Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte
Versuch, die Anstößigkeit vielerley
Religionen zu heben.
Ueberall ersichtliches, und dennoch verborgnes, We-
sen,
Wie verwirrt sich der Verstand, wann wir mit Erstau-
nen lesen,
Daß so viele tausend Arten falscher Götzendienst' auf Er-
den,
Jhres Unsinns unerachtet, doch von dir geduldet werden!
Da es aber doch geschicht;
Scheinet es der Menschen Pflicht,
Die Vernunft zu Rath zu ziehen,
Und mit Ernst uns zu bemühen,
Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig' und über-
führe:
Wie auch bey so vielen Secten doch die Gottheit nichts
verliere.
Denn uns würdige Begriffe von der Vollenkommenheit
Gottes überall zu machen, ist der Menschen Schuldig-
keit.
Daß ein falscher Gottesdienst, auch so gar Abgötterey,
Bloß nur ein' Unwissenheit- keine Bosheitsünde sey,
Jst mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott-
heit Größ' erkennet,
Wie sie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von sich
gönnet;
Daß, wie diese fast unendlich, Gott noch weit unend-
licher
An Verstand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und
Welten Herr,
Schö-
Vermiſchte Gedichte
Verſuch, die Anſtoͤßigkeit vielerley
Religionen zu heben.
Ueberall erſichtliches, und dennoch verborgnes, We-
ſen,
Wie verwirrt ſich der Verſtand, wann wir mit Erſtau-
nen leſen,
Daß ſo viele tauſend Arten falſcher Goͤtzendienſt’ auf Er-
den,
Jhres Unſinns unerachtet, doch von dir geduldet werden!
Da es aber doch geſchicht;
Scheinet es der Menſchen Pflicht,
Die Vernunft zu Rath zu ziehen,
Und mit Ernſt uns zu bemuͤhen,
Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig’ und uͤber-
fuͤhre:
Wie auch bey ſo vielen Secten doch die Gottheit nichts
verliere.
Denn uns wuͤrdige Begriffe von der Vollenkommenheit
Gottes uͤberall zu machen, iſt der Menſchen Schuldig-
keit.
Daß ein falſcher Gottesdienſt, auch ſo gar Abgoͤtterey,
Bloß nur ein’ Unwiſſenheit- keine Bosheitſuͤnde ſey,
Jſt mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott-
heit Groͤß’ erkennet,
Wie ſie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von ſich
goͤnnet;
Daß, wie dieſe faſt unendlich, Gott noch weit unend-
licher
An Verſtand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und
Welten Herr,
Schoͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0444" n="424"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Gedichte</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Ver&#x017F;uch, die An&#x017F;to&#x0364;ßigkeit vielerley</hi><lb/>
Religionen zu heben.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">U</hi>eberall er&#x017F;ichtliches, und dennoch verborgnes, We-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
            <l>Wie verwirrt &#x017F;ich der Ver&#x017F;tand, wann wir mit Er&#x017F;tau-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">nen le&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;o viele tau&#x017F;end Arten fal&#x017F;cher Go&#x0364;tzendien&#x017F;t&#x2019; auf Er-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">den,</hi> </l><lb/>
            <l>Jhres Un&#x017F;inns unerachtet, doch von dir geduldet werden!</l><lb/>
            <l>Da es aber doch ge&#x017F;chicht;</l><lb/>
            <l>Scheinet es der Men&#x017F;chen Pflicht,</l><lb/>
            <l>Die Vernunft zu Rath zu ziehen,</l><lb/>
            <l>Und mit Ern&#x017F;t uns zu bemu&#x0364;hen,</l><lb/>
            <l>Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig&#x2019; und u&#x0364;ber-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">fu&#x0364;hre:</hi> </l><lb/>
            <l>Wie auch bey &#x017F;o vielen Secten doch die Gottheit nichts</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">verliere.</hi> </l><lb/>
            <l>Denn uns wu&#x0364;rdige Begriffe von der Vollenkommenheit</l><lb/>
            <l>Gottes u&#x0364;berall zu machen, i&#x017F;t der Men&#x017F;chen Schuldig-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">keit.</hi> </l><lb/>
            <l>Daß ein fal&#x017F;cher Gottesdien&#x017F;t, auch &#x017F;o gar Abgo&#x0364;tterey,</l><lb/>
            <l>Bloß nur ein&#x2019; Unwi&#x017F;&#x017F;enheit- keine Bosheit&#x017F;u&#x0364;nde &#x017F;ey,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">heit Gro&#x0364;ß&#x2019; erkennet,</hi> </l><lb/>
            <l>Wie &#x017F;ie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von &#x017F;ich</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">go&#x0364;nnet;</hi> </l><lb/>
            <l>Daß, wie die&#x017F;e fa&#x017F;t unendlich, Gott noch weit unend-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">licher</hi> </l><lb/>
            <l>An Ver&#x017F;tand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Welten Herr,</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Scho&#x0364;-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0444] Vermiſchte Gedichte Verſuch, die Anſtoͤßigkeit vielerley Religionen zu heben. Ueberall erſichtliches, und dennoch verborgnes, We- ſen, Wie verwirrt ſich der Verſtand, wann wir mit Erſtau- nen leſen, Daß ſo viele tauſend Arten falſcher Goͤtzendienſt’ auf Er- den, Jhres Unſinns unerachtet, doch von dir geduldet werden! Da es aber doch geſchicht; Scheinet es der Menſchen Pflicht, Die Vernunft zu Rath zu ziehen, Und mit Ernſt uns zu bemuͤhen, Hievon einen Grund zu finden, der uns zeig’ und uͤber- fuͤhre: Wie auch bey ſo vielen Secten doch die Gottheit nichts verliere. Denn uns wuͤrdige Begriffe von der Vollenkommenheit Gottes uͤberall zu machen, iſt der Menſchen Schuldig- keit. Daß ein falſcher Gottesdienſt, auch ſo gar Abgoͤtterey, Bloß nur ein’ Unwiſſenheit- keine Bosheitſuͤnde ſey, Jſt mit Recht wohl nicht zu leugnen. Wer der Gott- heit Groͤß’ erkennet, Wie ſie uns, in ihren Werken, ein Erkenntniß von ſich goͤnnet; Daß, wie dieſe faſt unendlich, Gott noch weit unend- licher An Verſtand, an Macht und Liebe, aller Sonn- und Welten Herr, Schoͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/444
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/444>, abgerufen am 22.11.2024.