Unglücklicher Mißbrauch der Kräfte unsers Geistes.
Wir haben eine Fähigkeit, wodurch ein gegenwärt- ges Gut, Wenn wir es, daß es gut, erwegen, von uns gefühlt wird und empfunden; Auch eine, wodurch unsre Lust, wenn sie vergangen und verschwunden, Durch die Erinnerung, annoch recht wie vor unsern Augen ruht. Wir haben ferner auch die Hoffnung, ein künftig Gut herbey zu ziehn. Und dennoch scheinen wir, mit Fleiß, uns unglückselig zu bemühn, Die drey glückselgen Fähigkeiten für uns unglücklich umzukehren, Und dadurch unsre Lust auf Erden zu mindern, und die Last zu mehren. Des Gegenwärtigen genießt man, durch ein versäumt Erwegen, nicht. Die Lust, die weg, erweget man: sie steht uns gleich- sam vor Gesicht; Doch klaget man, sie sey nicht mehr, Und seufzet, mit vergebnem Wünschen: Ach wenn sie noch zugegen wär! Statt süßer Hoffnung, mindert uns, die bittre Furcht der künftgen Zeit, Das Gute, wenn wir Gutes haben: wo nicht; ver- mehrt sie unser Leid.
Der
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Ungluͤcklicher Mißbrauch der Kraͤfte unſers Geiſtes.
Wir haben eine Faͤhigkeit, wodurch ein gegenwaͤrt- ges Gut, Wenn wir es, daß es gut, erwegen, von uns gefuͤhlt wird und empfunden; Auch eine, wodurch unſre Luſt, wenn ſie vergangen und verſchwunden, Durch die Erinnerung, annoch recht wie vor unſern Augen ruht. Wir haben ferner auch die Hoffnung, ein kuͤnftig Gut herbey zu ziehn. Und dennoch ſcheinen wir, mit Fleiß, uns ungluͤckſelig zu bemuͤhn, Die drey gluͤckſelgen Faͤhigkeiten fuͤr uns ungluͤcklich umzukehren, Und dadurch unſre Luſt auf Erden zu mindern, und die Laſt zu mehren. Des Gegenwaͤrtigen genießt man, durch ein verſaͤumt Erwegen, nicht. Die Luſt, die weg, erweget man: ſie ſteht uns gleich- ſam vor Geſicht; Doch klaget man, ſie ſey nicht mehr, Und ſeufzet, mit vergebnem Wuͤnſchen: Ach wenn ſie noch zugegen waͤr! Statt ſuͤßer Hoffnung, mindert uns, die bittre Furcht der kuͤnftgen Zeit, Das Gute, wenn wir Gutes haben: wo nicht; ver- mehrt ſie unſer Leid.
Der
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Ungluͤcklicher Mißbrauch der Kraͤfte
unſers Geiſtes.
Wir haben eine Faͤhigkeit, wodurch ein gegenwaͤrt-
ges Gut,
Wenn wir es, daß es gut, erwegen, von uns gefuͤhlt
wird und empfunden;
Auch eine, wodurch unſre Luſt, wenn ſie vergangen
und verſchwunden,
Durch die Erinnerung, annoch recht wie vor unſern
Augen ruht.
Wir haben ferner auch die Hoffnung, ein kuͤnftig Gut
herbey zu ziehn.
Und dennoch ſcheinen wir, mit Fleiß, uns ungluͤckſelig
zu bemuͤhn,
Die drey gluͤckſelgen Faͤhigkeiten fuͤr uns ungluͤcklich
umzukehren,
Und dadurch unſre Luſt auf Erden zu mindern, und
die Laſt zu mehren.
Des Gegenwaͤrtigen genießt man, durch ein verſaͤumt
Erwegen, nicht.
Die Luſt, die weg, erweget man: ſie ſteht uns gleich-
ſam vor Geſicht;
Doch klaget man, ſie ſey nicht mehr,
Und ſeufzet, mit vergebnem Wuͤnſchen: Ach wenn ſie
noch zugegen waͤr!
Statt ſuͤßer Hoffnung, mindert uns, die bittre Furcht
der kuͤnftgen Zeit,
Das Gute, wenn wir Gutes haben: wo nicht; ver-
mehrt ſie unſer Leid.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/599>, abgerufen am 23.02.2025.
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