Zufällige Gedanken beym Anblick eines Todtenkopfs.
Jn dieses Schädels engen Schranken Schwärmt' ehedem ein Heer von schwülstigen Ge- danken, Wühlt' ehedem ein Schwarm von Lust- und Geldbegier, Brach vormals eine Schaar phantastischer Jdeen, Von Hoffnung, Zweifelsucht, und Furcht belebt, herfür. An Bildung war er dazumal, Erwägt mans recht, nicht anders anzusehen, Als wie, von unsrer Seel, ein beinern Futteral. Jetzt ist er leer von Geist und Leben, Ein ekelhafter Ueberrest von dem, was an uns sichtbar war, Da unser Geist, sammt der Jdeen Schaar, Den Abschied ihm gegeben. Sein Fleisch hat ihn sowohl, als wie sein Geist, verlassen, Wir können nicht einmal, wo jenes blieben sey, Und noch weit weniger, wo seine Seele, fassen. Jhr Philosophen kommt herbey, Die ihr, daß alles so und anders nicht sey, wisset, Sprecht: ob ihr nicht gestehen müsset: Hier sey des Bauren Witz, und eurer, einerley. Doch hört bey der Gelegenheit, was meine Meynung hievon sey:
Mir macht der Gegenwurf kein Grauen, Der Todtenschädel widerspricht Auch meiner simpeln Lehre nicht: Vielmehr wird man sie noch, durch ihn, bestärket schauen. Ach hätte man darauf mit mehrerm Beyfall Acht!
Ob
Vermiſchte Gedichte
Zufaͤllige Gedanken beym Anblick eines Todtenkopfs.
Jn dieſes Schaͤdels engen Schranken Schwaͤrmt’ ehedem ein Heer von ſchwuͤlſtigen Ge- danken, Wuͤhlt’ ehedem ein Schwarm von Luſt- und Geldbegier, Brach vormals eine Schaar phantaſtiſcher Jdeen, Von Hoffnung, Zweifelſucht, und Furcht belebt, herfuͤr. An Bildung war er dazumal, Erwaͤgt mans recht, nicht anders anzuſehen, Als wie, von unſrer Seel, ein beinern Futteral. Jetzt iſt er leer von Geiſt und Leben, Ein ekelhafter Ueberreſt von dem, was an uns ſichtbar war, Da unſer Geiſt, ſammt der Jdeen Schaar, Den Abſchied ihm gegeben. Sein Fleiſch hat ihn ſowohl, als wie ſein Geiſt, verlaſſen, Wir koͤnnen nicht einmal, wo jenes blieben ſey, Und noch weit weniger, wo ſeine Seele, faſſen. Jhr Philoſophen kommt herbey, Die ihr, daß alles ſo und anders nicht ſey, wiſſet, Sprecht: ob ihr nicht geſtehen muͤſſet: Hier ſey des Bauren Witz, und eurer, einerley. Doch hoͤrt bey der Gelegenheit, was meine Meynung hievon ſey:
Mir macht der Gegenwurf kein Grauen, Der Todtenſchaͤdel widerſpricht Auch meiner ſimpeln Lehre nicht: Vielmehr wird man ſie noch, durch ihn, beſtaͤrket ſchauen. Ach haͤtte man darauf mit mehrerm Beyfall Acht!
Ob
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Vermiſchte Gedichte
Zufaͤllige Gedanken beym Anblick
eines Todtenkopfs.
Jn dieſes Schaͤdels engen Schranken
Schwaͤrmt’ ehedem ein Heer von ſchwuͤlſtigen Ge-
danken,
Wuͤhlt’ ehedem ein Schwarm von Luſt- und Geldbegier,
Brach vormals eine Schaar phantaſtiſcher Jdeen,
Von Hoffnung, Zweifelſucht, und Furcht belebt, herfuͤr.
An Bildung war er dazumal,
Erwaͤgt mans recht, nicht anders anzuſehen,
Als wie, von unſrer Seel, ein beinern Futteral.
Jetzt iſt er leer von Geiſt und Leben,
Ein ekelhafter Ueberreſt von dem, was an uns ſichtbar
war,
Da unſer Geiſt, ſammt der Jdeen Schaar,
Den Abſchied ihm gegeben.
Sein Fleiſch hat ihn ſowohl, als wie ſein Geiſt, verlaſſen,
Wir koͤnnen nicht einmal, wo jenes blieben ſey,
Und noch weit weniger, wo ſeine Seele, faſſen.
Jhr Philoſophen kommt herbey,
Die ihr, daß alles ſo und anders nicht ſey, wiſſet,
Sprecht: ob ihr nicht geſtehen muͤſſet:
Hier ſey des Bauren Witz, und eurer, einerley.
Doch hoͤrt bey der Gelegenheit, was meine Meynung
hievon ſey:
Mir macht der Gegenwurf kein Grauen,
Der Todtenſchaͤdel widerſpricht
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Vielmehr wird man ſie noch, durch ihn, beſtaͤrket ſchauen.
Ach haͤtte man darauf mit mehrerm Beyfall Acht!
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/432>, abgerufen am 04.03.2025.
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