#x0364;re doch die Phanta&#x017F;ey, wenn &#x017F;ie zugleich nicht<lb/><hi rendition="#et">u&#x0364;berlegte,</hi></l><lb/>
            <l>Und durch die Wirkung des Ver&#x017F;tandes der Vorwu&#x0364;rf&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">Unter&#x017F;cheid erwa&#x0364;gte?</hi></l><lb/>
            <l>Sie wa&#x0364;r ein bloßer todter Spiegel, und ohne &#x017F;ich zu-<lb/><hi rendition="#et">gleich dabey</hi></l><lb/>
            <l>Jm Denken etwas vorzu&#x017F;tellen. Einfolglich, &#x017F;onder<lb/><hi rendition="#et">Phanta&#x017F;ey</hi></l><lb/>
            <l>Wa&#x0364;r der Ver&#x017F;tand auch anders nichts, als eine Hand-<lb/><hi rendition="#et">lung &#x017F;onder Schranken:</hi></l><lb/>
            <l>Ohn Ab&#x017F;icht, &#x017F;onder Zweck und Vorwurf, &#x017F;ich bloß be-<lb/><hi rendition="#et">wegende Gedanken,</hi></l><lb/>
            <l>Jn einer &#x017F;tetigen Verwirrung ununter&#x017F;chieden. Zu ge-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chweigen,</hi></l><lb/>
            <l>Daß, bey verwirrter Phanta&#x017F;ey, &#x017F;ich auch verwirrte<lb/><hi rendition="#et">Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zeigen</hi></l><lb/>
            <l>Und fal&#x017F;che Sa&#x0364;tze folgen wu&#x0364;rden. So wird auch kein<lb/><hi rendition="#et">Geda&#x0364;chtniß ko&#x0364;nnen,</hi></l><lb/>
            <l>Von einer Kraft, was vorzu&#x017F;tellen, &#x017F;ich jemals &#x017F;cheiden<lb/><hi rendition="#et">oder trennen.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="18">
            <l>Es &#x017F;cheint demnach in un&#x017F;rer Seele, wenn wir die&#x017F;el-<lb/><hi rendition="#et">be recht ergru&#x0364;nden,</hi></l><lb/>
            <l>Als ob in ihren dreyen Kra&#x0364;ften fa&#x017F;t ein gedrittes Eins zu<lb/><hi rendition="#et">finden,</hi></l><lb/>
            <l>Und daß &#x017F;ie fa&#x017F;t mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver-<lb/><hi rendition="#et">gleichen &#x017F;ey.</hi></l><lb/>
            <l>Doch &#x017F;pu&#x0364;ren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey<lb/><hi rendition="#et">nicht einerley,</hi></l><lb/>
            <l>Und daß man eine von der andern ver&#x017F;chiedlich nehmen<lb/><hi rendition="#et">ko&#x0364;nn&#x2019; und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e;</hi></l><lb/>
            <l>Es &#x017F;ind in der Religion &#x017F;o gar erweislich die&#x017F;e Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G g 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[467/0487] zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Was waͤre doch die Phantaſey, wenn ſie zugleich nicht uͤberlegte, Und durch die Wirkung des Verſtandes der Vorwuͤrf’ Unterſcheid erwaͤgte? Sie waͤr ein bloßer todter Spiegel, und ohne ſich zu- gleich dabey Jm Denken etwas vorzuſtellen. Einfolglich, ſonder Phantaſey Waͤr der Verſtand auch anders nichts, als eine Hand- lung ſonder Schranken: Ohn Abſicht, ſonder Zweck und Vorwurf, ſich bloß be- wegende Gedanken, Jn einer ſtetigen Verwirrung ununterſchieden. Zu ge- ſchweigen, Daß, bey verwirrter Phantaſey, ſich auch verwirrte Schluͤſſe zeigen Und falſche Saͤtze folgen wuͤrden. So wird auch kein Gedaͤchtniß koͤnnen, Von einer Kraft, was vorzuſtellen, ſich jemals ſcheiden oder trennen. Es ſcheint demnach in unſrer Seele, wenn wir dieſel- be recht ergruͤnden, Als ob in ihren dreyen Kraͤften faſt ein gedrittes Eins zu finden, Und daß ſie faſt mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver- gleichen ſey. Doch ſpuͤren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey nicht einerley, Und daß man eine von der andern verſchiedlich nehmen koͤnn’ und muͤſſe; Es ſind in der Religion ſo gar erweislich dieſe Schluͤſſe. Der G g 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/487
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/487>, abgerufen am 22.11.2024.