Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Lehr-reiche Geschichte.

Nach einem entsetzlichen Sturm, und gänzlicher
Zertrümmerung seines Schiffs, wird Miran-
der, ein deutscher Edelmann, halb todt durch die
Brandung an ein sonst überall mit steilen Felsen be-
setztes Ufer, jedoch, zu seinem Glück, an eine etwas fla-
che Stelle geworfen. Hieselbst, nachdem er seine noch
übrigen wenigen Kräfte angewendet, in möglicher Eile
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-
rückrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine
Höhle an, worinn er sich begiebt. Er danket dem Him-
mel inbrünstig für seine sonderbare Errettung, und sank
für großer Müdigkeit in einen tiefen Schlaf.

Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-
des zu übersehen, auf die fast unersteiglichen Felsen ge-
klettert, wird er gegen Osten, zwischen zween Himmel-
hohen, sich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,
in einem dadurch formirten Thal, einer sehr anmuthigen
Gegend gewahr.

Ein überaus klarer Fluß schlängelte wie ein fliessend
Silber sich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern
Frucht-Bäumen bepflanzet waren, wovon das schöne
Grün ihrer Wipfel beyde Seiten des Wassers mit einem
kräftigen Wiederschein sehr anmuthig färbte, derselben
Schönheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-
lichsten Vorwurf von der Welt darstellte. Die Anhö-
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-
schiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern
bedecket. Das Gras war kurz und grün, worauf man-
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch

den
Eine Lehr-reiche Geſchichte.

Nach einem entſetzlichen Sturm, und gaͤnzlicher
Zertruͤmmerung ſeines Schiffs, wird Miran-
der, ein deutſcher Edelmann, halb todt durch die
Brandung an ein ſonſt uͤberall mit ſteilen Felſen be-
ſetztes Ufer, jedoch, zu ſeinem Gluͤck, an eine etwas fla-
che Stelle geworfen. Hieſelbſt, nachdem er ſeine noch
uͤbrigen wenigen Kraͤfte angewendet, in moͤglicher Eile
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-
ruͤckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine
Hoͤhle an, worinn er ſich begiebt. Er danket dem Him-
mel inbruͤnſtig fuͤr ſeine ſonderbare Errettung, und ſank
fuͤr großer Muͤdigkeit in einen tiefen Schlaf.

Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-
des zu uͤberſehen, auf die faſt unerſteiglichen Felſen ge-
klettert, wird er gegen Oſten, zwiſchen zween Himmel-
hohen, ſich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,
in einem dadurch formirten Thal, einer ſehr anmuthigen
Gegend gewahr.

