Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.zum irdischen Vergnügen in Gott. Der Satz: der Schöpfer hätte wollen, Daß Kreaturen, die so schwach, als wir, uns offenbaren sollen, Was er uns selbst nicht offenbart, scheint ebenfalls des Hochmuths Frucht, Und brauchet einer Untersuchung. Ein stark Verlangen, eine Sucht, Uns über andre zu erheben; von Gott gewürdiget zu scheinen Vernünftiger gemacht zu seyn, veranlaßt öfters, daß wir meynen, Wir wären auserwählte Geister, Propheten, Philosophen, Lehrer. Erlangen wir nun solche Hörer, Die unsrer Meynung Beyfall geben aus Schwachheit oder Unverstand; So ist des Volkes, Gottes Stimme. Allein, wenn wir den Menschen sehn, Und wie die Kräfte seines Geistes in solchen engen Schranken stehn; Erschrickt man billig ob dem Stolz, durch welchen wir, so kühn, verlangen, Mehr Fähigkeiten zu besitzen, als wir auf dieser Erd' empfangen. Ja uns dabey zu überreden: die Gottheit würde, wenn sie wollte, Daß einst der Mensch von seinem Wesen mehr, als vor- hero, wissen sollte, So schlechten Werkzeugs sich bedienen, und von so einge- schränkten Seelen, Zu ihrer aller Ueberführung, aus ihrem Mittel, eine wählen, Die,
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Der Satz: der Schoͤpfer haͤtte wollen, Daß Kreaturen, die ſo ſchwach, als wir, uns offenbaren ſollen, Was er uns ſelbſt nicht offenbart, ſcheint ebenfalls des Hochmuths Frucht, Und brauchet einer Unterſuchung. Ein ſtark Verlangen, eine Sucht, Uns uͤber andre zu erheben; von Gott gewuͤrdiget zu ſcheinen Vernuͤnftiger gemacht zu ſeyn, veranlaßt oͤfters, daß wir meynen, Wir waͤren auserwaͤhlte Geiſter, Propheten, Philoſophen, Lehrer. Erlangen wir nun ſolche Hoͤrer, Die unſrer Meynung Beyfall geben aus Schwachheit oder Unverſtand; So iſt des Volkes, Gottes Stimme. Allein, wenn wir den Menſchen ſehn, Und wie die Kraͤfte ſeines Geiſtes in ſolchen engen Schranken ſtehn; Erſchrickt man billig ob dem Stolz, durch welchen wir, ſo kuͤhn, verlangen, Mehr Faͤhigkeiten zu beſitzen, als wir auf dieſer Erd’ empfangen. Ja uns dabey zu uͤberreden: die Gottheit wuͤrde, wenn ſie wollte, Daß einſt der Menſch von ſeinem Weſen mehr, als vor- hero, wiſſen ſollte, So ſchlechten Werkzeugs ſich bedienen, und von ſo einge- ſchraͤnkten Seelen, Zu ihrer aller Ueberfuͤhrung, aus ihrem Mittel, eine waͤhlen, Die,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0465" n="445"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.</hi> </fw><lb/> <lg n="2"> <l>Der Satz: der Schoͤpfer haͤtte wollen,</l><lb/> <l>Daß Kreaturen, die ſo ſchwach, als wir, uns offenbaren<lb/><hi rendition="#et">ſollen,</hi></l><lb/> <l>Was er uns ſelbſt nicht offenbart, ſcheint ebenfalls des<lb/><hi rendition="#et">Hochmuths Frucht,</hi></l><lb/> <l>Und brauchet einer Unterſuchung. Ein ſtark Verlangen,<lb/><hi rendition="#et">eine Sucht,</hi></l><lb/> <l>Uns uͤber andre zu erheben; von Gott gewuͤrdiget zu<lb/><hi rendition="#et">ſcheinen</hi></l><lb/> <l>Vernuͤnftiger gemacht zu ſeyn, veranlaßt oͤfters, daß wir<lb/><hi rendition="#et">meynen,</hi></l><lb/> <l>Wir waͤren auserwaͤhlte Geiſter, Propheten, Philoſophen,<lb/><hi rendition="#et">Lehrer.</hi></l><lb/> <l>Erlangen wir nun ſolche Hoͤrer,</l><lb/> <l>Die unſrer Meynung Beyfall geben aus Schwachheit<lb/><hi rendition="#et">oder Unverſtand;</hi></l><lb/> <l>So iſt des Volkes, Gottes Stimme. Allein, wenn wir<lb/><hi rendition="#et">den Menſchen ſehn,</hi></l><lb/> <l>Und wie die Kraͤfte ſeines Geiſtes in ſolchen engen<lb/><hi rendition="#et">Schranken ſtehn;</hi></l><lb/> <l>Erſchrickt man billig ob dem Stolz, durch welchen wir,<lb/><hi rendition="#et">ſo kuͤhn, verlangen,</hi></l><lb/> <l>Mehr Faͤhigkeiten zu beſitzen, als wir auf dieſer Erd’<lb/><hi rendition="#et">empfangen.</hi></l><lb/> <l>Ja uns dabey zu uͤberreden: die Gottheit wuͤrde, wenn<lb/><hi rendition="#et">ſie wollte,</hi></l><lb/> <l>Daß einſt der Menſch von ſeinem Weſen mehr, als vor-<lb/><hi rendition="#et">hero, wiſſen ſollte,</hi></l><lb/> <l>So ſchlechten Werkzeugs ſich bedienen, und von ſo einge-<lb/><hi rendition="#et">ſchraͤnkten Seelen,</hi></l><lb/> <l>Zu ihrer aller Ueberfuͤhrung, aus ihrem Mittel, eine<lb/><hi rendition="#et">waͤhlen,</hi></l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die,</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [445/0465]
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Der Satz: der Schoͤpfer haͤtte wollen,
Daß Kreaturen, die ſo ſchwach, als wir, uns offenbaren
ſollen,
Was er uns ſelbſt nicht offenbart, ſcheint ebenfalls des
Hochmuths Frucht,
Und brauchet einer Unterſuchung. Ein ſtark Verlangen,
eine Sucht,
Uns uͤber andre zu erheben; von Gott gewuͤrdiget zu
ſcheinen
Vernuͤnftiger gemacht zu ſeyn, veranlaßt oͤfters, daß wir
meynen,
Wir waͤren auserwaͤhlte Geiſter, Propheten, Philoſophen,
Lehrer.
Erlangen wir nun ſolche Hoͤrer,
Die unſrer Meynung Beyfall geben aus Schwachheit
oder Unverſtand;
So iſt des Volkes, Gottes Stimme. Allein, wenn wir
den Menſchen ſehn,
Und wie die Kraͤfte ſeines Geiſtes in ſolchen engen
Schranken ſtehn;
Erſchrickt man billig ob dem Stolz, durch welchen wir,
ſo kuͤhn, verlangen,
Mehr Faͤhigkeiten zu beſitzen, als wir auf dieſer Erd’
empfangen.
Ja uns dabey zu uͤberreden: die Gottheit wuͤrde, wenn
ſie wollte,
Daß einſt der Menſch von ſeinem Weſen mehr, als vor-
hero, wiſſen ſollte,
So ſchlechten Werkzeugs ſich bedienen, und von ſo einge-
ſchraͤnkten Seelen,
Zu ihrer aller Ueberfuͤhrung, aus ihrem Mittel, eine
waͤhlen,
Die,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |