Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Leben.
So sage: Kennest du den seinen?
Noch mehr! Sprich: Kennest du den deinen?
Denn, wie ich hoffe, denkst du nicht, ob hab' ein solches
Würmchen keinen.

Was lebt, kann ohne Geist nicht leben.
Dieß wird von dir ja zugegeben.
Wir können gleichsam in ihm sehen,
Daß minstens dunkele Jdeen
Jn seinem kleinen Geist vorhanden;
Jndem er, was ihm schädlich scheinet,
Mit Vorsicht gleichsam und mit Fleiß
Verabscheut, und zu meiden weiß.
Man sprütze nur ein Tröpfchen Wasser vor ihm in sei-
nen Weg und Lauf,

Gleich höret er zu laufen auf;
Man siehet ihn
Sich ungesäumt zurücke ziehn.
Wo bleibt sein Geist denn? Stirbt er mit? Wie?
können Geister denn auch sterben,

Und, durch die Trennung ihrer Theile, sowohl als wie
der Leib, verderben?

Jst dieß gewiß und ausgemacht?
O nimm dich bey dem Schluß in Acht!
Weil wir ja sonst von unsern Geistern, wenn sie sich
von den Körpern trennen,

Vielleicht ein gleiches schliessen können.
Wirst du der Geister Einfachheit, worauf du alles baust,
verlassen;

Wirst du ja von den Geistern minder, als wie du erst
geglaubet, fassen,

Und wie du meynest, nichts verstehn.
Doch
P p 4

Das Leben.
So ſage: Kenneſt du den ſeinen?
Noch mehr! Sprich: Kenneſt du den deinen?
Denn, wie ich hoffe, denkſt du nicht, ob hab’ ein ſolches
Wuͤrmchen keinen.

Was lebt, kann ohne Geiſt nicht leben.
Dieß wird von dir ja zugegeben.
Wir koͤnnen gleichſam in ihm ſehen,
Daß minſtens dunkele Jdeen
Jn ſeinem kleinen Geiſt vorhanden;
Jndem er, was ihm ſchaͤdlich ſcheinet,
Mit Vorſicht gleichſam und mit Fleiß
Verabſcheut, und zu meiden weiß.
Man ſpruͤtze nur ein Troͤpfchen Waſſer vor ihm in ſei-
nen Weg und Lauf,

Gleich hoͤret er zu laufen auf;
Man ſiehet ihn
Sich ungeſaͤumt zuruͤcke ziehn.
Wo bleibt ſein Geiſt denn? Stirbt er mit? Wie?
koͤnnen Geiſter denn auch ſterben,

Und, durch die Trennung ihrer Theile, ſowohl als wie
der Leib, verderben?

Jſt dieß gewiß und ausgemacht?
O nimm dich bey dem Schluß in Acht!
Weil wir ja ſonſt von unſern Geiſtern, wenn ſie ſich
von den Koͤrpern trennen,

Vielleicht ein gleiches ſchlieſſen koͤnnen.
Wirſt du der Geiſter Einfachheit, worauf du alles bauſt,
verlaſſen;

