Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Lehr-reiche Geschichte.

Nach dieser Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewünschet, im Stande zu seyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woselbst ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daselbst noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzählbare Zu-
fälle, an diesem Orte, von allen Menschen abgesondert,
mich befinde: so habe ich destoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Mühe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geist, ein großes beygetragen hat, dergestalt, daß wir
nunmehr sechs Jahre uns täglich damit beschäfftigen,
uns zu vergnügen; in allen Vorwürfen die darinn
durch Gottes Finger geprägte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beschreiben, wie weit wir durch die tägliche Ge-
wohnheit unsre sonst zerstreuten Gemüths-Kräfte ge-
bracht haben; so daß wir nunmehr ohne Mühe un-
sere Sinnen vernünftig gebrauchen können. Wir se-
hen, was wir sehen, und hören, was wir hören. Wir
riechen, fühlen und schmecken, was wir wirklich rie-
chen, fühlen und schmecken.

Das zarte Gemüth unsers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angeführet, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu übersteigen gehabt, zu
unser beyderseits nicht auszusprechendem Vergnügen,
alles auf diesem Wege so leicht gefunden; daß wir uns
gar oft, mit Lust, von ihm übertroffen sehen.

Was
R r 2
Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu-
faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert,
mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir
nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen,
uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn
durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge-
wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge-
bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un-
ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe-
hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir
riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie-
chen, fuͤhlen und ſchmecken.

Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu
unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen,
alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns
gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen.

Was
R r 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0641" n="627"/>
            <fw place="top" type="header">Eine Lehr-reiche Ge&#x017F;chichte.</fw><lb/>
            <p>Nach die&#x017F;er Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen<lb/>
Jahren, gewu&#x0364;n&#x017F;chet, im Stande zu &#x017F;eyn, mein Leben ein-<lb/>
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie<lb/>
ich noch in der Welt war; wo&#x017F;elb&#x017F;t ich es denn, ohne<lb/>
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie<lb/>
leicht zu glauben, da&#x017F;elb&#x017F;t noch viele Verhinderungen<lb/>
angetroffen habe. Da ich nun, durch unza&#x0364;hlbare Zu-<lb/>
fa&#x0364;lle, an die&#x017F;em Orte, von allen Men&#x017F;chen abge&#x017F;ondert,<lb/>
mich befinde: &#x017F;o habe ich de&#x017F;toweniger Hinderniß gehabt,<lb/>
mich mit mehrer Mu&#x0364;he darauf zu befleißigen. Wozu<lb/>
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen<lb/>
Gei&#x017F;t, ein großes beygetragen hat, derge&#x017F;talt, daß wir<lb/>
nunmehr &#x017F;echs Jahre uns ta&#x0364;glich damit be&#x017F;cha&#x0364;fftigen,<lb/>
uns zu vergnu&#x0364;gen; in allen Vorwu&#x0364;rfen die darinn<lb/>
durch Gottes Finger gepra&#x0364;gte Weisheit zu bemerken,<lb/>
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,<lb/>
nicht be&#x017F;chreiben, wie weit wir durch die ta&#x0364;gliche Ge-<lb/>
wohnheit un&#x017F;re &#x017F;on&#x017F;t zer&#x017F;treuten Gemu&#x0364;ths-Kra&#x0364;fte ge-<lb/>
bracht haben; &#x017F;o daß wir nunmehr ohne Mu&#x0364;he un-<lb/>
&#x017F;ere Sinnen vernu&#x0364;nftig gebrauchen ko&#x0364;nnen. Wir &#x017F;e-<lb/>
hen, was wir &#x017F;ehen, und ho&#x0364;ren, was wir ho&#x0364;ren. Wir<lb/>
riechen, fu&#x0364;hlen und &#x017F;chmecken, was wir wirklich rie-<lb/>
chen, fu&#x0364;hlen und &#x017F;chmecken.</p><lb/>
            <p>Das zarte Gemu&#x0364;th un&#x017F;ers lieben Sohnes haben wir<lb/>
bey Zeiten dazu angefu&#x0364;hret, welcher denn dadurch, daß<lb/>
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-<lb/>
wohnheits-Schwierigkeiten zu u&#x0364;ber&#x017F;teigen gehabt, zu<lb/>
un&#x017F;er beyder&#x017F;eits nicht auszu&#x017F;prechendem Vergnu&#x0364;gen,<lb/>
alles auf die&#x017F;em Wege &#x017F;o leicht gefunden; daß wir uns<lb/>
gar oft, mit Lu&#x017F;t, von ihm u&#x0364;bertroffen &#x017F;ehen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">R r 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0641] Eine Lehr-reiche Geſchichte. Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein- zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu- faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert, mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt, mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen, uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken, und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund, nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge- wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge- bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un- ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe- hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie- chen, fuͤhlen und ſchmecken. Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge- wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen, alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen. Was R r 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/641
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/641>, abgerufen am 23.11.2024.