Ein uͤberaus klarer Fluß ſchlaͤngelte wie ein flieſſend
Silber ſich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern
Frucht-Baͤumen bepflanzet waren, wovon das ſchoͤne
Gruͤn ihrer Wipfel beyde Seiten des Waſſers mit einem
kraͤftigen Wiederſchein ſehr anmuthig faͤrbte, derſelben
Schoͤnheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-
lichſten Vorwurf von der Welt darſtellte. Die Anhoͤ-
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-
ſchiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern
bedecket. Das Gras war kurz und gruͤn, worauf man-
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0636" n="622"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Eine Lehr-reiche Ge&#x017F;chichte.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">N</hi>ach einem ent&#x017F;etzlichen Sturm, und ga&#x0364;nzlicher<lb/>
Zertru&#x0364;mmerung &#x017F;eines Schiffs, wird Miran-<lb/>
der, ein deut&#x017F;cher Edelmann, halb todt durch die<lb/>
Brandung an ein &#x017F;on&#x017F;t u&#x0364;berall mit &#x017F;teilen Fel&#x017F;en be-<lb/>
&#x017F;etztes Ufer, jedoch, zu &#x017F;einem Glu&#x0364;ck, an eine etwas fla-<lb/>
che Stelle geworfen. Hie&#x017F;elb&#x017F;t, nachdem er &#x017F;eine noch<lb/>
u&#x0364;brigen wenigen Kra&#x0364;fte angewendet, in mo&#x0364;glicher Eile<lb/>
weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu-<lb/>
ru&#x0364;ckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine<lb/>
Ho&#x0364;hle an, worinn er &#x017F;ich begiebt. Er danket dem Him-<lb/>
mel inbru&#x0364;n&#x017F;tig fu&#x0364;r &#x017F;eine &#x017F;onderbare Errettung, und &#x017F;ank<lb/>
fu&#x0364;r großer Mu&#x0364;digkeit in einen tiefen Schlaf.</p><lb/>
            <p>Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan-<lb/>
des zu u&#x0364;ber&#x017F;ehen, auf die fa&#x017F;t uner&#x017F;teiglichen Fel&#x017F;en ge-<lb/>
klettert, wird er gegen O&#x017F;ten, zwi&#x017F;chen zween Himmel-<lb/>
hohen, &#x017F;ich unten aber allgemach verbreitenden Bergen,<lb/>
in einem dadurch formirten Thal, einer &#x017F;ehr anmuthigen<lb/>
Gegend gewahr.</p><lb/>
            <p>Ein u&#x0364;beraus klarer Fluß &#x017F;chla&#x0364;ngelte wie ein flie&#x017F;&#x017F;end<lb/>
Silber &#x017F;ich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit<lb/>
vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern<lb/>
Frucht-Ba&#x0364;umen bepflanzet waren, wovon das &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Gru&#x0364;n ihrer Wipfel beyde Seiten des Wa&#x017F;&#x017F;ers mit einem<lb/>
kra&#x0364;ftigen Wieder&#x017F;chein &#x017F;ehr anmuthig fa&#x0364;rbte, der&#x017F;elben<lb/>
Scho&#x0364;nheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb-<lb/>
lich&#x017F;ten Vorwurf von der Welt dar&#x017F;tellte. Die Anho&#x0364;-<lb/>
he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern<lb/>
bedecket. Das Gras war kurz und gru&#x0364;n, worauf man-<lb/>
cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[622/0636] Eine Lehr-reiche Geſchichte. Nach einem entſetzlichen Sturm, und gaͤnzlicher Zertruͤmmerung ſeines Schiffs, wird Miran- der, ein deutſcher Edelmann, halb todt durch die Brandung an ein ſonſt uͤberall mit ſteilen Felſen be- ſetztes Ufer, jedoch, zu ſeinem Gluͤck, an eine etwas fla- che Stelle geworfen. Hieſelbſt, nachdem er ſeine noch uͤbrigen wenigen Kraͤfte angewendet, in moͤglicher Eile weiter aufs Land zu gelangen, und denen ihn wieder zu- ruͤckrollenden Wellen zu entkriechen, trifft er eine kleine Hoͤhle an, worinn er ſich begiebt. Er danket dem Him- mel inbruͤnſtig fuͤr ſeine ſonderbare Errettung, und ſank fuͤr großer Muͤdigkeit in einen tiefen Schlaf. Nachdem er nun des Morgens, um die Lage des Lan- des zu uͤberſehen, auf die faſt unerſteiglichen Felſen ge- klettert, wird er gegen Oſten, zwiſchen zween Himmel- hohen, ſich unten aber allgemach verbreitenden Bergen, in einem dadurch formirten Thal, einer ſehr anmuthigen Gegend gewahr. Ein uͤberaus klarer Fluß ſchlaͤngelte wie ein flieſſend Silber ſich durch die Ufer, welche auf beyden Seiten mit vielen geraden Palmen-Orangen-Oliven- und andern Frucht-Baͤumen bepflanzet waren, wovon das ſchoͤne Gruͤn ihrer Wipfel beyde Seiten des Waſſers mit einem kraͤftigen Wiederſchein ſehr anmuthig faͤrbte, derſelben Schoͤnheit verdoppelte, und dadurch den Augen den lieb- lichſten Vorwurf von der Welt darſtellte. Die Anhoͤ- he zur Rechten war von Weinreben, die Linke mit ver- ſchiedenen ordentlich eingetheilten kleinen Kornfeldern bedecket. Das Gras war kurz und gruͤn, worauf man- cherley fremde Thiere ruhig weideten; wie er denn auch den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/636
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/636>, abgerufen am 27.11.2024.