Wirſt du ja von den Geiſtern minder, als wie du erſt
geglaubet, faſſen,

Und wie du meyneſt, nichts verſtehn.
Doch
P p 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="4">
                <pb facs="#f0613" n="599"/>
                <fw place="top" type="header">Das Leben.</fw><lb/>
                <l>So &#x017F;age: Kenne&#x017F;t du den &#x017F;einen?</l><lb/>
                <l>Noch mehr! Sprich: Kenne&#x017F;t du den deinen?</l><lb/>
                <l>Denn, wie ich hoffe, denk&#x017F;t du nicht, ob hab&#x2019; ein &#x017F;olches<lb/><hi rendition="#et">Wu&#x0364;rmchen keinen.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Was lebt, kann ohne Gei&#x017F;t nicht leben.</l><lb/>
                <l>Dieß wird von dir ja zugegeben.</l><lb/>
                <l>Wir ko&#x0364;nnen gleich&#x017F;am in ihm &#x017F;ehen,</l><lb/>
                <l>Daß min&#x017F;tens dunkele Jdeen</l><lb/>
                <l>Jn &#x017F;einem kleinen Gei&#x017F;t vorhanden;</l><lb/>
                <l>Jndem er, was ihm &#x017F;cha&#x0364;dlich &#x017F;cheinet,</l><lb/>
                <l>Mit Vor&#x017F;icht gleich&#x017F;am und mit Fleiß</l><lb/>
                <l>Verab&#x017F;cheut, und zu meiden weiß.</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;pru&#x0364;tze nur ein Tro&#x0364;pfchen Wa&#x017F;&#x017F;er vor ihm in &#x017F;ei-<lb/><hi rendition="#et">nen Weg und Lauf,</hi></l><lb/>
                <l>Gleich ho&#x0364;ret er zu laufen auf;</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;iehet ihn</l><lb/>
                <l>Sich unge&#x017F;a&#x0364;umt zuru&#x0364;cke ziehn.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Wo bleibt &#x017F;ein Gei&#x017F;t denn? Stirbt er mit? Wie?<lb/><hi rendition="#et">ko&#x0364;nnen Gei&#x017F;ter denn auch &#x017F;terben,</hi></l><lb/>
                <l>Und, durch die Trennung ihrer Theile, &#x017F;owohl als wie<lb/><hi rendition="#et">der Leib, verderben?</hi></l><lb/>
                <l>J&#x017F;t dieß gewiß und ausgemacht?</l><lb/>
                <l>O nimm dich bey dem Schluß in Acht!</l><lb/>
                <l>Weil wir ja &#x017F;on&#x017F;t von un&#x017F;ern Gei&#x017F;tern, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">von den Ko&#x0364;rpern trennen,</hi></l><lb/>
                <l>Vielleicht ein gleiches &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen.</l><lb/>
                <l>Wir&#x017F;t du der Gei&#x017F;ter Einfachheit, worauf du alles bau&#x017F;t,<lb/><hi rendition="#et">verla&#x017F;&#x017F;en;</hi></l><lb/>
                <l>Wir&#x017F;t du ja von den Gei&#x017F;tern minder, als wie du er&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">geglaubet, fa&#x017F;&#x017F;en,</hi></l><lb/>
                <l>Und wie du meyne&#x017F;t, nichts ver&#x017F;tehn.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">P p 4</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Doch</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[599/0613] Das Leben. So ſage: Kenneſt du den ſeinen? Noch mehr! Sprich: Kenneſt du den deinen? Denn, wie ich hoffe, denkſt du nicht, ob hab’ ein ſolches Wuͤrmchen keinen. Was lebt, kann ohne Geiſt nicht leben. Dieß wird von dir ja zugegeben. Wir koͤnnen gleichſam in ihm ſehen, Daß minſtens dunkele Jdeen Jn ſeinem kleinen Geiſt vorhanden; Jndem er, was ihm ſchaͤdlich ſcheinet, Mit Vorſicht gleichſam und mit Fleiß Verabſcheut, und zu meiden weiß. Man ſpruͤtze nur ein Troͤpfchen Waſſer vor ihm in ſei- nen Weg und Lauf, Gleich hoͤret er zu laufen auf; Man ſiehet ihn Sich ungeſaͤumt zuruͤcke ziehn. Wo bleibt ſein Geiſt denn? Stirbt er mit? Wie? koͤnnen Geiſter denn auch ſterben, Und, durch die Trennung ihrer Theile, ſowohl als wie der Leib, verderben? Jſt dieß gewiß und ausgemacht? O nimm dich bey dem Schluß in Acht! Weil wir ja ſonſt von unſern Geiſtern, wenn ſie ſich von den Koͤrpern trennen, Vielleicht ein gleiches ſchlieſſen koͤnnen. Wirſt du der Geiſter Einfachheit, worauf du alles bauſt, verlaſſen; Wirſt du ja von den Geiſtern minder, als wie du erſt geglaubet, faſſen, Und wie du meyneſt, nichts verſtehn. Doch P p 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/613
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/613>, abgerufen am 25.11.2024.