Die Lust im Schmecken ging so weit, daß, wie ich sie mit Ernst erwog, Und alle Kräfte meines Denkens, bey dieser Lust, zu- sammen zog, Jch sprach: "Wenn ich, in meinem Leben, kein' andre Lust, als die, genossen, "Und Gott, mich alsobald darauf aus dieser Welt zu ziehn, beschlossen; "Könnt' ich mich nicht mit Recht beklagen. Denn, da uns Gott nichts schuldig ist; "So ist es unsre Schuldigkeit, daß man, was Er uns schenkt, ermißt, "Den Geber in den Gaben ehret. Ach daß, so oft ich Gutes spühre, "Jch damit so, und, neben mir, ein jeder Sterb- licher, verführe!
"Ach! laßt uns, da wir täglich essen, uns doch mit frohem Ernst bemühn, "Das Glied, wodurch wir, wunderbar, aus Körpern eine Wollust ziehn; "Die sonst für uns verlohren wäre, wo nicht sein wun- derbar Gewebe "Uns die darinn verborgnen Kräfte, im Schmecken, zu erkennen gäbe: "Die Zunge, sag ich, zu bewundern; und Dem, Der sie, für uns allein, "So huld- und liebreich eingerichtet, so oft wir schmecken, dankbar seyn!
Wie
D d 5
auf das 1745ſte Jahr.
Die Luſt im Schmecken ging ſo weit, daß, wie ich ſie mit Ernſt erwog, Und alle Kraͤfte meines Denkens, bey dieſer Luſt, zu- ſammen zog, Jch ſprach: “Wenn ich, in meinem Leben, kein’ andre Luſt, als die, genoſſen, “Und Gott, mich alſobald darauf aus dieſer Welt zu ziehn, beſchloſſen; “Koͤnnt’ ich mich nicht mit Recht beklagen. Denn, da uns Gott nichts ſchuldig iſt; “So iſt es unſre Schuldigkeit, daß man, was Er uns ſchenkt, ermißt, “Den Geber in den Gaben ehret. Ach daß, ſo oft ich Gutes ſpuͤhre, “Jch damit ſo, und, neben mir, ein jeder Sterb- licher, verfuͤhre!
“Ach! laßt uns, da wir taͤglich eſſen, uns doch mit frohem Ernſt bemuͤhn, “Das Glied, wodurch wir, wunderbar, aus Koͤrpern eine Wolluſt ziehn; “Die ſonſt fuͤr uns verlohren waͤre, wo nicht ſein wun- derbar Gewebe “Uns die darinn verborgnen Kraͤfte, im Schmecken, zu erkennen gaͤbe: “Die Zunge, ſag ich, zu bewundern; und Dem, Der ſie, fuͤr uns allein, “So huld- und liebreich eingerichtet, ſo oft wir ſchmecken, dankbar ſeyn!
Wie
D d 5
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auf das 1745ſte Jahr.
Die Luſt im Schmecken ging ſo weit, daß, wie ich ſie
mit Ernſt erwog,
Und alle Kraͤfte meines Denkens, bey dieſer Luſt, zu-
ſammen zog,
Jch ſprach: “Wenn ich, in meinem Leben, kein’
andre Luſt, als die, genoſſen,
“Und Gott, mich alſobald darauf aus dieſer Welt
zu ziehn, beſchloſſen;
“Koͤnnt’ ich mich nicht mit Recht beklagen. Denn,
da uns Gott nichts ſchuldig iſt;
“So iſt es unſre Schuldigkeit, daß man, was Er uns
ſchenkt, ermißt,
“Den Geber in den Gaben ehret. Ach daß, ſo oft
ich Gutes ſpuͤhre,
“Jch damit ſo, und, neben mir, ein jeder Sterb-
licher, verfuͤhre!
“Ach! laßt uns, da wir taͤglich eſſen, uns doch
mit frohem Ernſt bemuͤhn,
“Das Glied, wodurch wir, wunderbar, aus Koͤrpern
eine Wolluſt ziehn;
“Die ſonſt fuͤr uns verlohren waͤre, wo nicht ſein wun-
derbar Gewebe
“Uns die darinn verborgnen Kraͤfte, im Schmecken,
zu erkennen gaͤbe:
“Die Zunge, ſag ich, zu bewundern; und Dem, Der
ſie, fuͤr uns allein,
“So huld- und liebreich eingerichtet, ſo oft wir ſchmecken,
dankbar ſeyn!
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/439>, abgerufen am 16.02.2025.
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