Jch sah', in reger Munterkeit, ein kleines Würmchen sich bewegen, Und mit fast nimmer stillen Gliedern, in steter Fertigkeit, sich regen. Jch sah dann, daß das Thierchen lebt, und dachte mit Bedacht dabey, Was eigentlich das Leben sey.
Es muß ja, fiel mir ein, das Leben Wohl nicht von großer Würde seyn, und sich sein Wehrt nicht weit erstrecken; Weil alles, was wir an dem Leben Vortreffliches und Guts entdecken, Auch einem solchen kleinen Thier, und so verworfnem Wurm, gegeben.
Jch ging im Denken weiter fort. Es lebt ein Wurm, es lebt ein Thier, Sowohl, und minder nicht, als wir: Es höret unser Lebens-Lauf Sowohl, als wie des kleinen Wurms, und aller Thiere Leben, auf. Er kam, er war, er lebt', er stirbt; wir kamen, waren, lebten, sterben: Man siehet, was man an uns sieht, auch was wir an ihm sehn, verderben.
Ja, sprichst du, es ist bloß der Geist, Worinn der Unterschied sich weist.
So
Das Leben.
Jch ſah’, in reger Munterkeit, ein kleines Wuͤrmchen ſich bewegen, Und mit faſt nimmer ſtillen Gliedern, in ſteter Fertigkeit, ſich regen. Jch ſah dann, daß das Thierchen lebt, und dachte mit Bedacht dabey, Was eigentlich das Leben ſey.
Es muß ja, fiel mir ein, das Leben Wohl nicht von großer Wuͤrde ſeyn, und ſich ſein Wehrt nicht weit erſtrecken; Weil alles, was wir an dem Leben Vortreffliches und Guts entdecken, Auch einem ſolchen kleinen Thier, und ſo verworfnem Wurm, gegeben.
Jch ging im Denken weiter fort. Es lebt ein Wurm, es lebt ein Thier, Sowohl, und minder nicht, als wir: Es hoͤret unſer Lebens-Lauf Sowohl, als wie des kleinen Wurms, und aller Thiere Leben, auf. Er kam, er war, er lebt’, er ſtirbt; wir kamen, waren, lebten, ſterben: Man ſiehet, was man an uns ſieht, auch was wir an ihm ſehn, verderben.
Ja, ſprichſt du, es iſt bloß der Geiſt, Worinn der Unterſchied ſich weiſt.
So
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[598/0612]
Das Leben.
Jch ſah’, in reger Munterkeit, ein kleines Wuͤrmchen
ſich bewegen,
Und mit faſt nimmer ſtillen Gliedern, in ſteter Fertigkeit,
ſich regen.
Jch ſah dann, daß das Thierchen lebt, und dachte mit
Bedacht dabey,
Was eigentlich das Leben ſey.
Es muß ja, fiel mir ein, das Leben
Wohl nicht von großer Wuͤrde ſeyn, und ſich ſein Wehrt
nicht weit erſtrecken;
Weil alles, was wir an dem Leben Vortreffliches und
Guts entdecken,
Auch einem ſolchen kleinen Thier, und ſo verworfnem
Wurm, gegeben.
Jch ging im Denken weiter fort. Es lebt ein Wurm,
es lebt ein Thier,
Sowohl, und minder nicht, als wir:
Es hoͤret unſer Lebens-Lauf
Sowohl, als wie des kleinen Wurms, und aller Thiere
Leben, auf.
Er kam, er war, er lebt’, er ſtirbt; wir kamen, waren,
lebten, ſterben:
Man ſiehet, was man an uns ſieht, auch was wir an
ihm ſehn, verderben.
Ja, ſprichſt du, es iſt bloß der Geiſt,
Worinn der Unterſchied ſich weiſt.
So
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/612>, abgerufen am 25.11.2024.
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