Die Fäden dieser schönen Decke, von Fingern der Natur gewebt, Sind Meisterstücke schon für sich: Ein jeder Draht scheint hier belebt; Ein jeder Faden ist ein Kunststück, das alle Kunst weit übersteiget, Und in sich Farben, Licht und Schatten, Glanz, Zeich- nung und Figuren zeiget. Was Wunder dann, daß ein Geweb', aus solchen schönen Fäden, schön, Und, sonder inniges Vergnügen, und ohne Lust, nicht anzufehn? Jch lenke dann den frohen Blick, und des Gesichts geschärften Sinn, Auf dieß bewundernswerthe Werk der unsichtbaren Wirkerinn, Und finde, wie mein reges Auge, durch so viel Lieblichkeit verwirret, Von einer Schönheit zu der andern, in immer neuen Wegen, irret, Ganz ungewiß, was ich zuerst, da jedes Kraut von Wundern voll, Vor andern, die nicht minder schön, zuerst besehn und wählen soll. Von jungem, hell durchstrahltem Grase, erblick ich grüne Linien; (Die sich sehr zier- und lieblich spitzen) nicht minder grüne Zirkelchen Von Klee- und tausend andern Blättern, bald sie be- deckend, bald bedeckt, Jndem bald vor, bald hinter ihnen, bald durch sie, sich ein Spitzchen streckt, Und sie bald zeigt, bald sie versteckt.
Jn
Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Die Faͤden dieſer ſchoͤnen Decke, von Fingern der Natur gewebt, Sind Meiſterſtuͤcke ſchon fuͤr ſich: Ein jeder Draht ſcheint hier belebt; Ein jeder Faden iſt ein Kunſtſtuͤck, das alle Kunſt weit uͤberſteiget, Und in ſich Farben, Licht und Schatten, Glanz, Zeich- nung und Figuren zeiget. Was Wunder dann, daß ein Geweb’, aus ſolchen ſchoͤnen Faͤden, ſchoͤn, Und, ſonder inniges Vergnuͤgen, und ohne Luſt, nicht anzufehn? Jch lenke dann den frohen Blick, und des Geſichts geſchaͤrften Sinn, Auf dieß bewundernswerthe Werk der unſichtbaren Wirkerinn, Und finde, wie mein reges Auge, durch ſo viel Lieblichkeit verwirret, Von einer Schoͤnheit zu der andern, in immer neuen Wegen, irret, Ganz ungewiß, was ich zuerſt, da jedes Kraut von Wundern voll, Vor andern, die nicht minder ſchoͤn, zuerſt beſehn und waͤhlen ſoll. Von jungem, hell durchſtrahltem Graſe, erblick ich gruͤne Linien; (Die ſich ſehr zier- und lieblich ſpitzen) nicht minder gruͤne Zirkelchen Von Klee- und tauſend andern Blaͤttern, bald ſie be- deckend, bald bedeckt, Jndem bald vor, bald hinter ihnen, bald durch ſie, ſich ein Spitzchen ſtreckt, Und ſie bald zeigt, bald ſie verſteckt.
Jn
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Nutzen und Schoͤnheit des Graſes.
Die Faͤden dieſer ſchoͤnen Decke, von Fingern der Natur
gewebt,
Sind Meiſterſtuͤcke ſchon fuͤr ſich: Ein jeder Draht
ſcheint hier belebt;
Ein jeder Faden iſt ein Kunſtſtuͤck, das alle Kunſt weit
uͤberſteiget,
Und in ſich Farben, Licht und Schatten, Glanz, Zeich-
nung und Figuren zeiget.
Was Wunder dann, daß ein Geweb’, aus ſolchen ſchoͤnen
Faͤden, ſchoͤn,
Und, ſonder inniges Vergnuͤgen, und ohne Luſt, nicht
anzufehn?
Jch lenke dann den frohen Blick, und des Geſichts
geſchaͤrften Sinn,
Auf dieß bewundernswerthe Werk der unſichtbaren
Wirkerinn,
Und finde, wie mein reges Auge, durch ſo viel Lieblichkeit
verwirret,
Von einer Schoͤnheit zu der andern, in immer neuen
Wegen, irret,
Ganz ungewiß, was ich zuerſt, da jedes Kraut von
Wundern voll,
Vor andern, die nicht minder ſchoͤn, zuerſt beſehn und
waͤhlen ſoll.
Von jungem, hell durchſtrahltem Graſe, erblick ich
gruͤne Linien;
(Die ſich ſehr zier- und lieblich ſpitzen) nicht minder
gruͤne Zirkelchen
Von Klee- und tauſend andern Blaͤttern, bald ſie be-
deckend, bald bedeckt,
Jndem bald vor, bald hinter ihnen, bald durch ſie, ſich
ein Spitzchen ſtreckt,
Und ſie bald zeigt, bald ſie verſteckt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/45>, abgerufen am 16.02.2025.
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